VIVA ARGENTINA

Das beste Restaurant Lateinamerikas ist ein „einfaches“ Steakhouse. Wir waren bei der „50-Best-LATAM“-Party in Rio de Janeiro dabei, wo das Don Julio aus Buenos Aires zum besten Restaurant des Kontinents gekürt wurde.

Text: Wolfgang Schedelberger

Pablo Rivero (r.) und Küchenchef Guido Tassi (l.) wurden mit dem Don Julio in Buenos Aires als bestes Restaurant Lateinamerikas ausgezeichnet.

Obwohl alle staunten – wirklich überraschend kam die Auszeichnung nicht. Schließlich wurde das Don Julio schon im Vorjahr auf dem Platz 2 der LATAM-Liste gereiht und auch in der weltweiten „50-Best-Liste“ steht es aktuell auf Platz 10. 

Doch die Auszeichnung als „Bestes Restaurant von Lateinamerika“ ist etwas Besonderes und hat Symbolcharakter. Ein Teil der anwesenden Köche reagierte überrascht, wenn nicht gar enttäuscht. Wieso nicht eines der vielen spannenden Lokale in Peru hervorheben? Wieso nicht einen der kreativen Mexikaner? Wäre es nicht an der Zeit, den unermüdlichen Einzelkämpfer Rodolfo Guzmán in Chile mit seinem bezauberndem Borago prominent zu ehren? Und dann gibt es eine ganze Reihe von außergewöhnlichen Köchen (und Köchinnen!) aus dem Gastgeberland Brasilien. Dass der Lokal-Matator Rafa da Costa e Silva mit seinem Mini-Luxus-Lokal Lasai als bestes brasilianisches Restaurant „nur“ auf Rang 7 gelistet wurde, hat der eine oder andere Teilnehmer als unpassend empfunden. Schließlich herrscht nicht nur im Fußball zwischen Argentinien und Brasilien eine langjährige Rivalität. 

Eine überraschende Wahl

Natürlich kann man über die Sinnhaftigkeit von derartigen Rankings diskutieren. Was wäre denn das beste Restaurant Europas? Auch der intransparente Wahlvorgang wird immer wieder kritisiert. Ein relativ kleiner Kreis von international gut vernetzten Journalisten, die sehr oft von Presse-Agenturen betreut und weltweit eingeladen werden, entscheidet darüber, welche Restaurants top gelistet sind und wer durch den Rost fällt. 

Gleichzeitig ist es bemerkenswert, wie unabhängig sich die Macher der 50-Best-Listen (es gibt auch eine Asia-Liste und ein globales Ranking) von aktuellen Trends zeigen und die Liste nicht für „politische“ Agenden missbrauchen. Klar spielen Nachhaltigkeit und Ökologie eine große Rolle. Mit einem eigenen „Best Female Chef Award“ will man Frauen in der Küche fördern. Auch einen Preis für das beste nachhaltige Gastro-Konzept gibt es. 

Gastronom statt Koch geehrt

Dass dann mit Pablo Rivero ein weißer argentinischer Mann, der zudem gar kein Koch, sondern Gastronom und Sommelier ist und einen Fleisch-Tempel betreibt, als Numero Uno von Lateinamerika ausgezeichnet worden war, wurde im Anschluss heftig diskutiert. Doch es gibt gute Gründe für diese Entscheidung. Ich habe das Don Julio in den letzten 15 Jahren ebenso oft besucht und kann aus erster Hand berichten, mit welcher Konsequenz Rivero aus einer einfachen Parrilla ein in jeder Hinsicht großartiges Restaurant gemacht hat, das jetzt auch weit über die argentinischen Landesgrenzen hinaus strahlt.

Fangen wir mit der Weinkarte an. Sie ist eine Bibliothek der argentinischen Weinkultur und umfasst alles, was Relevanz hat – von grandios gereiften Malbecs aus Mendoza über elegante Pinot Noirs aus dem kühlen Patagonien bis hin zu außergewöhnlichen Criollas von uralten Rebstöcken. Beim letzten gemeinsamen Abendessen öffnete Rivero unter anderem einen 1979er Malbec von der Bodega Norton. Serviert werden solche Raritäten übrigens in mundgeblasenen Zalto-Gläsern aus Österreich!

Das beste Steakhouse der Welt

Womit wir beim nächsten Spezifikum des Don Julio wären: Tisch- und Glaskultur sind top, aber nicht überdrüber. Schließlich will man nach wie vor ein richtiges Steakhouse bleiben. Doch die Teller werden hier vorgewärmt – das macht sonst niemand anderer in Buenos Aires. Mit viel Liebe zum Detail hat Rivero alles optimiert, ohne den Identität einer Parilla zu verlieren. Nur unwissende TripAdvisor-Poster beklagen den relativ hohen Preis, der hier zu bezahlen ist.

Riveros Familie ist in der Viehzucht tätig, zur Gastronomie kam Pablo eher durch Zufall, wobei seine Leidenschaft für gute Weine eine entscheidende Rolle gespielt hat. Während andere Steakhäuser in Buenos Aires sich mit Gimmicks wie extravaganten Import-Produkten zu Luxuslokalen aufschwingen wollten, hat Rivero konsequent an der Verbesserung aller heimischer Produkte gearbeitet. Zunächst entstand eine eigene Fleischerei mit riesigem Reiferaum, dann kamen organisch bewirtschaftete Gemüsegärten dazu, wo tagesfrisch geerntet wird. Ja, ein großartiges Steakhouse hat auch großartige Beilagen und Salate. Zuletzt hat Rivero auch die Rinderzucht seiner Familie in Richtung noch mehr Nachhaltigkeit weiterentwickelt. Das Fleisch von glücklichen Rindern schmeckt einfach besser.

Sein respektvoller Umgang mit Lieferanten, Mitarbeitern und Gästen hat ihn zu einem allseits beliebten und anerkannten Gastronomen der Stadt, des Landes und nun auch des gesamten Kontinents gemacht. Die Geschichte des Don Julio wäre ohne eine Erwähnung des jungen Küchenchefs Guido Tassi allerdings unvollständig. In ihm hat Rivero einen kongenialen Partner gefunden, der sich darum kümmert, dass die Küche stets mit größter Sorgfalt zur Sache geht. Steaks perfekt zu braten ist nur scheinbar eine leichte Übung.

Für die kulinarische Identität der Stadt ist Pablos „Zweitlokal“ El Preferido de Palermo fast noch wichtiger. Gemeinsam mit Tassi hat er dort eine Karte entwickelt, die alle Klassiker der traditionellen Buenos Aires-Küche umfasst, die man anderswo kaum mehr findet. Obwohl das El Preferido auch sehr unprätentiös rüberkommt, schmeckt hier einfach jeder Bissen. In der 50-Best-LATAM-Liste liegt es „nur“ auf Platz 31, doch auch diese Platzierung ist für ein „Brasserie-Konzept“ absolut bemerkenswert. 

Über 50 Köche waren aus ganz Amerika nach Rio de Janeiro angereist, um die Verleihung der 50-Best-LATAM-Awards zu feiern.

50 Sieger aus vielen Ländern

Ist das Don Julio jetzt tatsächlich das beste Restaurants Lateinamerikas? Das lässt sich natürlich nicht eindeutig beantworten. Dass die Jury diesmal nicht extravagante Kochkunst, außergewöhnliche Kreativität oder ein politisches Konzept gewürdigt hat, sondern das Lebenswerk eines außergewöhnlichen Gastronomen auszeichnete, verlangt Respekt. Und irgendwie dürfen sich ja alle 50-Best-Restaurants als Sieger fühlen. Ein Besuch lohnt sich in jedem einzelnen von ihnen. 

Der Autor beim gemeinsamen Weintasting vor zwei Jahren mit Pablo Rivero im Don Julio   

Hinter einem erfolgreichen Restaurant steht ein großes, motiviertes Team.

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Diskokobel im Volksgarten

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Cdad. Autónoma de Buenos Aires, Argentina