PORTRÄT

DER PRINZ VON WALES

So wie der „echte“ Prince of Wales ist auch Gareth Ward ein gebürtiger Engländer. Anders als der royale William lebt Gareth Ward tatsächlich in Wales und mehrt mit dem Restaurant Ynyshir den Ruf seiner Wahlheimat.

Text: Wolfgang Schedelberger // Fotos: Imogen Chadler; Eleonora Boscarelli; Lafont

Schön ist anders. Der Blick aus dem Zug von Birmingham in Richtung Wales zeigt zunächst nur Industrieruinen und trostlose Wohnsiedlungen. Die Millionenstadt in Midwest England hatte es im 19. Jahrhundert während der industriellen Revolution zu beachtlichem Wohlstand gebracht, von dem heute – abgesehen von ein paar eindrucksvollen Bauten im Zentrum – nicht mehr viel zu sehen ist. Doch mit jeder zurückgelegten Meile wird die Aussicht schöner. Als ich knapp drei Stunden später Machynlleth erreiche, befinde ich mich in einem idyllischen Dorf, das in einer verträumten Hügellandschaft liegt. Schon schön.

Michelin statt Relais & Chateaux

Von hier sind es dann nur noch zehn Minuten zum Ynyshir. Das Haupthaus – früher weiß angestrichen, jetzt ganz in Schwarz gehalten – wirkt wie ein kleines Märchenschloss am Waldesrand. Die dazugehörige Parklandschaft ist riesig und liebevoll gepflegt. Im Jahr 2013 pachtete Gareth Ward gemeinsam mit seiner Frau Amelia Eiríksson das Anwesen, das damals Mitglied bei Relais & Chateaux war. 2016 begann die Transformation hin zu einem anspruchsvollen Restaurant.

„Anfangs war Ynyshir ein verträumtes Landhotel, in dem man auch etwas zu essen bekommen hat. 2016 haben wir beschlossen, es in ein anspruchsvolles Restaurant mit Übernachtungsangebot umzuwandeln“, erzählt mir Amelia während der Autofahrt vom Bahnhof nach Ynyshir.

Ursprünglich als Architektin tätig, hat sie die Umgestaltung des Landhauses geleitet: Aus Weiß wurde Schwarz. Die Mitgliedschaft bei Relais & Chateaux haben die beiden auslaufen lassen – jetzt sollen die Sterne im Guide Michelin ein zahlungskräftiges Publikum anziehen. Die Landschaft ist traumhaft, das Klima mild. Schließlich liegt die Irische See nur ein paar Kilometer entfernt.

Schon bevor Gareth Ward sein anspruchsvolles Gourmet-Restaurant eröffnet hatte, kamen viele Besucher aus den Großstädten Liverpool, Manchester und Birmingham hierher, um ein erholsames Wochenende zu verbringen. Die nahegelegenen Strände, zahlreiche Golfplätze und reizvolle Wanderwege machen die Gegend zu einer beliebten Ferienregion. Seit das Ynyshir vor drei Jahren als erstes Restaurant in Wales mit zwei Michelin- Sternen ausgezeichnet wurde, kommen jetzt Feinschmecker ganz bewusst hierher.

Japanisch statt Französisch

Gareth Ward offeriert ein Menü mit 30 kleinen Gängen für maximal 24 Gäste, die das Geschehen in der offenen Küche verfolgen können. Besonders gefragt – und auch separat buchbar – sind die Tische in unmittelbarer Küchennähe. Es ist wie im Theater oder bei Konzerten, die erste Reihe ist besonders begehrt. Es werden auch keine Reservierungen angenommen, sondern „Admission Tickets“ verkauft. Mit anderen Worten: Buchungen sind keine Absichtserklärungen, bezahlt wird im Voraus.

Das erste Viertel des Menüs ist rohem Fisch und japanischen Aromen gewidmet. Dann schaltet Gareth, was die Geschmacksintensität betrifft, einen Gang höher und kocht mit südostasiatischen Aromen. Dann kommen Gerichte mit rotem Fleisch zu Tisch. Ente und Rind werden im eigenen Haus zur perfekten Reife gebracht. Das letzte Viertel wird uns als „Pudding Section“ präsentiert, was eine liebevolle Umschreibung für das französische Wort Patisserie ist.

Mit der französischen Haute Cuisine hat Gareth wenig am Hut, was auch am selbst gewählten Menü-Konzept liegt. „Ich will die Leute mit vielen kleinen, möglichst unterschiedlichen Gerichten abwechslungsreich unterhalten. Schwere Saucen auf Butterbasis und sättigende Beilagen würden viele Gäste schon ab der Hälfte des Menüs überfordern. Ich habe mich in den letzten Jahren intensiv mit der japanischen Küche auseinandergesetzt, weil es mich fasziniert, wie man auf leichte und elegante Art und Weise intensive Aromen auf den Teller bringen kann“, erklärt Gareth nach dem langen Menü, das trotz der vielen Gänge nicht erschöpft.

Produktqualität ist natürlich wichtig – nicht nur bei Fisch und Fleisch. Gareth ist stets auf der Suche nach raren Sojasaucen, außergewöhnlichem Sake und dem besten Kaffee von Kleinstproduzenten. Ein bisschen Wales darf auch auf den Teller, doch die regionale Herkunft steht nicht im Vordergrund. Fisch und Hummer kommen teilweise von der nahegelegenen Küste, der Hamachi aus Japan, Thunfisch von Balfego aus Spanien. Das Wagyu-Beef stammt aus Japan, die Ente aus Wales. Wilder Knoblauch, Holunderblüten und frische Kräuter werden auf dem eigenen Anwesen geerntet.

Aromatischer Lobster – Satay in der Interpretation von Gareth Ward. (c) Joshua Greenwood.

Kulinarisches Gesamtkunstwerk

Weil dauernd etwas Neues zu Tisch kommt, gestaltet sich der Abend sehr kurzweilig. Manche Gerichte sind eher auf der süßen Seite, aber das ist wohl dem Wunsch geschuldet, möglichst mehrheitsfähig zu kochen. Schließlich steht nicht jeder auf allzu bittere oder saure Komponenten. Auf Sonder- oder Extrawürste wird keine Rücksicht genommen. Das würde bei so einem aufwendigen Konzept auch nicht funktionieren. Ganz trocken heißt es schon bei der Reservierung: „Unser Angebot ist für Menschen mit Allergien, Unverträglichkeiten oder gewissen Abneigungen nicht geeignet.“

Große Mühe gibt man sich man beim Wein. Hier kommt dann auch Frankreich zu seinem verdienten Auftritt – so wie auch Österreich. Eine glasweise Weinbegleitung macht bei 30 kleinen Gängen natürlich keinen Sinn. Stattdessen empfiehlt der leidenschaftliche Sommelier Rory Eaton Weine, die für ein paar aufeinanderfolgende Gerichte passen. Dank Coravin kann Rory dabei auch auf individuelle Wünsche der Gäste eingehen – sowohl was die Menge, die Stilistik und natürlich auch das Preisniveau betrifft.

Wir kamen in den Genuss eines Karmin 2021 von Franz Strohmeier, eines sehr mineralischen Furmints aus dem Tokaj, eines gut gereiften Mosel-Rieslings sowie eines Valbuena N.5 von Vega Sicilia, um nur ein paar Highlights zu nennen. Zum Einsatz kam dabei übrigens das gesamte Zalto-Glas-Sortiment aus Österreich

Bemerkenswert auch die musikalische Untermalung des Abends. Ein eigener DJ sorgt für laufend wechselnde Begleitmusik. Ist die Stimmung besonders ausgelassen, wird es immer lauter und irgendwann auch die Discokugel angeworfen. Die stilistische Auswahl ist breit gefächert, von Latino über Jazz bis zu Ambience und Pop – die Klänge spiegeln die Vorlieben des Küchenteams wider. Der einzige Fixpunkt, der jeden Abend gespielt wird, ist „Smalltown Boy“ von Bronski Beat.

Der groß gewachsene Gareth Ward ist in seiner neuen Heimat offensichtlich angekommen. Aufgewachsen ist er in Nordostengland in der Nähe von Newcastle. Mehr aus Verlegenheit begann er in einem kleinen Pub zu kochen, zunächst noch ohne allzu große Ambitionen: Es war ein Job.

Erst mit weiteren Engagements in immer besseren Restaurants hat er die Liebe zum „richtigen“ Kochen entwickelt. So kam er nach ein paar Jahren Wanderschaft als Sous-Chef ins Zwei-Sterne-Restaurant Sat Bains in Nottingham – eines der besten britischen Restaurants außerhalb von London. „Technisch war ich bereits ein sehr guter Koch, aber erst dort habe ich gelernt, spannende Menüs zu kreieren. So ist in mir langsam der Plan gereift, ein eigenes Restaurant zu machen“, umschreibt Ward seinen Werdegang, der ihn – gemeinsam mit seiner Frau Amelia – ins ländliche Wales geführt hat. Um es mit den Worten der Hamburger Popband Wir sind Helden zu sagen: Der Smalltown Boy ist gekommen, um zu bleiben.

Der Widder ist das Wappentier, Darstellungen finden sich an vielen Ecken des Anwesen.

Gareth Ward offeriert ein Menü mit 30 kleinen Gängen für maximal 24 Gäste, die das Geschehen in der offenen Küche verfolgen können. Besonders gefragt – und auch separat buchbar – sind die Tische in unmittelbarer Küchennähe.

Ein eigener DJ sorgt für laufend wechselnde Begleitmusik. Ist die Stimmung besonders ausgelassen, wird es immer lauter und irgendwann auch die Discokugel angeworfen. Smalltown Boy von Bronski Beat ist jeden Abend gesetzt.

Unaussprechlich gut

Vorne eine kleine Bar, dahinter ein kleiner Gastraum mit zwei Tischen – größer ist das Gwen nicht. Es passt ganz gut in die kleine Marktgemeinde Machynlleth, deren Namen nur Waliser richtig aussprechen können.

Das Gwen ist die kleine Schwester von Ynyshir. Gareth Ward hat das Mini-Lokal auf der Hauptstraße von Machynlleth vor zwei Jahren übernommen. Dabei ging es nicht um Synergien – dafür ist das Gwen viel zu klein –, sondern darum, ein zusätzliches Angebot für auswärtige Gäste, die länger als eine Nacht auf Ynyshir bleiben wollen, zu schaffen.

Sein ehemaliger Küchenchef Corrin Harrison hat die Küchenleitung übernommen. Es gibt lediglich ein Menü – alles andere wäre bei maximal acht Gästen auch absurd – und ein paar Barsnacks für den vorderen Raum.

Dort kümmert sich Barkeeper und Restaurant-Manager Jake um die „Walk-ins“, mixt bemerkenswerte Cocktails und hat ein buntes Angebot an außergewöhnlichen Weinen zusammengestellt. Da kennt Jake sich bestens aus, schließlich war er zuvor Headsommelier in Gareth Wards Zwei-Sterne-Restaurant. Auch Österreichisches findet sich auf der kleinen, aber feinen Weinkarte: Neben Judith Becks Ink 2021 hat es auch der Eschenhof Holzer mit der Cuvée Space Invader auf die Weinkarte geschafft.