HAUPTSACHE AUS ÖSTERREICH

KNOLLENKUNDE

Wir sagen am liebsten Erdapfel, aber auch als Kartoffel ist sie bei uns bestens bekannt. Ohne sie ist die traditionelle österreichische Küche unvorstellbar.

Text: Wolfgang Schedelberger // Fotos: Michael Otto

Zu viel zum Essen: In Deutschland und den Niederlanden „feiert“ man gerade eine Rekordernte. Bei den dortigen Kartoffelbauern sorgt das allerdings keineswegs für Jubelstimmung. Wohin mit den überzähligen Knollen, wenn die Lager voll sind?

Der letzte Ausweg, überzählige Kartoffeln als Treibstoff in Biogas- Kraftwerken zu verfeuern, bringt deutlich weniger Ertrag. In Österreich werden Kartoffeln bislang (noch?) nicht zur Energiegewinnung verwendet. Trotzdem landet nur etwas mehr als die Hälfte aller Kartoffeln made in Austria in der Küche. Rechnet man die sieben Prozent, die zur Stärkegewinnung für den Nahrungsmittelbereich (etwa zur Bindung von Fertigsuppen etc.) dazu, erhöht sich der Anteil auf 60 Prozent. Der Tierfutteranteil ist mit einem Prozent verschwindend gering, der Anteil von 23 Prozent für die Verarbeitung zu Stärke für den technischen Bereich (Papierindustrie, Baumaterialien, Verpackung etc.) allerdings überraschend hoch. Der Rest entfällt auf die Produktion von Saatgut (6 %) oder verdirbt (10 %).

Wie in vielen landwirtschaftlichen Bereichen nimmt der Bio-Anteil auch beim Kartoffelanbau seit Jahren beständig zu. Von den 23.000 Hektar Anbaufläche werden rund 3.500 Hektar biologisch bewirtschaftet. Österreich produziert knapp 700.000 Tonnen und ist somit Selbstversorger. Es gibt weder nennenswerte Importe noch Exporte. Wann immer Kartoffeln aus dem EU-Ausland nach Österreich gelangen, erklingt ein empörter Aufschrei über die unerwünschte Konkurrenz. Trotz der globalen Verbreitung über alle Kontinente hinweg, werden Kartoffeln – anders als Reis, Weizen oder Soja – kaum international gehandelt.

Ungekühlt verderben sie schnell. Der Preis steht in keinem Verhältnis zum Gewicht. Laut FAO werden weltweit knapp 400 Millionen Tonnen pro Jahr produziert. Ein Viertel davon in China (93 Mio. Tonnen), es folgen Indien (60 Mio. Tonnen) sowie mit jeweils rund 20 Millionen Tonnen die USA, Russland und die Ukraine.

Neue Kartoffelsorten zu züchten ist relativ leicht. Schon bei den Inkas gab es hunderte verschiedene Sorten, die sich unterschiedlichen Böden und Klimata angepasst hatten. Das CIP (International Potato Center) in Lima versucht, sämtliche Neuzüchtungen in einer zentralen Datenbank zu dokumentieren

www.cipotato.org

Landwirtschaftslabor der Inkas in Moras Moray, Cusco, Peru, das verschiedene Bedingungen in den Anden nachahmt. Ursprünglich stammt die Kartoffel aus den Anden.

Tiroler Gröstl, Faschiertes mit Kartoffelpüree und das Wiener Schnitzel mit Erdäpfelsalat – drei Lieblingsgerichte der Österreicher, zu denen Erdäpfel zwingend dazugehören. Ja, wir akzeptieren auch Reis, Nudeln und vereinzelt sogar Polenta als Beilage. Aber am liebsten haben wir Österreicher dann doch die Kartoffel. Und das nicht erst, seit die ursprünglich aus Belgien stammenden und über die amerikanische „Burgerkultur“ zu uns gelangten Pommes frites populär wurden.

Doppelt frittiert oder gebacken

Der Siegeszug der Pommes frites verdeutlicht, wie sehr sich unsere Essgewohnheiten im Laufe der Zeit veränderthaben. Was ist eigentlich aus dem einst geliebten Kartoffelpuffer geworden? Bei Pommes frites zeigt sich auch, wie aus einer Delikatesse ein Massenprodukt wurde, bei dem es mehr auf den Preis als auf den Geschmack ankommt

In Belgien sind Pommes frites seit jeher als Fast Food beliebt – übrigens oft mit Mayonnaise statt Ketchup serviert. Dort wird leidenschaftlich darüber diskutiert, welche Frittenbude denn die beste der Stadt sei. Frittiert wird in der Regel zweimal, damit die Pommes frites außen knusprig werden und innen trotzdem cremig bleiben. Auch jedes bessere Bistro in Frankreich legt größten Wert darauf, dass beim Klassiker Steak-Frites nicht nur das Fleisch perfekt auf den Punkt gebraten ist, sondern auch die Pommes frites ein Erlebnis sind. Bei der Vorstellung, tiefgekühlte Pommes frites im Backrohr zuzubereiten, erschaudern Gourmets. Mit Lokalen wie dem Bramburi in der Wiener City, wo man sich als anspruchsvolles Fastfood-Lokal der Pommes-frites-Zubereitung mit großer Kenntnis widmet, ist erfreulicherweise Besserung in Sicht.

Faschiertes mit Kartoffelpüree und das Wiener Schnitzel mit Pertersilkartoffel – zwei Lieblingsgerichte der Österreicher, zu denen Erdäpfel zwingend dazugehören.

Packerl oder Signature-Dish

Abgesehen von Mineralstoffen und Spurenelementen beinhalten Kartoffeln vor allem Kohlenhydrate. Mit anderen Worten: Sie geben Kraft und machen satt! Als der Münchner Werner Eckart 1949 unter der Marke Pfanni das erste Instant-Püree aus Kartoffeln auf den Markt brachte, ging es vor allem darum, den Hunger zu bekämpfen. 1961 hat der Lebensmittelchemiker Edward Asselberg eine Methode erfunden, besonders luftige Kartoffelflocken zu dehydrieren, womit das Instant- Kartoffelpüree seinen weltweiten Siegeszug antrat. Wozu mühsam mit mehreren Arbeitsschritten eine simple Sättigungsbeilage herstellen, wenn das auch im Handumdrehen mit einem Convenience-Produkt geht?

Der legendäre Jahrhundertkoch Joël Robuchon würde sich beim Gedanken, ein Instant-Kartoffelpüree essen zu müssen, wohl in seinem Grab umdrehen. Er hat mit seiner Interpretation des Kartoffelpürees ein Signature-Gericht erfunden, das es in den Kulinarik- Olymp geschafft hat. Wobei das Wort „erfunden“ nicht ganz richtig ist. Sein Rezept unterscheidet sich nicht grundlegend von dem anderer französischer Kochbücher. Vielleicht ist ein bisschen mehr Butter drinnen. Zumindest in seinen französischen Restaurants legte er Wert auf die Herkunft der Kartoffeln: Es mussten La Ratte von Jean-Pierre Clot in Jouy-le-Châtel sein.

Das Kartoffelpüree dient oft als Basis für andere Gemüsepürees, wie zum Beispiel Erbsenpüree. Eine französische Spezialität ist Aligot, bei dem geriebener Käse für einen besonders herzhaften Geschmack sorgt. Die eleganteste Form eines Pürees ist die Brandade, bei der man Kartoffeln mit edlem Fisch vermählt.

Herkunft und Sorte unbekannt

In Österreich weiß kaum jemand, welche Kartoffelsorte auf den Teller kommt. Woher auch? In heimischen Supermärkten hat man die Auswahl zwischen „festkochend“ und „vorwiegend festkochend“. Die dritte gesetzliche Kategorie „mehlig kochend“, die sich besonders gut für Pürees eignet, findet man fast nie. Konsumentenwünschen entsprechend nimmt der Anteil an Bio-Kartoffeln zu. Mittlerweile werden rund 20 % Gesamtanbaufläche biologisch bewirtschaftet.

In den letzten Jahren hat zumindest in der gehobenen Gastronomie die Nennung bestimmter Sorten zugenommen. Die längliche Sieglinde ist mit ihrem dunkelgelben Fleisch besonders gut für Salate geeignet. Nicht minder gut schmeckt Kartoffelsalat aus den verschiedenen Kipfler-Sorten. Eine regionale Spezialität sind die Eachtlinge aus dem Lungau. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Sorte, sondern eine Herkunftsbezeichnung. Im Lungau werden zumindest acht verschiedene Sorten angebaut. Auch im Kärntner Gailtal kümmern sich engagierte Landwirte wie der „Zerza-Bauer“ Heimo Oberauner um alte Sorten, die er unter anderem im Rahmen von Slow Food Travel direkt vermarktet.

Waldviertel als Kartoffel-Hochburg

Mit rund 80 % Marktanteil kommen die meisten heimischen Kartoffeln aus Niederösterreich. Das Waldviertel nimmt dabei eine besondere Rolle ein, weil hier ganz bewusst eine bunte Sortenvielfalt gepflegt wird. Das klingt gut, ist in der Vermarktung allerdings nicht immer einfach. Alte Sorten zeichnen sich unter anderem durch verschiedenartigen Wuchs aus. Manche sind krumm, bunt und voller Flecken. Geschmacklich ist das egal, für die maschinelle Ernte und die Vermarktung im Großhandel stellt das allerdings einen Nachteil dar. Wirtschaftlich Sinn macht die Pflege alter Sorten eigentlich nur dann, wenn man diese als „exotische“ Spezialitäten verkaufen kann. Da sind dann bunte Farben und außergewöhnliche Formen von Vorteil. Seit Jahrzehnten macht sich die Arche Noah in Schiltern um die Erhaltung der Sortenvielfalt verdient – auch bei Kartoffeln. Aktuell wird das Saatgut von 160 Sorten gepflegt. Beim Thema Sortenvielfalt geht es nicht nur um die Erhaltung alter Sorten, sondern auch um die Züchtung neuer Varianten. Gerade wenn man nachhaltig und biologisch denkt, macht die Entwicklung neuer Sorten Sinn, wenn es dabei um höhere Resistenz gegen Krankheiten geht. Bei der jährlichen Prämierung des Goldenen Erdapfels durch die Niederösterreichische Saatbaugenossenschaft hat die Valdivia bereits zum sechsten Mal gewonnen. Neu aufgenommen wurde die rotfleischige Sorte „Fred“.

Aus Heurigen werden Frühkartoffeln

In Skandinavien wird der Start der neuen Kartoffelsaison jedes Jahr groß gefeiert. In allen besseren Restaurants bekommt man dann Gerichte mit den feinen, kleinen Knollen, die man natürlich mit der (fast nicht vorhandenen) Schale genießt. Österreich tickt da leider ein bisschen anders. Die „Heurigen“, die seit einer Verordnung des Landwirtschaftsministeriums vor zwei Jahren jetzt „Frühkartoffeln“ heißen müssen, spielen eine untergeordnete Rolle. Für die meisten Konsumenten sind Kartoffeln ein Nahrungsmittel ohne Herkunft und Saison – man findet sie das ganze Jahr hindurch in mehr oder weniger identischem Erscheinungsbild im Supermarkt. Auch wenn sich die Wenigsten auskennen, ticken die Österreicher bei Kartoffeln durchaus patriotisch. Vor Kurzem wurde ein Lebensmitteldiskonter an den Pranger gestellt, weil er es gewagt hatte, französische Kartoffeln ins Sortiment zu nehmen, obwohl Österreich als Selbstversorger doch genug heimische Ware produziere.

Auch McDonalds ist sich des Lokalpatriotismus beim Thema Lebensmittel bewusst und wirbt seit Jahren damit, dass alle Pommes frites von österreichischen Feldern stammen. Es liegt daher – wie so oft – an der Gastronomie, um das Bewusstsein für die beliebteste Beilage Österreichs Schritt für Schritt zu heben.

EINMAL RUND UM DIE WELT

Ursprünglich stammt die Kartoffel aus den Anden. Archäologische Funde belegen, dass sie dort schon vor über 8.000 Jahren kultiviert wurden. Sie spielte bei den Inkas auch deshalb so eine wichtige Rolle, weil bestimmte Sorten auch in großer Höhe, wo Mais nicht mehr wächst, kultiviert werden konnten. Wann sie durch die spanischen Conquistadores das erste Mal nach Europa gebracht wurde, ist nicht genau bekannt. Sie spielte zunächst auch keine große Rolle. Man schätzte sie wegen ihrer schönen Blüte vor allem als Zierpflanze.

Nur auf den kargen Kanarischen Inseln wurde sie bereits ab dem 16. Jahrhundert als Nahrungsmittel angebaut. Auf dem Kontinent dauerte es deutlich länger. Ein Vorreiter beim Kartoffelanbau war Irland, was zunächst als Segen, später als Fluch betrachtet werden musste. Durch die Einführung der Kartoffel konnte sich die ärmliche irische Landbevölkerung ab dem 17. Jahrhundert endlich ausreichend ernähren. Doch regelmäßig kam es auch zu Missernten. Besonders verheerend war die „Grand Famine“ zwischen 1845 und 1849, bei der über eine Million Iren verhungerten. Das führte auch zu einer irischen Massenmigration in die USA.

Auch wenn die ersten Kartoffeln bereits ab 1620 nach Österreich kamen, hat sich der Kartoffel-Anbau nur langsam etabliert. Zu groß war der Aberglaube und die Scheu, fremdartige Pflanzen zu essen. Schließlich hat Maria Theresia zum Anfang ihrer Regentschaft angeordnet, dass zur Vermeidung von Hungersnöten in allen Kronländern auch Kartoffeln angebaut werden müssten. Erst ab dem frühen 18. Jahrhundert wurde die Kartoffel in Europa populär und hat von hier aus – Schritt für Schritt – die ganze Welt erobert.