RENAISSANCE DER KLASSIK
VIVE LA FRANCE
Text & Fotos: Jürgen Schmücking
Olli Mijic vom Küchenteam s’kammerli in Nauders, Tirol und sein Reh Wellington. Eine außergewöhnliche Preziose sondergleichen, die alte französische Klassik zeigt.
Beginnen wir dort, wo ein Menü aufhört. Bei den Gerichten, die aus der Patisserie kommen. Beim Süßen. Aufhören sollte, müsste man ergänzen. Denn auch die Unart, als letzten Gang Käse zu schicken, ist nicht wegzubekommen. Der „Käse schließt den Magen“-Humbug – wie immer er entstanden ist – lässt grüßen. Zurück zum Dessert. Immer öfter taucht in letzter Zeit ein ikonisches Gericht von Alain Ducasse auf: Baba au Rhum. Ein weiches Hefeteiggebäck, das nach dem Backen mit Rum getränkt und etwas Schlagobers serviert wird. Warm oder kalt ist eine Frage des Stils. In Frankreich war (und ist) Baba stets ein elementarer Bestandteil der Küche. In Österreich ist das Dessert mehr oder weniger von der Bildfläche verschwunden.
Bis es vor einiger Zeit wiederentdeckt wurde. Rainer Müller vom „Alps & Ocean“ in Grän beschließt sein Menü mit Baba au Rhum und Créme Chantilly. Wie er auf die Idee gekommen ist, ein uraltes Rezept aus der Versenkung zu holen, wollten wir von ihm wissen: „Ganz einfach, ein Besuch bei Ducasse. Der hatte Baba als Dessert im Menü, und das war schon sehr großes Kino.“ Müllers Version ist schon sehr nah an der Interpretation von Ducasse. Im Leu Maurice im 1. Pariser Arrondissment werden zum Baba fünf Rumsorten aus Barbados, Martinique, Guadeloupe und Kuba angeboten. Im „Alps & Ocean“ sind es wahlweise Rums aus Kuba, Nicaragua, Venezuela oder der Dominikanischen Republik, mit denen das Küchlein getränkt wird. Man kann zwar, muss aber nicht unbedingt quer durchs Land ins Tannheimer Tal fahren. In Wien hat Clara Aue im Heu & Gabel ebenfalls ein großartiges Baba au Rhum auf der Karte.
Rainer & Patrick (li.) Müller vom „Alps & Ocean“ in Grän beschließen ihr Menü mit Baba au Rhum und Créme Chantilly. Wie es zur Idee kam, ein uraltes Rezept aus der Versenkung zu holen, wollten wir wissen: „Ganz einfach, ein Besuch bei Ducasse. Dazu das Original im Foto links.
Ortswechsel. Hermagor in Kärnten. Dort kocht sich Manuel Ressi in seinem Bärenwirt gerade in Hochform. Ressi hat im Le Ciel gearbeitet und war jahrelang an der Seite von Helmut Österreicher und Heinz Reitbauer im Steirereck. Man kann sagen, er hat sein Handwerk im kleinen Finger. Bei unserem letzten Besuch stellt er mitten im Menü zwei Gänge hin, die erst einmal verblüffen. Einen mit Spargel, den anderen mit Lamm. Und dann blitzt auch immer wieder der Hang zur Klassik durch. Ein Lammgang, bei dem Fleisch und Innereien gleichermaßen zu einer Art Galantine verarbeitet werden. Die Leber wird in Speck gerollt und kommt mit der Schulter auf einen Spieß. Dazu eine Farce und ein Teigmantel en croute. „Ein alter Le-Ciel-Klassiker, der immer schon Spaß gemacht hat“, meint Ressi dazu. Wie recht er hat. Das ist kulinarisches Hochamt. Und erst das Spargelgericht. Umwerfend. Vollmundig und üppig einerseits, elegant und erfrischend andererseits. Ein wunderbarer Spagat. Mit Sauce Choron und Eclair. Womit wir bei den Saucen wären. Immer öfter begegnen uns die alten Saucen. Manches Menü und manche Karte lesen sich wie eine Hommage an Auguste Escoffier. Beim Bärenwirt ist es Sauce Choron, aber auch Sauce gribiche, Sauce Robert oder Sauce charcuterie tauchen immer öfter auf.
Das Team vom s’kammerli in Nauders nimmt sich des Themas ebenfalls an. Allerdings mit einem recht speziellen Zugang. Einerseits gibt es nerdige Gänge nordischer Herkunft. Fancy und modern. Andererseits enthält jedes Menü zumindest einen Gang, der klar auf die französische Klassik verweist. Einmal war es ein kunstvoll gestaltetes Reh Wellington, später ein Lamm Crépinette. „Für uns ist die französische Küche stets eine Quelle der Inspiration. Wir haben entschieden, in jedem Menü zumindest einen – manchmal mehr und Tendenz steigend – Gang zu haben, bei dem wir mit klassischen Techniken und Rezepten arbeiten“, meint Michael Ploner, der Küchenchef im kammerli. Wobei Olli Mijic, seine rechte Hand, der Mann fürs Klassische ist. Auch wenn die Küchenmannschaft stets als Team auftritt, bei jenen Gerichten, bei denen es um das genannte Handwerk geht, ist Mijic federführend. Das Reh Wellington zum Beispiel wurde als zweiter „Akt“ eines Hauptgangs serviert. Nach einem (nicht weniger köstlichen) Ragout mit Walnüssen und eingelegten Roten Rüben. Dass ein Reh „en croûte“ zubereitet wird, ist eine beglückende Rarität. Das Lamm ist ebenfalls der zweite Teil eines in zwei Gängen servierten Hauptgerichts. Es wird auch als „Klassiker“ im Menü angekündigt. Ein Lamm-Crépinette, geschichteter Paprika und Ratatouille in verschiedenen Texturen. Well done.
Aber nicht nur betagte (und erprobte) Zubereitungsarten blitzen in den Küchen des Landes auf. Längst vergessen geglaubte Gerichte überraschen uns. Bei einer – einigermaßen legendären – Burgunder-Verkostung in Golling ließ Hausherr Andreas Döllerer zum Lachs ein Russisches Ei servieren, und selbst anachronistische Garnituren, die der Völlerei näher sind als dem Genuss, finden sich hin und wieder. Tournedo Rossini. Also Filet vom Rind, Stopfleber von der Gans, stattlich Trüffel und eine üppige Sauce madère. Madeira-Sauce.
Der Luxus stirbt zuletzt.
Der Beweis, dass die Beschäftigung mit dem Alten, dem Klassischen auch ordentlich Spaß machen kann: das Team des s’kammerli.
wer&w
Sonnenhof
Füssener-Jöchle-Straße 5, 6673 Grän
www.sonnenhof-tirol.com
s’kammerli
Unterdorfstraße 196, 6543 Nauders
www.kammerli.com
Bärenwirt
Hauptstraße 17, 9620 Hermagor
www.baerenwirt-hermagor.at



