BACK IN HELL’S KITCHEN
Text: Wolfgang Schedelberger.
Kleines Restaurant – großes Team. Der Chef’s Table at Brooklyn Fare im Stadteil Hell’s Kitchen ist eines der exklusivsten Restaurants von Manhattan.
Manche Menschen wollen unbedingt nach New York und tun alles dafür, um dort erfolgreich zu sein. Bei Max Natmessnig war das anders. Er kam eher zufällig in den Big Apple. Nach zwei Jahren im legendären Oud Sluis von Sergio Hermann in den Niederlanden wollte Natmessnig eigentlich nach Frankreich, um seinen kulinarischen Horizont bei einem großen französischen Küchenchef zu erweitern. Das gestaltete sich schwieriger als gedacht, also zog er die zweite Option und folgte der Empfehlung eines Freundes und ging ins Nomad nach New York. Ein Jahr später wurde ein Posten im 3-Sterne Restaurant Brooklyn Fare frei, wo Max vier Jahre lang blieb. Einen derart langen US-Aufenthalt war ursprünglich gar nicht geplant gewesen. Allerdings hatte Max gleich zu Beginn seine derzeitige Frau Bekah kennen gelernt. New York war also auch privat zum längerfristigen Lebensmittelpunkt geworden.
Mehrere Besuche des Vorarlberger Hoteliers Joschi Walch im Brooklyn Fare im Jahr 2016 änderten das. Walch fragte Natmessnig, ob er sich nicht einen Wechsel in die Rote Wand vorstellen könne, um dort als Küchenchef ein eigenes Restaurant im Chefstable-Format zu führen. So kam es dann auch. Nach fünf Jahren in der Roten Wand in Lech gingen Max und Bekkha nach München ins 2-Sterne Restaurant Alois im Dallmayr, wo sie sich auf Anhieb wohl fühlten und länger bleiben wollten. Dann kam ein Angebot aus New York, das Max nicht ablehnen konnte. Gemeinsam mit seinem Freund und Wegbegleiter Marco Prins sollte er das Chef’s Table at Brooklyn Fare als Küchenchef führen. Da konnte er nicht Nein sagen.
Vor genau einem Jahr hast Du das erste Service als Küchenchef in New York gemacht. Zeit für eine Zwischenbilanz. Ist alles so gelaufen, wie erwartet?
Ich bin sehr zufrieden. Es ist uns gelungen, den Chef’s Table at Brooklyn Fare mit frischem Schwung neu zu starten und auf absolutem Top-Niveau weiter zu führen. Wenn ein Restaurant derart eng mit dem Namen eines Küchenchefs verbunden ist, wie es bei César Ramirez und Brooklyn Fare der Fall war, ist das gar nicht so einfach. Gleichzeitig haben sowohl Marco als auch ich schon Jahre lang auf diesem Herd gekocht. Wir verstehen also die DNA der Brooklyn Fare und wissen, worum es geht. Die Gäste sind uns jedenfalls treu geblieben. Wie es mit den Bewertungen aussieht, werden wir sehen. Auf eine Review in der New York Times warten wir noch, der Guide Michelin erscheint erst Anfang November.
Sind hohe Bewertungen in der New York Times und im Guide Michelin nicht unverzichtbar, wenn man sich in New York langfristig als absolutes Luxusrestaurant etablieren will?
Normalerweise schon, aber das Restaurant hat ja bereits einen guten Ruf und die wenigsten Gäste verfolgen im Detail, ob die Bewertungen aus dem aktuellen Jahr oder dem Vorjahr sind. Die New York Times ist gerade dabei, ihren Ruf als wichtigster Restaurant-Kritiker zu verlieren. Statt einer wöchentlichen Kritik gibt es die jetzt nur mehr alle 14 Tage. Die Nachfolge des langjährigen Leiters Peter Wells ist seit einem halben Jahr nur interimistisch besetzt. Außerdem geht es dort jetzt immer öfter um gesellschaftspolitische und ökologische Aspekte und nicht so sehr um die Qualität der Küche. Bei Fine Dining spielt der Guide Michelin mittlerweile die wesentlich wichtigere Rolle. Wir haben im letzten Jahr jede Menge positiver Medienberichte gehabt, vor allem auch online. So sind wir im Gespräch geblieben.
Dass ein Restaurant nicht einen, sondern zwei Küchenchefs hat, ist ungewöhnlich. Wie ist es dazu gekommen?
Ich verstehe ganz gut, dass sich der Eigentümer Moe Issa nicht wieder darauf einlassen wollte, den Fortbestand der Brooklyn Fare von den Launen eines einzelnen Küchenchefs abhängig zu machen. Die Installierung einer Doppelspitze stellt für ihn also eine gewisse Versicherung dar, sollte einer von uns beiden überraschend ausscheiden. Prinzipiell ist eine Doppelspitze in der Küche natürlich problematisch. Hätte ich meinen Partner nicht so gut gekannt, wäre ich auf das Angebot wohl auch nicht eingegangen. Mit Marco ist das etwas anderes. Wir haben ja bereits sechs Jahre gleichberechtig Schulter an Schulter in der Brooklyn Fare gekocht. Zuvor war wir schon gemeinsam bei Sergio Herman in der Oud Sluis tätig. Wir respektieren uns und wissen, wie wir ticken. Deshalb funktioniert das absolut friktionsfrei. Dazu kommt noch, dass wir ein sehr kleines Restaurant sind, wo wir keine große Brigade leiten müssen. Es geht bei uns also sehr kollegial und nicht hierarchisch zu.
«Den Chef's Table hat Joël Robuchon in den Westen gebracht.»
MAX NATMESSNIG
Ein Gericht mit Seeigel gibt es fast immer – dieses Rezept hat Co-Küchenchef Marco Prins beigesteuert.
Was hat sich seit dem Abgang von César Ramirez in der Brooklyn Fare geändert? Sind Konzept und Küchenlinie gleichgeblieben?
Ich war seit meinem Abschied aus New York vor mittlerweile sieben Jahren nicht mehr bei ihm essen. Mir fehlt also der unmittelbare Vergleich. Das Feedback der Stammgäste – die ich zum Teil ja noch kenne – ist äußerst positiv. Der Kontakt zu César ist seit meinem Abschied vor sieben Jahren abgerissen, was ich bedaure, aber nicht ändern kann. Er hat es mir damals offensichtlich übelgenommen, dass ich in Österreich ebenfalls ein Restaurant mit Chefstable-Konzept gemacht habe. Das finde ich nach wie vor seltsam, weil er dieses Konzept ja nicht erfunden hat. Wenn man jemand benennen will, der das ursprünglich aus Japan stammende Konzept des Chefstables in die Welt des westlichen Fine-Dinings übersetzt hat, ist Joël Robuchon mit seinen Ateliers zu nennen. Ich habe bei César sehr viel gelernt, aber seit sieben Jahren gehen wir getrennte Wege.
«Mit so exquisiten Produkten zu kochen ist ein Privileg.»
MAX NATMESSNIG
Ich hatte mehrfach das Vergnügen, bei Dir in der Roten Wand zu essen. Hier in New York kochst du zwar ähnlich, aber doch deutlich anders. Was hat sich geändert?
So wie auch am Arlberg bin ich hier total produktfixiert. In der Roten Wand haben wir uns darum bemüht, die besten Produkte aus der Region zu veredeln. Also habe ich mit Saiblingen aus dem Zuger See gekocht, Gemüse von Vorarlberger Bio-Bauern bezogen, im Wald Schwammerl und Kräuter gesucht und bin sogar selbst auf die Jagd gegangen. Hier in New York ist alles anders. Da stehen uns Produkte aus der ganzen Welt zu Verfügung. Ich bekomme Langostinos von den Färöer Inseln, Pilze aus Oregon und Fisch aus Japan. Mehrmals die Woche kommuniziere ich mit unserem Fischhändler in Hokaido, um die nächste Lieferung zu besprechen. Seeigel und Abalones bekommen wir lebendig eingeflogen. Nur bei der Ente und dem saisonalen Gemüse kaufen wir im Bundesstaat New York ein. Das hat natürlich seinen Preis, aber in einer Stadt wie New York gibt es erfreulicherweise genug Leute, die sich das leisten können und wollen. Wir bieten ein Tasting-Menü mit zwölf kleinen Gängen an, das sich je nach Marktlage und Saison laufend ändert.Â
Max Natmessnig und Marco Prins kennen einander schon lange und verstehen sich blind.
«Fine Dining ist auf Netflix und Co zu einem großen Thema geworden.»
MAX NATMESSNIG
Bei meinem Besuch habe ich – anders als in den meisten Luxusrestaurants in Midtown Manhattan – keine Geschäftsleute gesehen, die auf Spesenrechnung essen. Junge, weibliche Gäste waren in der Überzahl. Stimmt der Eindruck?
Wir sind kein Lokal, wo man hingeht, um gesehen zu werden. Wir liegen ja auch nicht in den noblen Wohnvierteln in Uptown oder im geschäftigen Midtown, sondern in einem Stadtteil namens Hell’s Kitchen. Das klingt jetzt wilder, als es ist, weil sich der Stadtteil in den letzten Jahren vor allem durch die neu entstandenen Hudson Yards recht gut entwickelt hat. Viele Gäste kommen, um bei uns einen Anlass zu feiern. Wir haben ein erfreulich junges Publikum, was wahrscheinlich auch damit zu tun hat, dass Fine Dining auf Netflix & Co. Zu einem großen Thema geworden ist. Dieser Gästemix führt zu einer sehr entspannten Stimmung im Lokal, weil fast alle nur wegen des Essens kommen und fröhlich genießen wollen. Â
Wie fühlt es sich an, nach den Jahren am Berg wieder im Großstadtdschungel zu leben? Ein größerer Kontrast ist ja kaum vorstellbar.
Die fünf Jahre am Arlberg waren wirklich toll. Die Stille der Nacht, die Wanderungen in der Natur – das war schon einzigartig, aber irgendwann wollten wir dann doch wieder in einer Stadt leben. Eigentlich hätte uns München als neuer Lebensmittelpunkt sehr gut gefallen, aber das Angebot als Küchenchef ein 3-Sterne-Restaurant in New York zu übernehmen, konnte ich einfach nicht ablehnen. Anders als in meiner Anfangszeit, wo ich in einer WG mit anderen Köchen irgendwo in Brooklyn geschlafen habe, können wir uns jetzt ein nettes Apartment an der Südspitze von Manhattan leisten. Trotz des ganzen Trubels kann man auch in New York recht beschaulich leben. So fahre ich jeden Tag mit dem Rad in die Arbeit und verbringe auch sonst viel Zeit an der frischen Luft. Â
Natmessnig hat auch die Natur am Arlberg genossen, jetzt ist er wieder im Großstadtdschungel. Foto: Michael Otto.
«Unsere Gäste kommen zum Genießen, nicht um gesehen zu werden.»
MAX NATMESSNIG
wer & wo
The Chef's Table at Brooklyn Fare
Ein eigenwilliges Genie
Gut ein Jahr nach seinem dramatischen Abschied vom Chef’s Table at Brooklyn Fare hat der gefeierte 3-Sterne Koch César Ramirez in TribeCa sein erstes eigenes Restaurant aufgesperrt.
César Ramirez ist einer der größten Küchenchefs der USA. Doch so ganz ist er an seiner neuen Adresse noch nicht angekommen. Das Entrée ist nüchtern, die Einrichtung mit hellem Holz eher blass, die Stimmung im gut besuchten Lokal zurückhaltend, die Akustik schlecht. Das Konzept eines zentralen Chef-Tables, der rund um eine offene Show Küche angeordnet ist, erinnert an seine vorherige Wirkungsstätte, doch anders als damals, zeigt sich Ramirez seinen Gästen nur selten. Die meiste Zeit blickt man ins Leere.
Irgendwie hat man das Gefühl, dass hier ein Gastronom im Hintergrund und Gastgeber im Vordergrund fehlt. So genial Ramirez auch kocht, so wenig scheint er sich in der neuen Rolle als Gastronom wohl zu fühlen. Dazu kommt noch eine hohe Mitarbeiterfluktuation, die auch nicht dazu beiträgt, dass alles rund läuft: Ich schwärme der Kellnerin vor, wie grandios der erste Dessert-Gang schmeckt. Sie antwortet, dass sie ihn noch nie probieren durfte.Â
Auch der Rechtsstreit mit dem Brooklyn-Fare Eigentümer Moe Issa ist noch am Laufen. Angeblich geht es um Millionenbeträge, die Issa von Ramirez fordert. Von gestohlenem Geschirr und aberwitzig teuren Weinen ist die Rede. Ramirez kontert, dass Issa ihm noch ausstehende Gehälter schuldig wäre.
Jetzt zum Erfreulichem: Was hier serviert wird, ist große Klasse und erinnert an vergangene Tage in der Brooklyn Fare. Die zwölf Gänge des Tasting Menüs sind abwechslungsreich, kreativ und geschmacksintensiv. Zu den unvergesslichen Highlights zählt der Uni-Toast auf federleichtem Brioche-Toast. Gerade bei Seeigel sind die Qualitätsunterschiede enorm. Fangfrisch aus Hokaido schmeckt es eben besonders gut. Auch die Doverscholle mit Eierschwammerln und Beurre Blanc bekommt man nur selten derart köstlich zubereitet. Dass Ramirez ein „Saucengott“ ist, zeigt sich sowohl bei der Ente als auch beim Wagyu-Beef eindrucksvoll. Und auch seine Fähigkeiten, verschiedene Texturen in einem Gericht auf unerwartete Weise zu vereinen, ist einzigartig.Â
Ramirez gilt in New York als Wunderkind. Er hat unter Mario Lohninger im legendären Österreich-Restaurant Danube gekocht und ist dann mit David Bouley mehrfach in Japan gewesen. Nur wenigen Chefs gelingt es so wie Ramirez, die französische Saucen-Küche mit dem Purismus der japanischen Kochkunst zu verbinden. Innerhalb kürzester Zeit hatte er den ersten Chefstable at Brooklyn Fare ab 2009 zur begehrtesten Adresse für New Yorker Gourmets gemacht, obwohl es anfangs nicht einmal eine Liquor Licence hatte – sprich man musste den Wein selbst mitbringen. Sieben Jahre später übersiedelte das Restaurant – schon längst mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet – an eine neue Adresse in Manhattan. Da waren Marco Prins und Max Natmessnig schon an Bord. Ramirez drängte den Eigentümer Moe Issa schon länger darauf, vom leitenden Angestellten zum Miteigentümer zu werden, worauf sich die beiden Anfang 2022 schlussendlich einigten. Lange hielt dieses Arrangement nicht. Im Frühling 2023 verließ Ramirez im Streit das Unternehmen. Das Restaurant musste für ein paar Monate schließen, bis seine ehemaligen Souschefs Prins und Natmessnig im Oktober 2023 wieder aufsperren konnten. Im Juli 2024 eröffnete Ramirez in der Hudson Street 333 (TribeCa) sein neues Restaurant namens „César“.