DER SENN UND DIE SINNE
Text & Fotos: Jürgen Schmücking.
Side by side. Andreas Senn (li.) und Christian Geisler (re.) haben schon einiges gemeinsam erlebt und erreicht.
Es kommt selten vor, dass man einer Glocke so nah ist. Normalerweise hängen sie hoch oben in Kirch- oder Wehrtürmen oder in den Glockenspielen bürgerlicher Häuser. Wir hören sie, kennen ihren Klang aber wir sehen sie in der Regel nicht. Im Restaurant von Andreas Senn ist es genau umgekehrt. Wir hören sie – aus gutem Grund – nicht, dafür sehen wir sie sehr gut. Die Glocke in SENNS.Restaurant ist Blickfang und Gesprächsstoff gleichermaßen. Eigentlich ist sie nur hier, weil sie keiner haben wollte. Friedrich Schiller hätte keine Freude gehabt mit ihr. “… dass vom reinlichen Metalle rein und voll die Stimme schalle.” So hat er sich das vorgestellt in seinem Lied von der Glocke. Aber irgendwas ist danebengeganben. Der Klang der Glocke war alles andere als “rein und voll”. Aber auch, wenn dieser Makel eine Kirchturmkarriere verhinderte, heute zieht sie trotzdem viele Menschen an. Das Restaurant befindet sich im Areal des Salzburger Gusswerks, der alten Glockengießerei, und ein Besuch dort ist an Sinnlichkeit kaum zu überbieten. Die Glocke ist ein wesentlicher Teil dieser Inszenierung. Sie, aber auch die Wände aus Backstein, die alte Lehmmühle, die Werkzeuge, die Feuerwehrpumpe oder das schwere Holzgebälk, das die Glocke trägt. Ein rostiger Schraubstock zeigt, dass das auch einmal eine Werkstatt war, eine Kanone auf Rädern, dass hier nicht nur Kirchenglocken gegossen wurden. All das versprüht den Charme jener Zeit, als das Handwerk der Industrie wich. “Industrial chic” nennen das viele. Aber eigentlich ist es viel mehr als das.
Der zweite Blickfang im Restaurant ist die offene Küche. Hier kann man – einer Bühne gleich – Andreas Senn und Christian Geisler, seinem Küchenchef beim Fertigen und Anrichten beobachten. Ruhig und hochkonzentriert geben sie den Tellern und Schüsseln den letzten Schliff, bevor der Service sie vom langen Pass abholt und an die Tische bringt. Die Menüs von Andreas Senn können mit dem sinnlichen Ambiente des Restaurants locker mithalten. Mehr noch. Er spinnt den Gedanken des multisensorischen Erlebens konsequent weiter und setzt die fünf Geschmacksrichtungen ins Zentrum seiner Überlegungen. Und Gerichte.
Es gibt klarerweise ein Logo für das Restaurant. Wagen wir einen Vergleich. Beim legendären Konzert in Woodstock hat Jimmy Hendrix mit seiner Gitarre die amerikanische Hymne zerlegt. Sie war zwar kaum zu erkennen, aber es war großartig. Und wurde zur Ikone. Das Logo von SENNS.Restaurant ist, als hätte sich Jimmy Hendrix was zu den 4 Ringen von Audi überlegt. Verzerrt, auseinandergezogen, auf den Kopf gestellt und einen Ring dazugegeben. Die Symbolik steht für die 5 Geschmacksrichtungen. Süß, sauer, bitter, salzig und herzhaft. Andere sagen ‘umami’ zu letzterem. Senn ist Oberösterreicher, aufgewachsen in Tirol. Also herzhaft. Die Grüße aus der Küche werden auf einem Brett in Logoform serviert. Auf jedem Kreis ein Gruß, jeweils auf eine ganz bestimmte Geschmacksrichtung fokussiert. Ein glasig-crosses Pan de Cristal als süßer Gruß, das Saure kommt in Form einer Verjus-Praline mit Wow-Effekt. Natürlich nicht ganz unsüß, aber kristallklar das Säuerliche des Verjus im Vordergrund stehend. Das Bittere präsentieren Senn und Geisler in Form einer Tartelette mit Chicorée. Das Salzige als Keks und herzhafter als die knusprige Hühnerhaut mit Miso-Mayo, Schnittlauch und Gurke bringt man das Herzhafte wahrscheinlich kaum hin.
Nach diesem 5er-Flight durch sämtliche Gaumenregionen kommen noch einmal drei Amuses-gueules bevor der erste “offizielle” Gang serviert wird. Zuerst ein Gruß aus Tainach. Saibling vom Sicher. Kommt in einem Röllchen mit Saiblingskaviar on top. Lässiger Start. Dann ein kleiner Burger mit gezupftem Mangalitza und letztlich der Brotgang, und der ist außergewöhnlich. Erstens wird das Brot als eigener Gang serviert. Es wird nicht eingestellt und steht am Tisch bis kurz vorm Hauptgang. Nein, es bekommt die Wertschätzung eines eigenen Gangs. Zweitens wird das Brot aus dem glutenreichsten Weizen der Welt gebacken. Manitoba aus Kanada. Der Weizen ist extrem kälteresistent. Das muss er auch sein. Manitoba ist eine Provinz, die für ihre Eisbären und Belugawale bekannt ist. Was dabei herauskommt könnte man mit “harte Kruste, weicher Kern” zusammenfassen. Geschmacklich absolut großartig. Serviert wird das Brot mit brauner Butter und Lorbeerstaub. Umwerfend. Für GlutenunverträglichkeitsphobikerInnen zwar umwerfend im Wortsinn, was hier aber gemeint ist, ist dass die Kombination geschmacklich umwerfend ist.
Dann bringt der Service die Leber. Entenleber, um genau zu sein, und war als Parfait. Im Menü wird der Gang angekündigt mit Entenleber – Räucherall – Shiso – rote Rübe. Zuerst, in der Nase, kommt der Aal. Dann, am Gaumen, die Leber und die Säure vom Shiso-Gel. An dieser Stelle sei gleich auch der Sommelier des Hauses vorgestellt. Thomas Kracher, ein Meister seines Fachs, stellt dem Gang einen jungen Riesling Kabinett aus Rheinhessen von einem namhaften Winzer an die Seite, und zuletzt, beim ersten Schluck Kabinett, kommt das ‘WOW’. Nach der Jakobsmuschel (mit Dill, Gurke und Crème fraîche) kommt einer der spannendsten Gänge des Abends. Ein plate blanc, und damit ist nicht der Teller selbst gemeint. Vielmehr ist es der Schwarze Seehecht. Nicht umsonst ist das eines der signature dishes von Andreas Senn. Es ist elegant und substanziell gleichermaßen. Der Fisch kommt eigentlich aus dem südlichen Polarmeer. Sie schwimmen in der Tiefe. Dort, wo es saukalt ist, werden steinalt und ziemlich groß. Bei Andreas Senn hat er einen Stammplatz im Menü. Die Beilagen wechseln manchmal. Es gab ihn bereits mit Yuzukoshō, der japanischen Chilipaste, Apfel und Tomate. An unserem Abend wurde er von Muschelsud (grandiose Vongole), Fenchel und Tomate begleitet. Der Garpunkt ist Weltklasse. Absolutes kulinarisches Hochamt. Thomas Kracher stellt gleich zwei Gläser hin. Einmal 2019 Sauvignon Blanc Ried Trinkaus vom Sattlerhof und einmal – eine Entdeckung – Pomme Yuzu du Japon von Patrick Font aus dem Rhônetal. Beides großartige Begleitungen.
Auch bei den Gängen, die danach noch serviert werden. Es folgen ein sensationelles Gericht mit Ochsenmark, Imperial Gold Kaviar, Karfiol und Hefe, ein nicht minder großartiges Kagoshima Beef (Beiried) mit Kimchi, Brokkoli und Perlzwiebel, ein Rücken vom Reh und ein paar süße Finale. Bei all diesen Gerichten halten Senn und Geisler, was sie versprechen. Sämtliche Sinne werden ansprechend angesprochen. Und letztlich das Menü zu einem Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst.
«Wir sind ausgebildete Sommeliers. Wein ist uns einfach enorm wichtig.»
ANDREAS SENN
Zahnrad und Jakobsmuschel. Oder Tradition und Moderne.
Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne
Die Gegenwart ist bekanntlich der Ort, an dem zwischen Vergangenheit und Zukunft unterschieden werden kann. Lassen Sie uns genau das noch tun. Ein paar Fakten und Eckdaten zum Haubenkoch sind wir noch schuldig. Und auch einen kurzen Blick darauf, was man im Gusswerk in nächster Zeit erwarten kann. Beginnen wir mit der Geschichte und den Stationen von Andreas Senn. Geboren in Oberösterreich, aufgewachsen in Tirol. Zeit seines Lebens Gastro-Kind. Praktisch in der Küche groß geworden. Lehre. Wanderjahre. Dazu gehören auch 6 Jahre im Ikarus an der Seite von Roland Trettl. Um zu sehen, Dass diese Jahre für Senn prägend waren, dafür braucht man kein Interview. Dafür reichen drei oder vier seiner Gerichte. Nach dem Hangar 7 zog es Senn zurück nach Tirol. Nach Kitzbühel ins Restaurant Heimatliebe. Seine erste Position als Küchenchef. Und die letzte vor seiner Selbständigkeit.
Wenn man SENN.S Restaurant betritt, kommt man zuerst in einen lounge-ähnlichen Raum mit einer Bar. Eines der nächsten Projekt wird sein, dass diese Bar nicht nur alkoholisch, sondern auch kulinarisch bespielt wird. Gäste sollen die Möglichkeit haben, kleine Menüs oder einzelne Gerichte à-la-carte aus dem Menü an der Bar oder an den Tischen davor zu genießen. Ein Konzept, das – unter anderem – im Berliner Ein-Sterner Golvet bereits bestens funktioniert. Dort sitzt man im 8. Stock mit Blick auf den Potsdamer Platz und genießt an der Theke einzelne Gerichte des Degustationsmenüs. Nur eine Spur entspannter und mit direktem Kontakt zum Barkepper. Das Konzept hat was.
Außerdem wird es in SENNS.Restaurant auch Winzerdinners und Masterclasses geben. Wein ist überhaupt ein Thema, bei dem sich das Restaurant deutlich von vielen anderen unterscheidet. Alleine dadurch, dass Andreas Senn gemeinsam mit seinem Küchenchef Christian Geisler die Sommelier-Ausbildung absolviert hat. Hier stehen also Chefs am Herd, die echt eine Ahnung vom Wein haben. Die Weinbegleitungen sind daher immer das Ergebnis eines Team-Prozesses.
Die nächsten Termine für Winzerdinner stehen jedenfalls bereits fest. Am 30. Jänner 2025 kommt Michael Malat aus dem Kremstal ins Gusswerk, am 27. Feber die Jungs vom Sattlerhof.
«In zweifelhaften Fällen servieren wir beides.»
SOMMELIER THOMAS KRACHER
«Signature Dish? Mit Sicherheit einmal der Schwarze Seehecht.»
ANDREAS SENN
Ob gestickte Serviette, geschmiedetes Buttermesser oder Pfeffer im Glas. Es ist immer solides Handwerk, um das es geht.
wer & wo
SENNS.Restaurant
Salzburg – Gusswerk
Söllheimerstraße 16 – Objekt 6
5020 Salzburg