EIN GARTEN IM PARK

Das Sichuan im Donaupark ist eines der ältesten und größten China-Restaurants des Landes. Vor drei Jahren hat es mit dem Shanghai in der Wiener City eine kleine, nur unwesentlich jüngere Schwester bekommen.

Text: Wolfgang Schedelberger; Fotos: Rainer Fehringer

Jedes österreichische Ethno-Restaurant hat seine eigene, ganz individuelle Geschichte, die irgendwo auf der Welt begonnen hat und in unserem Land seine Fortsetzung gefunden hat.   Heute erscheint es selbstverständlich, dass man in Wien fast jeden nur erdenklichen Küchenstil genießen kann, sei er auch noch so exotisch. Vor vierzig Jahren war dies ganz anders.

Während im Wendejahr 1989 die kommunistischen Diktatoren Europas verjagt wurden, hat die chinesische KP die reformistische Studentenbewegung am Tianmen-Platz mit Panzern niedergemacht. Gleichzeitig war China drauf und dran, sich der Welt zu öffnen. Man suchte den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch mit der westlichen Welt auf vielen Ebenen. Österreich war als neutrales Land dafür besonders prädestiniert. In Wien wollten die chinesischen Diplomaten ein großes Restaurant als „kulinarische Botschaft“ jenseits aller politischen Differenzen errichten. Diese Idee stieß bei der Stadt Wien auf offene Ohren. Noch dazu besaß die Gemeinde im Donaupark einen riesigen Restaurant-Komplex, der mehr schlecht als recht von der WIGAST betrieben wurde. Dass das Restaurant auch noch in unmittelbarer Nähe zur UNO-City lag, machte den Standort perfekt.

«Die Kommunikation entscheidet. Ich bin heute noch Dolmetscherin.»

Mehr als ein Restaurant

So wurde das 250 Sitzplätze große Restaurant mit viel Aufwand zu einem chinesischen Gesamtkunstwerk umgewandelt. Pagoden gehörten genauso dazu, wie ein nach Feng Shui Prinzipien angelegter Garten samt Teich. Die Botschaft ließ sogar sechs Meisterköche aus der Provinz Sichuan einfliegen. Allerdings wollten beziehungsweise konnten die Diplomaten nicht selbst als operativer Betreiber auftreten. So wurde gemeinsam mit der Stadt Wien eine neue Gesellschaft gegründet, die das Restaurant Sichuan im Sommer 1989 eröffnet hat.

Chunah Urban-Chao hat die Genese des Sichuans von Anfang hautnah miterlebt. Sie war als Dolmetscherin eng in alle Verhandlungen eingebunden. Ursprünglich war Chunah als Musikstudentin nach Österreich gekommen. Die Ausbildung zur Diplom-Dolmetscherin hat sie quasi „nebenher“ absolviert. Wie sich rasch zeigte, war das eine gute Entscheidung, weil die Öffnung Chinas zu einem rasanten Ansteigen an wirtschaftlichen Kontakten geführt hatte und die Dienste einer verlässlichen Dolmetscherin sehr gefragt waren. Diese Tätigkeit macht Chunah übrigens derart viel Spaß, dass sie sich bis heute weiterhin als Dolmetscherin engagiert. 

Ohne Seele geht es nicht

Die Eröffnung des Restaurants Sichuan war zunächst eine kulinarische Sensation und wurde hymnisch als vorbildliche völkerverbindende Initiative gefeiert. Schließlich gab es damals nur zwei, drei kleinere Chinarestaurants in Wien, die ohne in China ausgebildeten Meisterköchen auskommen mussten. Im Laufe der Jahre häuften sich jedoch die Probleme. Statt einem Patron gab es laufend wechselnde Geschäftsführer, die ohne viel Engagement „Dienst nach Vorschrift“ machten. Nach neun Jahren war das Großrestaurant – so wie schon zuvor als WIGAST-Betrieb – Pleite. Wie sollte es weitergehen?

Chunah Urban-Chao – seit der Heirat trägt sie einen Austro-Chinesischen Doppelnamen – war als Dolmetscherin die ganze Zeit hindurch mit dem Belangen des Sichuan involviert und kannte die Probleme aus erster Hand. Was dem Lokal ihrer Meinung nach fehlte, waren neben einer klaren Struktur und einem Verständnis für die kulturellen Besonderheiten vor allem Herz und eine Seele. Unternehmerisches Blut hatte Chunah zweifellos in ihren Adern. Was ihr allerdings fehlte, war jegliche gastronomische Erfahrung für die damals noch unverzichtbare Gastgewerbe-Konzession. 

Nachdem sie ernsthaft erwogen hatte, das Sichuan in Eigenregie fortzuführen, erwarb sie sich das theoretische Wissen durch nächtelanges Studium der notwendigen WKO-Unterlagen. Die hat sie dann auch gleich ins Chinesische übersetzt und den immer zahlreicher werdenden Landsleuten, die ebenfalls ein China-Restaurant eröffnen wollten, zu Verfügung gestellt. Die geforderte Berufspraxis erwarb sich Chunah neben ihrer freiberuflichen Übersetzungstätigkeit im Sichuan.

Arbeitseinsatz zahlt sich aus

„Das waren herausfordernde Zeiten. Wir hatten kaum Geld, mein österreichischer Mann war an der Universität als Geschichteprofessor beschäftigt und konnte sich nicht aktiv einbringen und dann musste ich mich auch noch um unseren Sohn Tim kümmern, der gerade mit der Volksschule begann. Gleichzeitig habe ich gewusst, dass man so eine Chance im Leben kein zweites Mal bekommt, also habe ich zugegriffen“, erinnert sich Chunah an ihren mutigen Schritt zur Gastro-Unternehmerin.

Die Mehrfachbelastung hat sie – zumindest beruflich betrachtet – erfolgreich gemeistert. Dass sie keine gelernte Köchin ist, hat bei der Leitung des Restaurants jedenfalls nie gestört: Bis heute steht ein halbes Dutzend chinesischer Meisterköche in der Küche, die dafür garantieren, dass die Gerichte originalgetreu zubereitet werden. Auch das Service ist fest in chinesischer Hand. Wenn Chinesen in Wien etwas Wichtiges zu feiern haben, fällt die Wahl oft aufs Sichuan. Dort fühlen sie sich wohl und sie bekommen und es schmeckt wie daheim. Der Überwiegende Teil der Gäste kommt allerdings aus Österreich. Zu Mittag sind auch viele Mitarbeiter der UNO-City da. 

„Meine Aufgabe liegt nicht darin, die Speisen abzuschmecken. Neben der operativen Führung muss ich mich vor allem darum kümmern, dass das Lokal gut besucht ist. Das ist auch der Grund, wieso ich nie mit meiner Übersetzungstätigkeit aufgehört habe, weil das der perfekte Job zum Networking ist“, beschreibt Chunah, wie sie ihr Restaurant in den letzten 25 Jahren geführt hat. Ihre künstlerische Ader zeigt sich in der Liebe, mit der sie die Gestaltung des Restaurants pflegt. Auch nach mittlerweile 35 Jahren ist hier nach wie vor alles tip-top.

Sohn Tim ist quasi im Restaurant aufgewachsen und hat schon in jungen Jahren mitgearbeitet, wenn Not am Mann war. Trotzdem war es Chunah wichtig, dass Tim eine klassische akademische Ausbildung macht. Nach der Matura studierte er zunächst in London und dann in Shanghai Wirtschaftswissenschaften. Nach seiner Rückkehr hat Tim in Wien zunächst eine kleine Handelsgesellschaft übernommen. Gleichzeitig hat er stets im Restaurant der Mutter ausgeholfen. Dabei hat er auch seine Liebe zum Wein entdeckt, was ihn dazu motivierte, die Sommelierausbildung zu absolvieren. Allerdings ist das große Restaurant kein wirklich geeigneter Platz, um Fine Dining und exklusive Weine zu zelebrieren. 

«Wir sind ein Treffpunkt für die chinesische Community geblieben.»

Von Sichuan nach Shanghai

Wieder war es Chunahs Dolmetschertätigkeit, die vor drei Jahren für eine schicksalhafte Weichenstellung verantwortlich war. Der Besitzer des winzigen China-Restaurants Shanghai war verstorben, Chunah hatte sich als gerichtlich beeidete Übersetzerin um die Verlassenschaft zu kümmern. Die Situation war verfahren. Die zentrale Lage in der Jasomirgottstraße – keine 50 Meter vom Stephansdom entfernt – war genial. Gleichzeitig war die Einrichtung sehr altbacken und der Ruf der Küche mäßig. In den letzten Jahren hatten sich eigentlich nur noch ahnungslose Touristen hierher verirrt.

Tim hatte sich jedoch auf Anhieb in dieses Lokal verliebt und trotz aller Probleme das Potential für die Erfüllung seines persönlichen gastronomischen Traums gesehen. Die abgenützte Einrichtung müsse zwar grundlegend saniert, in ihrem Bestand aber doch erhalten bleiben. Mit der prominenten City-Lage sollte es möglich sein, eine moderne chinesische Küche auf Hauben-Niveau zu etablieren. Dann würden auch wieder mehr Wiener zu Stammgästen werden.

Seit Pandemie-Ende ist Tim Vollzeit-Gastronom mit zwei Betrieben. Auch wenn Chunah immer noch regelmäßig im Sichuan vor Ort ist, hat Tim mittlerweile die operative Verantwortung übernommen und pendelt täglich zwischen den beiden Lokalen.

wer & wo

China Sichuan Restaurant

Arbeiterstrandbadstraße 122

1220 Wien