THEMENPARK THEKE
Text: Roland Graf
Seine Vision formuliert Traunkirchens Hotel-Platzhirschs Wolfgang Gröller („Das Traunsee“, „Post am See“) ganz klar: Der schmucke Salzkammergut-Ort soll eine kulinarische Ganzjahres-Destination für Hedonisten werden. Vor 16 Jahren startete die Umsetzung dieses Masterplans, die mit dem Ausnahmekoch Lukas Nagl mittlerweile österreichweit ausstrahlt. Wer heute als Koch über Seefische und ihre nachhaltige Verwertung – Stichwort: Weißwurst vom Karpfen – etwas lernen will, fragt den „Bootshaus“-Chef. Und während sich die Bundesparteichefs in den ORF-Sommergesprächen auf seiner Restaurant-Terrasse um Antworten mühen, schloss Gröller das nächste Vorhaben ab. Unter dem Namen „Belétage“ steht diesmal die Bar im Fokus. Sie ist der Angelpunkt des umgebauten ersten Stocks der „Post am See“. Und es sind nicht nur die Cocktails, die hier überraschen.
«Ein kulinarisches Ganzjahreskonzept braucht eine tolle Bar.»
WOLFGANG GRÖLLER
Van Gogh-Trinken am Traunsee
Denn Barchef Marcus Volsa hat eine bewegte Vita, die von der Tischler-Lehre über Sensorik-Trainings bis zur Politberatung unter Philipp Maderthaner („Campaigning Bureau“) reicht. „Hier bekomme ich unmittelbares Feedback auf meine Ideen“, zieht er durchaus Vergleiche zu den Konzepten für Minister und Kampagnen. Was Volsa an seiner ersten Stelle als Barchef überhaupt (!) serviert, verlässt sich nicht auf bekannte Edelspirituosen wie viele Vier-Stern-Hotels. Seine Karte widmet sich impressionistischen Gemälden, vorzugsweise von unbekannteren Malern. Fujishima Takeji etwa muss man erst googlen, doch der von seinem Bild „Schmetterlinge“ inspirierte Drink übersetzt seine Farbpalette in explosive Noten von Mezcal und Ponzu-Sauce. Bei Volsa lässt sich freilich auch Van Gogh („Mandelblüte“) oder Manet („Bei der Hutmacherin“) ertrinken. Damit ist in der jüngsten Bar Oberösterreichs auch ein altes Konzept zurück: die einem Thema folgende Cocktailkarte.Â
International halfen diese Themen-Menüs erfolgreich mit, Bars in kürzester Zeit weltbekannt zu machen. Die 2015 in der Londoner Bar „Artesian“ – Teil des Langham Hotels am Portland Place – vorgestellte „Surrealism“-Karte darf dafür als eine Art Urknall gelten. Der kommerzielle Lohn war die Kür zur Nummer 1 auf der „50 Best Bar“-Liste binnen Jahresfrist. Doch über die Becher in der Form von Salvador DalÃs Elefanten und Steine, aus denen man trank, spricht man in Bartender-Kreisen noch heute. Natürlich: Das war eine durchgestylte Materialschlacht, die Geld kostete. Aber eben auch mit großartigen Drinks den Bar-Besuch auf eine neue Ebene hob: Berauschung als intellektuelles Vergnügen. Süffeln mit Synästhesie!
«Jeder Schluck erzählt eine Geschichte ohne Worte.»
SIGI SCHOT
Banksys Ratte schmeckt bitter
Man kann es aber auch mit den Worten Sigrid Schots sagen: „Mein Talent ist es, das Sichtbare in eine Emotion zu verwandeln“. Die Barchefin der Wiener „Hammond“ legte so etwas wie die österreichische Mutter aller Themen-Karten vor. „The Art of Banksy“ krachte allerdings mitten in die Pandemie und erfuhr deswegen nicht die Beachtung, die der elaborierten Cocktailsammlung zugekommen wäre. Bis hin zur Nachkomma-Stelle waren die Drinks elaboriert. 0,5% Orangenblüten-Wasser etwa enthielt der „Girl with a Balloon“, den Dominik Oswald und „Sigi“ Schot der Frage widmeten: Wie schmeckt Hoffnung? Doch auch Stress übersetzte das damalige Kreativduo anhand eines ikonischen Banksy-Werks. „Rat in a Scurry“ kombinierte Enzian-Schnaps, Whisky, Mezcal und Weihrauch-Bitter. „Jeder Schluck erzeugt eine Geschichte ohne Worte“, liebte man auch in der „Hammond“ den künstlerischen Rahmen. „Die Gläser sind unsere Bühne“, so Schot, „euer Gaumen unsere Zuschauer“.
Doch es muss nicht immer die hohe Kunst sein; Popkultur tut’s auch. Zumal sie Kontraste schafft. Einen Klassiker dieser Art stellte das distinguierte Londoner „Savoy“ 2018 in seiner „American Bar“ vor: 20 schwarz-weiße Promi-Bilder des Starfotografen Terry O’Neill wurden in Drinks übersetzt. Aus Mick Jagger im Nadelstreif wurde so der „Pinstripe“, als Coaster diente ein stilisierter Kamera-Auslöser. Und auch bei Marcus Volsa am Traunsee-Ufer gehört der Drink-Untersetzer mit zum Gesamt-Kunstwerk.
Die Galerie am Untersetzer
„Hier sieht der Gast dann das konkrete Gemälde, das den Cocktail inspirierte“, hat man bewusst auf die Abbildung in der Karte der „Belétage“ verzichtet. Die Überraschung für den Gast gehört zum Servieren dazu. So erweist sich etwa der „Prinzessin Bibesco“ als keineswegs so spielerisch wie der Name – die Mischung aus Traunstein Gin, Williamsbirnen-Brand, Fernet Hunter und Rosé-Schaumwein hat es in sich. Volsas idealer Gast schätzt diese zusätzliche Ebene, die von den Impressionisten-Gemälden eingebracht wird, ist er überzeugt. Wirkungs- oder Statustrinker, wie Volsa es in seiner persönlichen Typologie von Barbesuchern nennt, würden derlei hingegen wenig schätzen. Doch der 29-Jährige will die „ästhetischen Genießer“ erreichen. „Menschen, die sich den besten Champagner bestellen, aber ihn lieber in der Wiese sitzend genießen“, wie er es fast poetisch formuliert.
Dass der Barchef im ersten Stock der „Post am See“ in Tübingen auch Rhetorik studiert hat, merkt man in solchen Momenten. Und Volsa will den Weg der thematischen Karte weitergehen. Im Herbst wird es das neue Menü geben, „das sich der Region widmet“. Kräutersammler sind bereits im Salzkammergut unterwegs, erste Mazerate stehen in der Küche parat. Dass es einen Traunkirchner „Steinpilz-Manhattan“ geben wird, darf man als gesetzt ansehen.Â
«Ein Überthema erleichtert es, neue Kreationen verständlich zu machen.»
ANDREAS PORTZ
Superhelden-Treff im „Sacher“
Während Newcomer Marcus Volsa sich so auf die zweite Saison vorbereitet, geht Andreas Portz ins dritte Jahr seiner Themen-Karten. Auch der wegen seines Hut-Faibles als „Hatbartender“ bekannte Mixologe arbeitet an einer Hotelbar. In seinem Fall im Sacher Salzburg, wo die Mischung aus popkulturellen Kartenthemen und soignierter Stammklientel eine eigene Dynamik entwickelt. Gleich sein erstes Cocktail-Menü entführte in das Reich der Marvel-Superhelden. Zwischen rotem Samt und Richard Wagner-Porträt gegenüber des Kamins gab es dann „The Hulk“ zu trinken. „Das hat schon für den einen oder anderen Schmunzler gesorgt“, erinnert sich „Andi“ Portz. Und legte im Vorjahr mit einer Karte zur Film-Trilogie „The Matrix“ 2023 nach.
Für den gebürtigen Bayer wird durch ein Ãœberthema nämlich „die Karte verständlicher für den Gast“. Die Alternative sei oft zu willkürlich, so der auch aus den Wiener Bars „26°East“ und „Josef“ bekannte Portz. Drink-Namen von „Sonnenblume“ bis „Bluetooth“ würden den Gast vor ein Sammelsurium von Ideen stellen. Eine bekannte Figur wie etwa die in „Matrix“ von Carrie-Anne Moss verkörperte „Trinity“ kürze hingegen die Kommunikation ab: „Das ist eine starke Frau und auch der Drink war als in Bienenwachs gelagerter Manhattan ein starker Cocktail“, gibt der „Sacher“-Barchef ein Beispiel.Â
Noch einfacher liegt die Sache beim aktuellen Menü an der Salzach. Da in der Festspiel-Zeit Pretiosen vom lokalen Juwelier „Aenea“ im Hotel ausgestellt sind, entschied sich die Bar zu einem Edelstein-Menü. Ergo schimmert der „Tiger Eye“ in den Farben Gelb und Braun wie sein Namensgeber, aus dem „Calcit“ wurde ein Milk Punch, der den leichten Schleier des Minerals wiedergibt. Und natürlich steht der 22 Euro-Drink „Diamond“ – Sipsmith Gin mit einem Champagner sowohl in einem Cordial als auch als Top-up – an der Spitze der flüssigen Härteskala. Allerdings geht es nicht nur um einen farblichen Nachbau der Gesteine. „Wir haben uns bemüht, hauptsächlich nicht im Einzelhandel erhältliche Spirits zu verwenden“, so Portz, „Edelsteine halt“.
Flüssige Rezession in der Ex-Bank
Tatsächlich scheint kein Thema zu abstrakt, um es nicht in einen Drink zu verwandeln. Darin hat Martin Holzer Erfahrung, der zwei Mal jährlich Finanzthemen in den Shaker packt. Diese Tradition in „The Bank“ begann recht unspektakulär mit der Zuordnung von Währungen zu den Herkunftsländern der Basis-Spirituosen. Doch die Bar des Wiener „Park Hyatt“ pflegt ihre baulichen Wurzeln in der alten Creditanstalt Am Hof bis heute mit Cocktail-Menüs, die direkt aus dem Wirtschaftsteil stammen könnten. „Futures“, also zukunftsträchtige Investments, gab es 2024 schon zu kosten. Davor waren es „Finanzkrisen“ – von „Hyperinflation“ mit Tomaten-Soda bis zur Kaffee-bitteren „Rezession“. Dass man sich in der ehemaligen René Benko-Immobilie sogar einen „Crash“ bestellen konnte, mag manchem „Signa“-Anleger heute vielleicht sogar prophetisch erscheinen.Â