DER WILDE STERN VON SIMMERING

Heuer feiert das Gasthaus Stern seinen 18. Geburtstag und ist besser denn je. Kinderkrankheiten und Jugendsünden hat Patron Christian Werner längst hinter sich gelassen.

Text: Wolfgang Schedelberger // Fotos: Rainer Fehringer

Anderswo startet man das Abendessen mit feinen Amuse-Gueules, hier kann man, wenn mal will, auch etwas Paniertes zum Vorabnaschen bestellen. Doch was sich auf den beiden adrett arrangierten Tellern befindet, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Was wie Calamari fritti aussieht, schmeckt nicht nach Meer und hat auch eine andere Textur. Kein Wunder. Bei den „Alpencalamari“ handelt es sich um gebackene Kalbskutteln. Noch größeres Rätselraten herrscht beim zweiten Starter, der wie ein Tintenfischarm aussieht. Weit gefehlt. „Das ist ein paniertes Schweineschwanzerl. Wir nehmen die Nose-to-Tail-Philosophie schließlich ernst“, erklärt uns Patron Christian Werner mit einem verschmitzten Lächeln.

Seit er mit Peter Zinter im Vorjahr einen Koch gefunden hat, der auf der gleichen Wellenlänge wie er selbst unterwegs ist, hat Christian Werner endlich mehr Zeit, sich bei Tisch um die Gäste zu kümmern. Das kommt auch seiner Leidenschaft für den Wein entgegen, die auch im aktuellen Gault & Millau mit der Auszeichnung „Weinkarte des Jahres“ gewürdigt wurde. Von derartigen Auszeichnungen wagte Christian Werner bei der Eröffnung seines Gasthauses vor 18 Jahren nicht zu träumen.

Vom Eckbeisl zum Genießertreff
Das Ecklokal im tiefsten Simmering erinnerte mit seiner (mittlerweile aufwendig renovierten) traditionellen Holzvertäfelung eher an ein uriges Nachbarschaftsbeisl und nicht an ein lässiges Restaurant, wo sich Feinschmecker und Weinfreaks aus der ganzen Stadt treffen. Die ersten 14 Jahre hatte das Gasthaus Stern sieben Tage die Woche von neun Uhr früh bis elf am Abend geöffnet und der Patron stand als gelernter Koch selbst in der Küche. Dass er heuer seinen zwanzigsten Hochzeitstag feiern kann, ist in Anbetracht dieses Arbeitspensums jedenfalls bemerkenswert. „Wir haben damals doppelt so viele Mitarbeiter gehabt. Sonst wäre sich das niemals ausgegangen. Trotzdem musste ich auch an meinen freien Tagen immer wieder einmal einspringen, wenn Not am Mann war. Zunächst war das Mittagsgeschäft wesentlich wichtiger als der Abend“, erinnert sich Werner an die Anfangsjahre.

Auch seine Eltern hatten ein Gasthaus in Simmering betrieben, das vor allem von günstigen Mittagsmenüs gelebt hat. Von dieser Geschäftsausrichtung wollte er eigentlich weg. Doch zunächst galt es einmal, für das Publikum zu kochen, das er hatte. Das hat anfangs auch lieber Bier als Wein getrunken.

Doch im Laufe der Jahre hat sich herumgesprochen, dass die traditionelle Wiener Küche im Gasthaus Stern ein bisschen besser schmeckt als anderswo. Von feiner Haubenküche keine Spur, aber alles wunderbar abgeschmeckt und stets mit frischer Ware zubereitet. Während ähnliche Betriebe dem zunehmenden Kostendruck mit vermehrtem Einsatz von Convenience begegneten, blieb der begeisterte Koch seiner Linie treu. So kam es, dass sich vor allem am Abend immer mehr Wiener aus anderen Bezirken im Gasthaus Stern einfanden und es schätzten, dass man hier auch etwas Anständiges zum Trinken bekam. Die Nähe zur U3-Station Simmering erleichterte es diesen Gästen, den Weg in eine Gegend zu finden, wo man sonst eher selten hinkommt

Zunächst hat sich das Weinangebot – dem Geist der Zeit geschuldet – ausschließlich auf Österreich beschränkt. Dann kamen ein paar deutsche Rieslinge dazu, dann Frankreich und Italien. Heute gibt es nichts, was es nicht gibt – also auch Naturweine und Neue Welt. Mit einer Einschränkung: „Ich schenke nur Weine aus, die mir persönlich sehr gut schmecken. Ich verkoste über 1.500 Weine pro Jahr und entdecke dabei auch abseits der gängigen Weinbauregionen immer wieder erstaunliche Tropfen.“ Mit einer eigenen App, auf der er seine Verkostungsnotizen sammelt, behält er den Überblick.

Befreundete Winzer, wie Bernhard Ott oder Julia und Christoph von Wachter-Wiesler, sind auch in großer Jahrgangstiefe vertreten. Aber auch kostspielige Raritäten wie etwa einen Grenache von Sine qua No werden hier regelmäßig bestellt. Kalkuliert wird mit Fixaufschlägen, was bei der Bestellung von großen Weinen zu erstaunlich günstigen Preisen führt. Kein Wunder, dass man hier auch immer wieder Champagner-Korken knallen hört. Bei besonderen Flaschen greift der Patron auch einmal zum Säbel…

Pandemie als Wendezeit
Die Lockdowns während der Pandemie haben so wie bei vielen anderen Gastronomen auch bei Christian Werner zum Überdenken des eigenen Tuns geführt. Vor allem die Mitarbeiter-Situation war schon davor immerschwieriger geworden. „Ich habe mich dann dazu entschlossen, nur mehr von Mittwoch bis Samstag abends aufzusperren und am Sonntag ein verlängertes Mittagsservice zu machen. So konnten wir auch bei der Qualität des Essens noch ein bisschen an der Qualitätsschraube drehen. Der Umsatz ist dadurch zwar etwas gesunken, aber das Betriebsergebnis hat sich wie erhofft verbessert“, erklärt Werner.

Trotz dieses „Upgrades“ sind die Tischtücher verschwunden – allerdings nicht wegen des neuen Konzepts, sondern aus Umweltschutz Überlegungen. „Ich habe vor zehn Jahren den Jagdschein gemacht und liebe es, in meiner freien Zeit in der Natur zu sein. Laufend riesige Wäscheberge reinigen zu lassen ist einfach eine unnötige Belastung der Umwelt. Also haben wir einen burgenländischen Tischler beauftragt, für uns schöne Eichentische zu zimmern, die auch ohne Tischtücher gut ausschauen“, erklärt Werner.

Wild und Innereien
Klassiker wie Wiener Schnitzel und Cordon Bleu findet man zwar nach wie vor auf der Karte – ohne die gäbe es einen Aufstand einiger Stammgäste –, gleichzeitig ist der Anteil an Innereien-Gerichten vor allem von Wildtieren gestiegen. Mit dem bekannten Spitzenkoch Peter Zinter, der im letzten Herbst als Küchenchef gewonnen werden konnte, hat Werner einen kongenialen Partner gefunden, der genauso tickt wie der Patron selbst. Zinter ist selbst leidenschaftlicher Jäger, womit die Versorgung von erstklassigem Wild jetzt doppelt gesichert ist.

„Wild ist Vertrauenssache. Wenn wir das Tier nicht selbst geschossen haben, stammt es zumindest von einem guten Bekannten. Ich glaube, dass man es schmeckt, wenn man Fleisch von einem Tier isst, das ein glückliches Leben in einer intakten Natur verbracht hat. Der Respekt gebietet es dann auch, das ganze Tier sachgerecht zu verarbeiten. Was wir nicht unmittelbar ins Menü nehmen können, verarbeiten wir zu Glaskonserven, die man bei uns im Lokal zur Mitnahme kaufen kann. Ein Klassiker ist unser Wildschweinsugo, aber auch die Wildhasen-Kraftsuppe ist mittlerweile ein Renner“, so Werner.

Doch was hat es mit den jüngsten Tattoos auf Werners Armen auf sich, die eine Hummerschere und eine Kaviar-Dose darstellen? Gehören Meeresfrüchte jetzt auch zum neuen „Fine-Dining-Konzept“ des Gasthauses? „Nicht wirklich. Ich liebe Hummer, aber den würden wir nur ausnahmsweise und auf speziellen Wunsch für Stammgäste machen. Mit Kaviar ist es etwas anderes – den bekommt man ja inzwischen auch aus Österreich in Superqualität. Wenn die Situation passt, kann es schon passieren, dass es auch einmal ein Gericht gibt. Aber keine Angst – wir sind und bleiben ein Gasthaus“, meint Werner. Das gilt trotz der erstmaligen Gault-Millau-Bewertung mit drei Hauben.

Genussbeisl: Das Ecklokal im tiefsten Simmering erinnerte mit seiner traditionellen Holzvertäfelung eher an ein uriges Nachbarschaftsbeisl als lässiges Restaurant, wo sich Feinschmecker und Weinfreaks aus der ganzen Stadt treffen.

„Wild ist Vertrauenssache. Wenn wir das Tier nicht selbst geschossen haben, stammt es zumindest von einem guten Bekannten”, so Christian Werner.

Ein absoluter Lieblingswein: Monopol Stern vom Weingut Muthenthaler in der Wachau.

Gasthaus Stern
Braunhubergasse 6
1110 Wien

Mi-Fr: 18-23 Uhr
Sa: 11-23 Uhr, So: 11-16 Uhr

www.gasthausstern.at