IN EINEM BÄCHLEIN HELLE

Es gab Zeiten, da hatte die Forelle – in kulinarischer Hinsicht – die Nase vorn. Dann kamen die Saiblinge und drängten ihre Verwandten zurück. Es wird Zeit, dass sich die Forelle ihr Terrain wieder zurückholt. Und wir beobachten, dass es dabei ganz gut aussieht.

Text: Roland Graf // Fotos: Anna Stöcher & beigestellt.

Präziser Stich, entspannter Tod, umwerfende Qualität: Der präzise Stich in den Spinalkanal des Rückgrats heißt Ikejime. Eine Tötungsmethode, die wir uns von den Japanern abgeschaut haben.

“Erst kurz vor dem Gebrauch schlägt man die Forelle ab, schneidet sie vorsichtig auf und reinigt sie, so dass der anhaftende Schleim möglichst noch am Fisch verbleibt. Das Salzwasser hält man kochend bereit und erst, wenn die Suppe verlangt wird, beträufelt man den Fisch mit Essig und rüttelt ihn einen Moment in dem Essig, der sich auf der Platte angesammelt hat, gibt ihn dann in das kochende Salzwasser, schiebt ihn aber, ohne ihn weiterkochen zu lassen, beiseite. Ich decke ihn nie zu, denn so habe ich die Forelle besser unter den Augen und die Gewähr, dass sie wirklich nicht mehr zum Kochen kommt. Die Forellen richte ich mit dem aufgeschnittenen Leib nach unten in einer Porzellanplatte an und bedecke sie, bis sie zum Gast gelangen, mit einer in das Fischwasser getauchten Serviette, die ich aber vorher wegen des eventuell anhaftenden Seifengeschmacks in warmem Wasser durchgespült habe. Fürs Auge kann man einen Kranz krauser grüner Petersilie um die Forelle geben.

Dieses Rezept beschreibt „Truite au bleu“, also Forelle blau, einen Klassiker von Alfred Walterspiel. Walterspiel war ein Münchner Koch im „Vier Jahreszeiten“. Das Buch mit seinen Rezepten erschien 1952. Ein Jahr später erschien ein anderes Buch: „Forelle blau und schwarze Trüffeln. Die Wanderungen eines Epikureers“ von Joseph Wechsberg. Auch Wechsberg ist eine Legende. Eigentlich war Wechsberg politischer Journalist und Militärkorrespondent und schrieb für Magazine wie den „Esquire“ und den „New Yorker“. Er war aber auch ein begnadeter Genießer und gilt heute als einer der Altvorderen der schreibenden Kulinariker.

Die beiden Bücher erschienen etwa zur gleichen Zeit. Man könnte die Mitte des 20. Jahrhunderts als die Blütezeit der Forelle bezeichnen. Ob „blau“ oder „Müllerin“, sie waren auf allen Karten zu finden. Bis irgendwann die Saiblinge kamen. Diese Emporkömmlinge haben der Forelle den Rang streitig gemacht, und das obwohl die Zucht der Saiblinge aufwendiger ist. Obwohl die beiden zur gleichen Familie, den Salmoniden, gehören, brauchen die Saiblinge das Wasser eine Spur kälter und Sauerstoffreicher. Geschmacklich sind die Unterschiede dann eine Spur größer. Das Fleisch der Forelle ist delikat (im Sinne von feingliedrig und filigran) und eher würzig.

Im Vergleich dazu ist der Saibling ein aromatischer Schreihals, der auch einmal mit Zitrustönen überraschen kann. Außerdem haben sich die Saiblinge ins Herz vieler Fischliebhaber geschummelt, weil ihre Gräten weicher sind und sie überhaupt viel schneller filetiertsind als die Forellen. Lupenreiner Populismus, der von der Bequemlichkeit profitiert.

Im Reich des Fischers
Orts- und Szenenwechsel. Salzkammergut. Das Areal, auf dem sich die Teiche von Biofisch Großalm befinden, gehört den österreichischen Bundesforsten. Erkennungsmerkmal: viel Wald, ein altes Forsthaus und ein dezenter Hinweis darauf. Neben ihren Eigenfischereien am Grundl-, am Toplitz- und am Hallstätter See verpachten die Bundesforste österreichweit etwa 400 kleinere Fischereien. Ganz ähnlich wie bei den Jagdrevieren. Dabei unterstützen sie Pächter auch bei Projekten und Vorhaben in Sachen Ökologie, Naturschutz oder Wiederansiedlungsprojekte.

Bei Biofisch Großalm kümmert sich Markus Moser als Pächter um die Fische und die Teiche am Traunsee. Moser hat (fast) Fisch-DNA im Blut. Er ist Spross einer alten und eingesessenen Dynastie von Fischern (das war und scheint hier immer noch reine Männersache zu sein).

Das bedeutet konkret, dass es beim Futter verboten ist, Hormone, Antibiotika und Anabolika zu verschreiben. Mit Hormonen oder Anabolika wie etwa Methyltestosteron wird in der konventionellen Fischzucht versucht, bei den Fischen eine Geschlechtsumwandlung herbeizuführen. Dadurch entstehen im Teich überwiegend männliche Populationen, bei denen sich die Fische durch schnelleres Wachstum auszeichnen. Wodurch sich wiederum schnellere Produktionszyklen und mehr Umsatz ergeben.

In der biologischen Fischwirtschaft wird auf dieses Hilfsmittel verzichtet und beim Wachstum auf Zeit gesetzt. Der Einsatz von synthetischen Herbiziden, Pestiziden und Insektiziden ist ebenfalls untersagt. Letzteres würde auch wenig bringen, denn die Insekten, die auf den üppig bewachsenen Flecken rund um die Teiche leben, sind für Moser Teil des Futters. Der Hauptteil besteht jedoch aus biozertifiziertem Fischfutter, das nach strengen Richtlinien, im Fall des Produkts Aqua-Eco der Firma Garant auch frei von Zutaten aus dem Meer, hergestellt wird.

Dabei wird bei der Produktion auf Restematerial der Fischverarbeitung zurückgegriffen. Bei der Zucht von Salmoniden, wie sie bei Biofisch Großalm heranwachsen, kann auf tierisches Protein (noch) nicht verzichtet werden. Ein Besuch bei Markus Moser zahlt sich aus, weil man bei ihm ausgesprochen gute Forellen bekommt. Saiblinge natürlich auch, aber um die geht es hier nicht. Früher kamen öfter Besucher. Früher, damit ist vor der Pandemie gemeint. Da war „Biofisch Großalm“ noch ein Angelteich. Väter kamen mit ihren Kindern, hielten Angelruten ins Wasser und holten sich die Forellen für den Grillabend. Oder fürs Familienessen am Sonntag.

Im Laufe der Covid-Krise hat sich das aufgehört. Es kamen immer weniger Besucher und irgendwann hat Markus Moser entschieden, es sein zu lassen – das mit dem öffentlichen Angelteich. Dreimal in der Woche steht Markus Moser oder einer seiner Freunde oder Partner an einem der Märkte in der Region. Hin und wieder kommen auch BesucherInnen und kaufen direkt ab Teich.

Die ungebetenen Gäste
Zwei Besucher kommen allerdings immer noch regelmäßig. Oder versuchen es zumindest. Der Fischotter und der Fischreiher. Dass beide massive Schäden im Fischbesatz anrichten, ist bekannt. Beim Fischotter ist es ähnlich wie beim Wolf oder beim Fuchs. Der Hunger ist schnell gestillt, aber dann setzt der Blutrausch ein, und der Otter wird erst verschwinden, wenn sich nichts mehr bewegt. Und in einem kleinen Fischteich (die „Teiche“ ähneln teils kleinen Bachläufen der Aurach) bewegt sich lange was. Der Otter ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich streng geschützt.

In vielen deutschen oder österreichischen Bundesländern gibt es allerdings Ausnahmebestimmungen zur „Entnahme“. Jenseits dieser bleibt nur der Selbstschutz. Im Fall von Biofisch Großalm sieht dieser Schutz so aus: ein tief in die Erde gegrabener Zaun von etwa anderthalb Metern Höhe, verstärkt durch ein enges Mäusegitter und an der oberen Zaunseite mit einem Elektrodraht gesichert. Für den Otter ist das wie Fort Knox. Nur, dass er eigentlich nicht raus, sondern eher rein will. Um die Fische gegen den Fischreiher zu schützen, müsste eine Drahtkuppel über die Teiche gespannt werden. Das ist illusorisch und wäre vor allem auch unpraktisch.

Für jede Generation ein eigener Teich
Moser hat für seine Forellen mehrere Teiche in unterschiedlichen Größen. Für jede Generation einen. „Geerntet“, also abgefischt, werden sie mit einem Alter von zwei oder drei Jahren. Die dreijährigen Fische sind dann jedenfalls richtige Brocken und auch geschmacklich stellen sie die Jugend in den Schatten. Ähnlich wie beim Abfischen eines Karpfenteichs geht Moser und einer seiner Mitarbeiter watend durch den schmalen Teich und zieht die Fische mit einem Netz an einer Stelle zusammen. Danach werden sie mit Keschern, also kleineren Fangnetzen, aus dem großen Fangnetz gefischt und in großen Kübeln zur Schlachtbank gebracht.

Ein kurzer, heftiger Schlag auf den Kopf, ein schneller Schnitt den Bauch entlang, ausspülen, fertig für den Markt. Die Innereien, vor allem Leber und Rogen, bekommen Kunden, die danach fragen. Apropos Kunden. Die Biofische von Biofisch Großalm gibt es an Markttagen an verschiedenen Märkten im Salzkammergut.

Oder in der Gastronomie. Mittlerweile liefert Moser auch an Lukas Nagl, Österreichs Fischzampano, der im Bootshaus am Traunsee am Herd steht und gerade dabei ist, die Fischküche neu zu erfinden. Als eine seiner Vorspeisen serviert er Eis aus Kren und Gurken mit Forellenkaviar. Karpfen (Wildfang aus dem Mondsee) serviert er mit Roten Rüben, von der Aalrutte (die Markus Moser zwar auch gerne hätte, der empfindsame Fisch kommt aber mit den Bedingungen im Teich nicht zurecht) gibt es die Leber, und was nicht verarbeitet wird, kommt in Nagls Werkstatt und wird dort zu Garum fermentiert, einer intensiven Fischsauce, die als Umamibombe seine Küche (und viele andere) bereichert.

Säulen der Renaissance
Dass die Forelle wieder am Vormarsch ist und den Weg auf die Teller des Fine Dining zurückgefunden hat, nehmen wir überall im Land wahr. In den aktuellen Menüs finden wir etwa eine zur Perfektion geräucherte Kirchbichler Lachsforelle mit Waldorf-Salat (wieder so ein „altbackener“ Klassiker bei Christian Winkler in Rattenberg). Oder bei Mathias Wörgötter, einem frischgebackenen Sternekoch im weststeirischen Ligist. Er serviert die Forelle ebenfalls elegant über Apfelholz geräuchert mit Buttermilch-Kapuzinerkressesud, roh mariniertem Apfel und Algen-Goldstaub.

Natürlich wollen wir nicht, dass die Saiblinge aus der Küche verschwinden. Wie könnten wir? Ein Leben ohne Bluntausaibling ist zwar möglich, aber freudlos, und der zehn Tage gereifte Saibling mit Roter Rübe von Fabian Günzel im Wiener aend ist schon was, auf das wir ungern verzichten. Aber wir hätten wieder gerne mehr von der Forelle.

Bei Biofisch Großalm kümmert sich Markus Moser als Pächter um die Fische und die Teiche am Traunsee. Moser hat (fast) Fisch-DNA im Blut. Er ist Spross einer alten und eingesessenen Dynastie von Fischern (das war und scheint hier immer noch reine Männersache zu sein). Aber er ist nicht nur Züchter. Bis 2016 hatte er auch ein Café im Stadtkern von Gmunden. Außerdem ist er ausgebildeter Gastrosoph. Ein Mann, dem Lebensmittel und ihre Qualität am Herzen liegen. Bei seiner Fischzucht hat er sich für biologische Bewirtschaftung entschieden.

Zwei, die sich auskennen. Andreas Jobst (Jobst Forellen) und Hiroki Takahashi (Shiki) beim Koch.Campus am Traunsee.

Ikejime – der entspannte Tod
Es gibt noch etwas, das zum Trend beitragen könnte. Ikejime – die japanische Methode, Fischen einen schönen (weil stressfreien und entspannten) Tod zu schenken. Beim Koch.Campus am Traunsee im vergangenen Herbst zeigten Andreas Jobst (ein Name, der übrigens immer wieder auftaucht, wenn der Service in Top-Restaurants einen Forellengang ankündigt) und Hiroki Takahashi von der Shiki-Academy, wie Ikejime funktioniert. Der Grund ist vor allem, dass die Muskulatur (und damit das Fleisch) unter Stress völlig übersäuert, weil die Versorgung mit Sauerstoff unterbrochen wird bzw. nicht mehr gewährleistet werden kann.

Hier kommt Ikejime ins Spiel. Durch einen gezielten und präzisen Nadelstich in den Spinalkanal des Rückgrats erfolgt der sofortige Nerventod. Danach sollte der Fisch ein bis zwei Tage reifen. Tut er das nicht, sind geschmackliche Dff!erenzen so kristallklar zu erkennen, dass sogar Ungeübte den Unterschied merken. Als Regel gilt auch: Je größer der Fisch, desto dicker der Draht, der in den Kanal eingeführt wird. Während bei Forellen und Saiblingen schmale Drähte reichen, hätte man bei dem knapp 300 Kilo schweren Bluefin-Tuna, der kürzlich in Millstatt zerlegt und verarbeitet wurde, auch locker einen Langlaufstock für die Schlachtung verwenden können.

Lukas Nagl, Executive Küchenchef der Gröller Hospitality am Traunsee mit gereiftem Fisch für die Verkostung von gereiftem Fisch anlässlich des letztjährlichen Koch.Campus am Traunsee.