GIPFELSTÜRMER
WÖLFE UND SCHAFSOHREN
Text & Fotos: Jürgen Schmücking
Ich habe Mühe, Schritt zu halten. Eigentlich machen wir ja nur einen „gemütlichen Almspaziergang“. Aber wenn man mit Reinhold Messner in die Berge geht, ist Kondition gefordert. Dabei hat die Bergsteigerlegende seinen 80. Geburtstag schon länger hinter sich. Aber ich will möglichst nahe bleiben, um seinen Ausführungen zu lauschen. Über seine vergangenen Abenteuer, die ihn weltberühmt gemacht haben, brauchen wir nicht viel zu reden. Die sind in den rund 80 Büchern, die Messner geschrieben und/oder herausgegeben hat, schon ausführlich erzählt.
Uns interessiert mehr, was er zum Spannungsverhältnis zwischen Naturschutz und der landwirtschaftlichen Nutzung der Berge zu sagen hat. Wir sind am Weg zu Sennereien in Mühlwald und wollen die dort oben produzierten Käse zu verkosten.
Mit Rinden und Wacholderbeeren
Die erste Station ist der Hof „Eggemoa“ der Familie Steiner. Unter Freunden alpiner Käsekultur ist „Eggemoa“ bereits ein klingender Name. Hier, auf 1.300 Metern Seehöhe wird die Milch von 20 Kühen verarbeitet. Ausschließlich Rohmilch, von Hand gebürstet und mit Lärchen- und Fichtenrinde oder Wacholderbeeren verfeinert. Was eben so wächst im Ahrntaler Mühlwald. Messner kostet und ist begeistert. Er stellt Fragen zur Milch und zu den Rindern. Ein wacher, klarer und neugieriger Geist. Immer noch. Dann geht es weiter zur nächsten Sennerei, der Hofkäserei Mittermair. Sie liegt nur ein paar Höhenmeter oberhalb von Eggemoa. Ein halbstündiger Spaziergang. Bekannt ist der Betrieb für seinen Graukäse. Genauer gesagt für den Ahrntaler Graukäse. Dieser wurde von Slow Foods „Arche des Geschmacks“ als Presidio-Produkt ausgezeichnet. Ein Adelsschlag in Sachen Handwerk und Geschmack. Ein Käse sticht heraus: hochgradig gereifter, fast flüssiger Graukäse. Für Durchschnittsesser eher eine Bio-Waffe, für Kenner und experimentierfreudige Genießer der Käse-Himmel auf Erden.
Reinhold Messner kostet die Käse der Familien Steiner und Mittermair und ist begeistert. Er stellt Fragen zur Milch und zu den Rindern. Ein wacher, klarer und neugieriger Geist. Immer noch.
Der Wolf und das Schaf
Wenn man im Sommer auf einer Südtiroler Berghütte jausnet, zeigt sich die Welt von ihrer schönsten Seite. Ich komme ins Schwärmen. Natur und Mensch scheinen am Berg doch harmonisch auszukommen. Doch Messner ist immer noch ein streitbarer Geist und widerspricht. Wenn auch künftige Generationen so einzigartige Käse kosten können sollen, muss das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ohne ideologische Scheuklappen gestaltet werden. Er fühle sich nach wie vor als Grüner. Schließlich war er auch fünf Jahre für die italienische Grünpartei Abgeordneter im Europaparlament.
Der Naturschutz liegt ihm am Herzen, wenn er zusammen mit Kulturschutz gedacht wird. Stolze Bergbauern wollen sich nicht als reine „Landschaftspfleger“ instrumentalisiert sehen. Aber ohne diese „Landschaftspflege“ wären unsere Berge unwirtliche und unzugängliche Landschaften. Zwar befürwortet Messner prinzipiell die Wiederansiedlung von Wölfen in der Südtiroler Bergwelt. „Ein unkontrolliertes Wachstum der Wolfspopulation stellt eine existenzielle Gefahr für Nutztierhalter in den Alpen dar. Eine gezielte Bejagung ist deshalb unumgänglich“, so der Natur-und Kulturfreund.
In Österreich – und auch in Südtirol – wird die Wolfsdebatte intensiv und vor allem emotional geführt. Das Erstaunliche daran: Auf der Seite der Wolfsbefürworter findet man oft Naturschutzverbände, NGOs, die sich mit Umwelt- und Klimathemen befassen, und grüne Parteien. Messner spricht nicht von Ausrottung, sondern von „Regulierung“. Ihm geht es um den Schutz und die Erhaltung der Almwirtschaft.
Messner selbst wuchs in Vilnöß auf. In einem Haushalt mit vielen Kindern. „Wir lernten früh, den Stall zu machen, Hühner zu rupfen und die Kühe zu melken“, erinnert sich Messner. Die kleinstrukturierte Landwirtschaft Südtirols ist für Reinhold Messner nicht nur eine tragende Säule seiner Heimat. Sie ist vielmehr in seiner DNA verankert.
Verkehrte Rollen? Im Olm schwingt Reinhold den Kochlöffel, dafür gönnt sich Diane eine Auszeit.
Treibstoff mit Geschmack?
Als Extremsportler war Messner Asket und kein Gourmet. Wenn es darum ging, wochenlang in den abgelegensten Gegenden der Welt unterwegs zu sein, war die Planung des Proviants eine Überlebensfrage. Wenn jedes Gramm zählt, das man in den Rucksack packt, rücken Fragen des Geschmacks in den Hintergrund. Da geht es nur darum, ausreichend Treibstoff für das Funktionieren des Körpers zur Verfügung zu haben
In der Not frisst der Teufel Fliegen, sagt der Volksmund. Ich wollte wissen, was Messners größte Herausforderung in Sachen Geschmack war. Was war sein „kulinarischer Achttausender“? Die Antwort erfolgt prompt: Schafsohren! Man findet die Geschichte dazu in seinem Buch über die Durchquerung der Wüste Gobi. Es war ein gemeinsames Mahl in einer Jurte mit Hirtennomaden. Schafsohren klingen für Nose-to-Tail erprobte Genießer zunächst nicht sonderlich aufregend. Max Stiegl macht eine hervorragende Schweinsohren-Terrine, die es in Österreichbereits ins Fernsehen geschafft hat. Also schon fast mehrheitsfähig. In der Jurte wurde rustikaler gewerkt. Die Ohren wurden nah an der Wurzel vom Schafskopf getrennt und dann gekocht. Anschließend auch noch etwas gebraten und dann genau so in einer Schüssel serviert. Messner fasste zuerst Mut, dann das Ohr und zutzelte Knorpel, Fett und Gallerte heraus. Es war allerdings nicht Hunger oder kulinarische Neugier, die ihn trieb. Vielmehr der Respekt. Sowohl vor dem Tier, aber auch und vor allem vor seinen nomadischen Gastgebern. Ähnlich ging es ihm bei den Schafsaugen in Kirgisistan. Bei uns ein Tabu, dort aber eigentlich eine Köstlichkeit. Vor allem die kleinen Muskeln und das gallertige Gewebe rund ums Auge. So gut, dass er das auch in Südtirol nachgekocht hätte, waren sie nicht, aber darum ging es auch nicht.
Die schroffe Südtiroler Bergwelt ist Heimat von Mensch und Tier.
Reinhold und Diane Messner wandern für den Schutz und die Erhaltung der Almwirtschaft.
Am besten schmeckt die Jause am Berg mit den Dingen, die es schon oben gibt und nicht erst mühsam heraufgebracht werden müssen.
Die Eggemoa-Käse sind über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Am besten schmecken sie jedoch vor Ort.
Reinhold Messner hat sich im Laufe der Jahre zu einem verantwortungsbewussten Genießer entwickelt. Das hat auch mit seiner Frau Diane zu tun, mit der er beachtliche landwirtschaftliche Nachhaltigkeitsprojekte auf die Beine gestellt hat. Um die reine sensorische Sensation auf der Zunge ist es ihm nie gegangen. Aber wie, wo und von wem ein Lebensmittel hergestellt wird, ist ihm sehr wichtig geworden. Das war für Messner auch der Grund, sich für den Auftakt der Veranstaltung „OLM People“ zur Verfügung zu stellen, zu der auch unsere gemeinsame Almwanderung gehörte.
Das OLM Nature Escape ist ein außergewöhnliches Aparthotel bei Sand in Taufers. Umweltschonend gebaut und geführt, in der Küche mit einem hohen Anteil an Bio-Lebensmitteln und einer Architektur, die ganz klar in die Zukunft weist. Summa summarum ein wunderbares Match, der Messner und das OLM.



