NORDLICHTER
IM KORB STATT UNTER PALMEN
Text: Wolfgang Schedelberger // Fotos: Sylt Marketing, Martin Elsen, Monica Gumm
Statt bei tropischen Extremtemperaturen unter Sonnenschirmen zu schmachten, verbringt man hier den Strandurlaub bevorzugt in Alle anderen Aktivitäten – von langen Strandspaziergängen bis zum Radfahren – machen bei gemäßigten Temperaturen ohnehin viel mehr Spaß. Eng wird es hier nicht einmal im Hochsommer. Mit mehr als 40 Kilometern Länge könnte man am Weststrand sogar einen Marathon laufen – one way! Die dicht bewachsenen Dünen stehen unter Naturschutz und ergeben eine zauberhafte Landschaft, die an fremde Welten erinnert.
Sylt hat einen der längsten – und schönsten – Strände Europas und die bewachsenen Dünen formen eine wundervolle Landschaft, die zu Fuß und mit dem Fahrrad gut zu entdecken ist.
Auf zwei Rädern durch die Gegend
Will man die unterschiedlichen Strandabschnitte – von Hörnum im Süden bis List im Norden – erforschen, nimmt man am besten ein E-Bike. Das macht fast jeder hier. Außer im Hauptort Westerland, wo ein paar Bausünden aus den 1960er- und 70er- Jahren das Ortsbild stören, sind fast alle Häuser im traditionellen Stil mit den typischen Reet-Dächern gehalten. Die Wahl des Quartiers hat weniger mit der Lage zu tun, sondern ist eher eine Frage des Budgets und der Verfügbarkeit. Große Hotels wie das Golfhotel Budersand (ganz im Süden) und das Arosa (ganz im Norden) sind die Ausnahme. Dafür gibt es zahlreiche Pensionen und charmante Kleinhotels, wie etwa das Landhaus Stricker. Das schönste und exklusivste Haus ist der Söl’ring Hof in Rantum. Mit lediglich 15 Zimmern ist das Fünf-Sterne Hotel allerdings fast immer ausgebucht.
Ein Besuch lohnt sich trotzdem, weil sich hier das einzige Zwei-Sterne-Restaurant der Insel befindet. Der Aperitif auf der kleinen Terrasse, die mitten in den Dünen liegt, ist bei Schönwetter Pflicht. Danach geht es in den eleganten Gastraum, wo Patron und Küchenchef Jan-Philipp Berner einen großartigen Gang nach dem anderen schickt. Nicht minder spannend, was Sommelière Bärbel Ring dazu glasweise einschenkt. Auf bekannte Nobeletiketten verzichtet sie dabei bewusst. Die kann man, wenn man unbedingt will, flaschenweise bestellen. Wir bekamen unter anderem einen trockenen Madeira und einen Assyrtiko aus Santorin zu kosten.
Weinnarren unter sich
Ähnlich umfangreich wie im Söl’ring Hof ist der Weinkeller in Jörg Müllers gleichnamigen Restaurant. Österreichische Winzer sind hier genauso gut vertreten wie alle großen Namen aus dem Bordeaux. Heimische Zalto-Gläser garantieren eine entsprechende Tischkultur. Patron Jörg Müller schaut im Hintergrund noch immer nach dem Rechten, im Gastraum gibt mit Schwiegersohn Ben Birkholz schon die nächste Generation den Ton an. Ursprünglich stammt Jörg Müller – wie auch sein berühmter Bruder Dieter – aus dem Schwarzwald. Über ein paar Umwege landete Jörg Müller 1983 auf Sylt. Zunächst waren die hohen Auszeichnungen von Gault & Millau und Michelin noch hochwillkommen, seit 2014 verzichtet er jedoch auf Auszeichnungen jeglicher Art.
Im Laufe der Jahre kamen Gästezimmer in den benachbarten Gebäuden hinzu, sodass am Rande von Westerland eine dezent-luxuriöse Genussoase entstanden ist. Die Küchenlinie ist klassisch-französisch ohne viel Chi-Chi. Allein die im Ganzen gebratene Seezunge lohnt den Weg hierher. Gemeinsam mit seinem Schwiegervater bewirtschaftet Ben Birkholz seit 2020 einen kleinen Weingarten, der mit der Piwi-Rebsorte Solaris bepflanzt ist. Die Ernte beträgt nur wenige hundert Flaschen und ergänzt die umfangreiche Weinkarte um eine regionale Rarität.
Eldorado für Weinfreunde
Eine gehobene Trinkkultur erfährt man auf Sylt an vielen Orten, sogar in der legeren Sansibar, dem wohl berühmtesten Lokal der Insel. Auch wenn das Ambiente vor allem mit Lässigkeit überzeugt und das Service einen bewusst lockeren Umgang pflegt, liest sich die Weinkarte wie in einem anspruchsvollen Luxusrestaurant. Muss man die Sansibar mögen? Der Hype, den die Betreiber mit einer Vielzahl an überteuerten Merchandising- Artikeln bis hin zu einem eigene Modelabel befeuern, mag irritieren. Gleichzeitig ist es wirklich nett, in einem Strandkorb in den Dünen sitzen zu können und dabei großartige Weine zu schlürfen.
Weniger Trubel herrscht im beschaulichen Keitum, wo Johannes King seinen Genussshop samt kleinem Bistro betreibt. Man radelt an malerischen Villen vorbei, die ein zauberhaftes Ensemble eines idyllischen Dorflebens ergeben. Allerdings stammen die wenigsten Bewohner tatsächlich aus Sylt, weil die Häuser viel zu teuer geworden sind. Angeblich werden in dieser Gegend die höchsten Immobilienpreise Deutschlands verlangt – sofern überhaupt jemals eine Villa offiziell zum Verkauf steht. Hier residiert das alte Geld.
Söl’ring Hof: Jan-Philipp Berner begeistert die Gäste mit seiner 2-Sterne Küche, Sommlière Bärbel Ring steuert die passenden Weine bei – positive Überraschungen inklusive.
Jörg Müller und Ben Birkholz sind zwei echte „Weinnarren“. Jetzt haben sie sogar einen eigenen Weingarten auf Sylt, der den Weinkeller in Jörg Müllers gleichnamigen Restaurant mit kleinen Chargen ergänzt.
Eine Insel für alle
Trotz dieses Luxusimages, das nicht zuletzt auf die legendären Jet-Set-Partys zurückgeht, die Gunter Sachs in den 1960er-Jahren veranstaltet hatte, ist das heutige Sylt bei Urlaubern aus allen sozialen Schichten beliebt. Es gibt hier auch Campingplätze, Jugendherbergen sowie günstige Pensionen und Ferienwohnungen. In angesagten Lokalen wie dem Schröders, dem Bodendorf’s oder Oma Wilma Heimatküche sollte man in der Hochsaison natürlich reservieren. Wesentlich teurer als in Österreich (oder Kroatien) ist gutes Essen auf Sylt allerdings nicht. Besonders fein sind Fischbrötchen, wie man sie etwa in der Goldenen Möwe bekommt. Sehr beliebt ist auch das Gosch in der Alten Bootshalle in List, das mittlerweile auch Ableger in Westerland und Wenningstedt-Braderup betreibt. Ein paar Austern (Sylter Royal!) bieten sich als kleiner Snack zwischendurch immer an.
Vom Glamour vergangener Tage lebt Rantum, doch weder die Kupferkanne, vor der sich im Sommer lange Warteschlangen bilden, noch die berühmt-berüchtigte „Whisky-Meile“ lohnen einen Besuch. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die frühen Essenszeiten. Reservierungen werden bereits ab 17 Uhr entgegengenommen. Ein frühes Dinner und der späte Sonnenuntergang haben ihren eigenen Charme und auch eine praktische Seite: Man kann nach dem Abendessen gemütlich bei Tageslicht ins Quartier radeln und den finalen Absacker zu Hause genießen. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung.
w0&wie
Sylt
Die meisten norddeutschen Gäste kommen mit der Bahn oder dem eigenen PKW, der mit dem Autozug über den Bahndamm auf die Insel gelangt. Von Österreich bietet sich die Anreise mit dem Flugzeug an.
Von Ende Juni bis Anfang September gibt es jeden Samstag einen Direktflug mit Austrian ab Wien. Auch über Düsseldorf und Zürich kommt man recht zügig nach Sylt.



