LUST & LIEBE

PLASTIK ODER BIO

Text: Martina Bücher // Illustration: Michael Otto

Wie jeden Samstag um die gleiche Zeit sieht Eugen ein bisschen verloren aus. Wie wird er sich diesmal entscheiden?

Illustration: Michael Otto

Hilflos greift er zum Einkaufszettel und starrt auf die eilig hingekritzelten Worte. Er gibt sich einen Ruck und greift zu. Diesmal hat er sich für die plastikverpackten Bioparadeiser aus Italien entschieden. Bio oder plastikfrei, Lieferwege oder Spritzmittel, palmöl- oder zuckerfrei, das Einkaufen ist für ihn mittlerweile zu einer echten Aufgabe geworden. Zu viele Entscheidungen, zu viele Kompromisse. 

Privat hält er es ganz anders. Egal ob aus Gramatneusiedl oder Tokio, Hauptsache schön Plastik. Am besten innen wie außen. Eugen steht auf fake und Latex. Voluminöses Haar, staubwedeldicke Wimpern, richtig fetter Schmollmund und der Rest unerkenntlich in glänzend-glatten Naturkautschuk geschält. Das einzig natürliche, das ihn antörnt. Und wenn dann der Körper so vor ihm steht, aufgebauscht und eingezwängt, dann ist es ihm auch egal, wer da wirklich drin steckt. Er greift ohne Zögern zu.

Das Entscheidungsdilemma beim Einkaufen kennt Lukas auch. Ökologisch sinnvoll zu entscheiden, ist nicht immer leicht. Wer Bio will, musst gelegentlich Plastikverpackungen oder lange Lieferwege in Kauf nehmen. Bei Frauen hingegen ist es für ihn klar. Lukas mag‘s natürlich, durch und durch. Schon ein Hauch Parfum stößt ihn ab, Frau soll schließlich auch nach Frau riechen. Mit rasierten Beinen kann er, wenn nötig, gerade noch zurechtkommen, alles andere muss originalgetreu erhalten und möglichst selten gewaschen sein, um ihn sexuell zu begeistern. Hier kennt er keine Kompromisse.

Nach außen sehen Eugens und Lukas‘ sexuelle Ideale völlig unterschiedlich aus, im Grunde haben beide eins gemeinsam – sie haben eine sehr enge Vorstellung davon, was für sie sexuell attraktiv ist. Sie haben das entwickelt, was man gemeinhin einen Fetisch nennt. Was nach außen verrucht und geil klingt, ist bei genauerer Betrachtung nichts anderes als eine massive Einschränkung im Lustempfinden. Eugen kann mit einer echten Brust im Spitzen-BH so wenig anfangen, wie Lukas mit bepinselten Zehennägeln. Schon die kleinste Abweichung vom erotischen Plan in ihrem Kopf bedeutet für beide den totalen Lustkiller. Das Objekt der Begierde hat genau so zu erscheinen, wie die beiden es sich vorstellen und bleibt damit am Ende nicht mehr als das: ein Objekt. 

Beim Sex geht es für beide nicht um den erotischen Austausch mit einem anderen Menschen, sondern um die genaue Erfüllung einer bestimmten sexuellen Vorstellung. Das erlaubt wenig Flexibilität und kaum Einmischung der beteiligten Person. Das macht den Unterschied zu einer einfachen Vorliebe aus. Beim Fetisch gibt es kein Wenn und Aber. Nur unter dieser einen, bestimmten Voraussetzung kann lustvoll gespielt werden. Alles andere funktioniert einfach nicht.  

Klar, dass man da ein bisschen länger suchen muss, um die entsprechenden Wünsche auch erfüllt zu bekommen. In herkömmlichen Bars werden beide selten fündig. Sie bedienen sich zumeist spezieller Fetischseiten im Internet, um Gleichgesinnte zu finden. Am Ende ist ihnen beiden der Aufwand oft zu groß und sie finden sich alleine bei den immer gleichen Pornofilmchen wieder.

Solche Menschen wirken oft verrucht und dadurch auch attraktiv, weil sie sich als sexuell offen und aktiv darstellen. Schlussendlich spielt sich jedoch das Meiste im Kopf und nicht in der Hose ab. Mit den Tomaten haben beide nun mehr Glück, die kaufen sie jetzt beim Biobauern am Markt. Ein Problem weniger.

wer&was

MARTINA BUCHER

Martina Bucher ist Psychologin, klinische Sexologin und Kommunikationstrainerin. Sie begleitet Menschen bei Anliegen zu den Themen Sexualität, Bewusstheit und Genuss. Mit ihren Texten verknüpft sie ihren Beruf mit ihrer Leidenschaft für Gastronomie.

martina.bucher@lustundleben.at