LUST & LIEBE
WAS, WENN DAS FEUER ERLISCHT?
Text: Martina Bücher // Illustration: Michael Otto
Kulinarisch ist der Sommer für Jo nur schwer zu ertragen. Menschen, die im Herbst auf der Straße Maroni essen, okay, das geht für ihn gerade noch. Aber die sommerliche Eisschleckerei an jeder Ecke ekelt ihn an. Verschmierte Zungen ragen aus allerlei Mündern, es wird gesabbert und gepatzt, Eiströpfchen hängen in Bärten oder Mundwinkeln.
Illustration: Michael Otto
Und all das nur mit ein paar Scheiten Holz. Abgesehen davon müsse sich auch das Sexleben der Urzeitmenschen dramatisch erweitert haben. Statt der obligatorischen Keule über den Kopf gab es plötzlich unterhaltsame Dates mit Schattentheater, Opossum vom Grill und romantische Stunden am Lagerfeuer auf Wollhaarmammutleder und Säbelzahntigerfell.Â
Seit gut 32.000 Jahren spielen Menschen gekonnt mit dem Feuer. Trotz Induktionsherd, Konvektomat und Thermomix – Feuer bleibt nach wie vor die beeindruckendste aller Kochmethoden. Seit über hundert Jahren wird an allen Ecken und Enden flambiert, die aschigen Würstel am Lagerfeuer sterben ohnehin nie aus. Und die Flammen, die beeindruckend wild nach oben züngeln, sind in jeder offenen Küche absolute Hingucker. Ja, Feuer hat Unterhaltungswert.Â
Was wäre eine opulente Bühnenshow ohne Windmaschine und spektakulärer Pyrotechnik? Ina kann sich kaum halten, die Liste scheint schier unendlich. Joe wird schön langsam ein bisschen mulmig im Magen. Er hat das Gefühl, dass ihn eine menschliche Urangst von innen packt und einschnürt. Was, wenn das Feuer erlischt?
Nachdenklich schaut er Ina beim Schwärmen zu. Sie spricht von Feuerwerk, offenen Kaminen, prächtigem Farbenspiel und wohliger Wärme. Ihm wird kalt. Egal, wie groß der Funke auch war, bis jetzt hat er noch jedes leidenschaftliche Feuer zwischen zwei Menschen langsam verglühen sehen. Er denkt an seine Eltern Freunde und Bekannte, die jahrelang versucht haben, eine wärmende Glut in ihrer Partnerschaft aufrecht zu erhalten und schlussendlich doch gescheitert sind. Statt liebevoller Wärme gab es am Ende kalten Krieg. Es scheint ihm, als ob niemand in der Lage wäre, das Feuer einer Liebe dauerhaft aufrecht zu erhalten. Damit hat er wahrscheinlich recht. Er überlegt kurz, seine Sachen zu packen und Ina hinter sich zu lassen, bevor die Liebe erlischt und die Dunkelheit ihn einholt. Die Dunkelheit macht ihm Angst.
Feuer kann leicht und oft auch unerwünscht entstehen. Ein bisschen trockenes Gras, eine falsch platzierte Glasscherbe im Sonnenlicht – puff, schon brennt der ganze Wald. Doch wenn man Feuer machen will und weder Feuerzeug noch Zündhölzer hat, kann es ganz schön kompliziert werden. Wer schon einmal versucht hat, selbst Feuer zu bohren oder zu sägen weiß, dass, diese Aufgabe nicht nur zeitaufwändig, sondern auch schweißtreibend und frustrierend sein kann. Daher gilt für Outdoor- und Survivalexpert*innen die Devise, ein einmal entfachtes Feuer nicht ausgehen zu lassen. Darüber zu wachen und regelmäßig für Holznachschub zu sorgen ist fast ein Vollzeitjob.Â
Joe fühlt sich müde, Ina schwärmt fröhlich weiter. Joe hört ihre Stimme und fühlt etwas Wohliges in sich hochklettern. Er stoppt ihren Redeschwall mit der Frage, ob sie lernen wolle, Feuer zu machen, er sei bereit. Sie klatscht freudig in ihre Hände und lacht: „Ja, lass uns das tun!“
wer&was
MARTINA BUCHER
Martina Bucher ist Psychologin, klinische Sexologin und Kommunikationstrainerin. Sie begleitet Menschen bei Anliegen zu den Themen Sexualität, Bewusstheit und Genuss. Mit ihren Texten verknüpft sie ihren Beruf mit ihrer Leidenschaft für Gastronomie.