20ER JUBEL

DIESES HAUS IST WIRKLICH ANDERS

Man kann hier ĂĽbernachten, im See baden und zu Essen bekommt man auch etwas. Trotzdem fĂĽhlt sich die Villa Verdin in Millstatt so gar nicht wie ein typisches Urlaubshotel an.

Text: Wolfgang Schedelberger // Fotos: Otto Michael

Foto: Otto Michael

War es unternehmerischer Mut oder Blauäugigkeit? Das lässt sich rückblickend nicht mehr so genau beantworten. Als Gianni Mangini und Thomas Helml im Mai 2002 die Villa Verdin aufsperrten, wussten sie nicht wirklich, worauf sie sich dabei eingelassen haben. Gianni hatte zwar zuvor immer wieder als Kellner gejobbt, aber das war es dann auch schon mit Branchenkenntnis und Fachwissen.

Doch Beide konnten gut mit Menschen, der an Mode interessierte Gianni hatte ein feines Gespür für Einrichtung und Gestaltung und Thomas war schon in jungen Jahren als international tätiger Speditionsunternehmer sehr erfolgreich. Er wusste also, über geschäftliche Belange gut bescheid. Dass er einmal hauptberuflich kochen würde, hätte er vor 15 Jahren nicht für möglich gehalten.

Der Charme der alten Sachen

Die Villa Verdin ist fast 200 Jahre alt und kam nach dem zweiten Weltkrieg mit der Auflage, das Haus der Öffentlichkeit zugänglich zu erhalten, in den Besitz der Gemeinde. Diese verpachtete es als Hotelbetrieb, doch der Tourismus am Millstätter See entwickelte sich ab den 1970er Jahren nur schleppend, wie ein Rundgang durch den verschlafenen Tourismusort auch heute noch belegt. Mondän, angesagt oder irgendeiner Weise chic war damals gar nichts. Das galt auch für das Hotel Hubertusschlössl, das vom damaligen Seewirt als Dependence bespielt wurde, um den eigenen Gästen einen attraktiven Badeplatz bieten zu können. Diejenigen, die im wenig komfortablen Ableger übernachten „mussten“, pilgerten zum Abendessen in den Seehof, denn gekocht wurde im Schlössl nicht.

„Mich hat das Haus von Anfang an fasziniert, obwohl die Einrichtung schrecklich war. Es ist ein Ort zum Träumen und die Lage ist ohnehin nicht zu toppen“, erinnert sich Thomas an seinen ersten Besuch im Märchenschloss. Der gebürtige Wiener, der früher beruflich zwischen Los Angeles, New York, Hamburg und Wien gependelt war, sah im beschaulichen Millstatt, von wo sein Partner Gianni stammt, einen Ort, an dem er gerne leben würde. „Nach dem Verkauf meines Unternehmens hatte ich einiges Geld auf der Seite aber keinen genauen Plan, was wir eigentlich machen wollten. Das Leben war gut, aber ich war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Wir hatten uns ein Jahr lang Bauernhöfe und Almen angeschaut, bevor wir hörten, dass das Hubertusschlössl zu haben wäre“, erinnert sich Thomas. Es gab zwar auch andere Interessenten, die sogar viel Geld in Umbauten investieren wollten, aber die Gemeinde wollte die historische Bausubstanz erhalten und gab schlussendlich Gianni und Thomas den Zuschlag für einen zehnjährigen Pachtvertrag, der vor fünf Jahren verlängert wurde.

Freunde oder Gäste

Wann die Villa Verdin tatsächlich ihren Betrieb aufnahm, lässt sich nicht so einfach feststellen. „Wir haben einen sehr großen Bekanntenkreis und viele unserer Freunde haben angeboten, gegen Kost und Logis bei der Renovierung mitzuhelfen. Einige sind dann im Sommer als Gäste gleich wieder gekommen. Der Übergang war fließend“, erinnert sich Gianni an die wilden Eröffnungstage und –nächte im Sommer 2002. Vor allem das Ausmalen aller 24 Zimmer war eine zeitraubende Aufgabe, weil sich Gianni nicht auf langweiliges Weiß beschränken wollte. Jedes Zimmer hat eine andere Farbe und ein anderes Thema. So ist eine kunterbunte Villa entstanden, die so gar nicht wie ein normales Hotel wirkt. Das gilt auch für die allgemein zugänglichen Bereiche, die einem bunten Sammelsurium aus außergewöhnlichen Einzelstücken gleichen. Das war weniger einem strengen Konzept geschuldet, sondern aus der Not geboren, in kürzester Zeit aufsperren zu müssen. 

„Es ist ein sehr individueller Mix geworden, der einfach perfekt zu uns passt. Manche Gäste meinen, dass sie sich bei uns nicht wie in einem Hotel, sondern mehr wie zu Gast bei Freunden fühlen. Und das stimmt ja irgendwie auch, weil ich selbst ganzjährig in der Villa wohne. Sie ist tatsächlich mein Zuhause“, meint Thomas. Das ganz spezielle Flair dieses Hauses hat jedoch weniger mit dem schrägen Ambiente und mehr mit den Gästen zu tun. Vor allem am Anfang waren hier viele Freunde zu Gast, was den lockeren Umgangston geprägt hat. Wer diesen entspannten Zugang nicht schätzt, steigt besser anderswo ab. Doch siehe da, von Jahr zu Jahr kamen immer mehr Gäste, die genau das suchen. Im letzten Sommer war von Mitte Juni bis Mitte September jedes Zimmer an jedem Tag belegt – und das ganz ohne Buchungsplattformen oder externen Vertriebspartnern. Auch auf der eigenen Website gibt es keine direkte Buchungsmöglichkeit. „Das würde nicht funktionieren. Wir haben sehr individuelle Gäste und sehr unterschiedliche Zimmer. Damit sich alle wohlfühlen, planen wir die Belegung der Zimmer sehr genau“, erklärt Gianni.

Foto: Otto Michael

Reden, lesen, nichts tun

Doch trotz der idyllischen Lage und dem stimmungsvollen Ambiente, stellt sich die Frage, was die Gäste den ganzen Tag machen? Ein „Bespaßungsprogramm“ wird genauso wenig geboten, wie TV-Geräte am Zimmer. „Manche Gäste brechen tagsüber zu Ausflügen auf, aber der Anteil jener, die unser Areal tagelang nicht verlassen ist erstaunlich hoch. Gerade Menschen, die beruflich stark gefordert sind, genießen es bei uns, Ruhe zu geben, nette Gespräche zu führen und ein gutes Buch zu lesen. Die Italiener sagen ‚Dolce far niente’ dazu“, erklärt Thomas, der sich übrigens laufend um die richtige Musik an der Bar und im Salon kümmert. Ein Thema, das von vielen Hoteliers und Gastronomen unterschätzt wird und für die Stimmung, die an einem Ort herrscht, doch so entscheidend ist. 

Thomas ist jedoch nicht nur Hausmeister, Buchhalter und DJ sondern vor allem auch Küchenchef der Villa Verdin – eine Rolle, die eigentlich nicht geplant war. „Wir hatten anfangs professionelle Köche engagiert, aber das hat einfach nicht richtig funktioniert. Wir wollten weder eine verspielte Haubenküche noch eine typische Hotelküche mit Convenience-Produkten. Ich habe mich mehr und mehr eingemischt, dann angefangen mitzukochen und irgendwann entschieden, dass ich das am besten selbst mache“, erinnert sich Thomas. Eine Speisekarte im herkömmlichen Sinn gibt es nicht, für die Hausgäste wird abends ein Menü gekocht, bei dem man auf Sonderwünsche oder Unverträglichkeiten gerne Rücksicht nimmt. Seit ein paar Jahren gibt es auch einen eigenen Gemüsegarten, in dem Thomas so viel wie möglich selbst anbaut. 

Eine Zeit lang hat man auch für auswärtige Gäste gekocht, doch das hat aus verschiedenen Gründen wieder sein lassen. Neben der Registrierkassenpflicht, die verpflichtend vorschreibt, jede Bestellung sofort zu bonieren, gab es die Schwierigkeit, gutes Personal zu finden. Hat man nur Hotelgäste im Haus, ist vieles einfacher. So können sich jetzt die Gäste Getränke aus dem Kühlschrank an der Strandbar selbst entnehmen und ihre Konsumation auf einer Liste eintragen, was bis jetzt problemlos funktioniert. Als Geschäftsmodell für ein öffentliches Lokal wäre dies vielleicht doch ein etwas großer Vertrauensvorschuss. Für die Hausgäste der bunten Villa ist dies jedoch nur ein weiteres Signal, dass man hier nicht in irgendeinem Hotel, sondern bei Freunden zu Gast ist.

Fotos: Otto Michael

ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE

Der Naturgarten „Tschall“ zwischen Seeboden und Millstatt ist das 3000 Quadratmeter Platzerl, das Thomas und Gianni gepachtet haben, um ihren Gästen feines von Mutter Natur als Köstlichkeit am Teller servieren zu können. Gärtnerin Melanie Reiter baut jedes Jahr eine große Vielfalt an Pflanzen an, wie Artischocken, Zucchini, Kürbis, Kraut, Gurken, Kräuter aber auch Beeren und vieles mehr. Mit viel Liebe und Experimentierfreudigkeit bewirtschaftet sie den Naturgarten in Mischkultur ohne Chemie, achtet auf eine regelmäßige Fruchtfolge und probiert immer wieder auch Neues aus. Die Gäste freut’s, weil was reif ist landet in der Küche und ist auf der Speisekarte frisch angeschrieben.

GESCHICHTEN VOM BOOTSBAUER

Gottlieb Strobl hat sein ganzes Leben am See verbracht und so ein reiches Repertoire zu seiner Geschichte. Der pensioniere Bootsbauer liebt seine alten handgearbeiteten Zweispitzboote und den See sowieso. Fast täglich rudert er früh morgens raus, gerne auch mit Gästen über den See zum Südufer und erzählt dabei leidenschaftlich einige seiner wundervollen Geschichten aus sieben Jahrzehnten am See. Respektvoll denke ich mir nach meiner Ausfahrt mit ihm: „So einfach und großartig, kann das Leben sein“ Danke, Gottlieb!