STREIFZÜGE

KNOCKIN’ ON HEAVEN’S DOOR

In Innsbruck klopft ein ambitioniertes Restaurant mit neuem Standort und Konzept an die Tür der großen Welt der Top-Gastronomie. Und zwar mit Nachdruck. Was Küchenchef Christoph Bickel und Sommelier Nikolai Prachensky hier zeigen, ist großes kulinarisches Kino.

Text: Jürgen Schmücking

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Die Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten ist Christoph Bickel sehr wichtig
Foto: Jürgen Schmücking

Die Vorgeschichte: Christoph Hörhager ist ein erfolgreicher Baumeister. Sein Unternehmen “Schwarzweiss” plant und baut Häuser in Tirol und in Wien. Meistens sind es Wohnhäuser. Hin und wieder auch ein Gemeindehaus oder eine Parkgarage. Sitzt man allerdings mit dem Mann bei einem Glas Wein und es geht gerade nicht um Immobilienprojekte, wird schnell klar, dass er noch lieber über ein anderes Thema spricht. Christoph Hörhager ist ein bekennender Genießer und Gourmet. Im Gespräch erklärt er, warum er in Kopenhagen in Rasmus Kofoeds Geranium lieber isst als in Redzepis Noma. Dass ihm die glacierte Ente und der in Butter pochierte Hummer im Eleven Madison Park in New York City zwar imponiert haben, der Rest aber eigentlich enttäuschend war. Er war im Mugaritz und beim Norbert Niederkofler, und in Österreich kennt er sowieso alles, was Rang und Namen hat. Dass so einem Mann in Innsbruck – rein kulinarisch gesehen – schnell einmal die Decke auf den Kopf fällt, ist nachvollziehbar. Die Landeshauptstadt hat ein paar solide Adressen. Sitzwohl, Lichtblick und Co sind sichere Häfen für gutes Essen und garantieren gelungene Abende. Exklusives Fine Dining, das auch internationalen Standards entspricht, bieten sie nicht.

»Ich liebe Gemüse. Fisch oder Fleisch gibt es bei mir nur in kleinen Dosen.«

– Christoph Bickel –

An dieser Stelle kommt Christoph Bickel ins Spiel. Bickel, ein national wie international umtriebiger Chef (Steirereck, Interalpen Chef’s Table, Villa Merton, Grace) hat 2017 von Nico Curtil das Chez Nico am Innsbrucker Landhausplatz übernommen. Aus dem Chez Nico wurde das Oniriq. Bis dahin war das Restaurant die erste Adresse für vegetarischen Genuss in Tirol. Um das Stammpublikum nicht gänzlich vor den Kopf zu stoßen, blieb das Menü vom Oniriq pflanzenbasiert. Allerdings mit der Ausnahme, dass man einen Fisch- und einen Fleischgang als Supplement dazu bestellen konnte. Was Christoph Bickel damals aus seiner kleinen Küche in den nicht viel größeren Speiseraum schickte, hatte Kreativität und Charme. Christoph Hörhager war neugierig geworden und besuchte das Oniriq immer wieder. Er kam mit Bickel ins Gespräch. Zunächst wurde übers Essen und Trinken gesprochen. Dann auch über Pläne und Visionen. Und dann wurde es konkret. Hörhager hatte eine Idee, eine Vision und eine Immobilie und Bickel bald darauf einen Geschäftspartner. Und ein neues Lokal. Im Frühsommer 2021 eröffnete das Oniriq in der Bürgerstraße. Größer, heller, modern eingerichtet. Ein sympathisches, urbanes Restaurant, das eine Lücke schließt, die in Innsbruck lange schmerzhaft klaffte.

Das Konzept geht auf

Seit der Eröffnung können sich weder Koch noch Investor über fehlende Reservierungen beschweren. Das Konzept scheint aufzugehen, der Laden „brummt“. Das hat zum einen mit den herausragenden Menüs und der feinen Tafelkultur zu tun. Zum anderen aber auch mit dem Mann, der im Oniriq für den Service und die Weine verantwortlich ist. Nikolai Prachensky ist Sommelier und Restaurantleiter, gebürtiger Tiroler und Villa-Blanka-Absolvent und hat bereits als Head-Sommelier bei Konstantin Filippou in Wien gewerkt. Die Weinauswahl im Oniriq trägt ganz klar seine Handschrift und ist in Innsbruck einzigartig. Der Großteil der Weine ist bio- oder biodynamischzertifiziert, der Anteil an Orange- und Naturweinen erfreulich hoch. Seine Empfehlungen sind manchmal überraschend, aber immer am Punkt. Man merkt, dass Prachensky nicht nur über die Weine, die er empfiehlt, sehr viel weiß, sondern auch die Gerichte von Christoph Bickel in- und auswendig kennt. Was nicht verwunderlich ist. An den Nachmittagen (das Oniriq ist nur abends geöffnet) werden in der Küche neue Gerichte entwickelt und ausprobiert. Der Sommelier ist hier stets mit von der Partie und kennt die Zutaten und die Zubereitung der Gerichte vom ersten Augenblick an.

Die Menüs sind immer stimmig, und doch sind es einzelne Gerichte, die herausstechen, sich im Stammhirn festkrallen und dort in der Erinnerung lange haften bleiben. Der Saibling im ersten Menüdrittel ist so ein Gericht. Genauer gesagt ist es ein Kwell-Saibling mit Apfel, Knoblauchrauke und Zwiebelsahne. Oder das Bio vom Berg – Ei mit Blumenkohl, Erbsen und Gundermann. Saibling und Ei sind auch gute Beispiele, um noch einen Oniriq-Partner zu erwähnen. „Lebensmittel mit dem Gütesiegel ‚Qualität Tirol‘ erfüllen den Wunsch nach einem echten, regionalen Genusserlebnis. Gastronomen wie Christoph Bickel tragen dazu bei, dass die alpine Küche in Kombination mit regionalen Produkten zu einem nachvollziehbaren, ehrlichen, kulinarischen Erlebnis wird“, sagt Matthias Pöschl, Geschäftsführer der Agrarmarketing Tirol. Für seine Organisation ist die Kooperation mit einem Restaurant der Spitzengastronomie eine Premiere, bei der es darum geht, hochwertige Produkte mit Tiroler Herkunft ins Rampenlicht zu stellen. Ein ambitioniertes Vorhaben mit internationalem Vorbild. Eine der Säulen des Erfolgs der Nordic Cuisine war schließlich der gelungene Schulterschluss zwischen Gastronomie und Landwirtschaft. Diese Liaison wurde von der Politik forciert und massiv unterstützt.

Nachschlag

Die Desserts im Oniriq sind dann noch einmal eine Klasse für sich. Im Moment entsteht eine Kreation von Arwed Jäger, dem jungen Sous-Chef, auf der Karte. Pfirsichsorbet, mit fermentierten Stachelbeeren, Cassis und Mezcal. Angerichtet in einer atemberaubenden Schale von Stefanie Hering. Umwerfend gut und wunderschön. Auch die geeisten Frühlingskräuter mit cremigem Baiser, einer Sphäre vom Eierlikör und Blättern vom Schildampfer sind an Frische und Eleganz kaum zu überbieten. Hin und wieder sitzt dem Chef allerdings der Schalk im Nacken. Zum Beispiel, wenn er ein kleines Schüsserl mit einer Crème aus der Küche schickt, was wie aus einer Zeitmaschine wirkt. Gleich beim ersten Löffel fühlt man sich unmittelbar zurückversetzt in die Zeit der Kindheit, als zu Hause Kuchen gebacken wurde und die Kinder die süßen Teigreste vom Mixer schlecken durften. Genauso schmeckt die Crème. Mit ein paar Deko-Elementen. Die sind aber irrelevant. Der Autor wurde glatt vom Chef dabei erwischt, wie er beim Versuch, den letzten Patzen Teig mit der Zunge zu erwischen, das Gesicht in der Schüssel versenkt hat und erntete dafür zweierlei. Ein herzhaftes Lachen des gesamten Küchenteams (fürs Erwischtwerden) und eine zweite Portion (fürs ehrliche Feedback).

Umwerfend und wunderschön

Pfirsichsorbet mit fermentierten Stachelbeeren, Cassis und Mezcal von Sous-Chef Arwed Jäger.

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MIT SOMMELIER NIKOLAI PRACHENSKY

Deinen Namen hast du dir als Sommelier bei Konstantin Filippou in Wien gemacht. Jetzt bist du nach Corona überraschend in Innsbruck aufgetaucht. Wie kam es dazu?

Ich bin ein gebürtiger Tiroler und damals wegen der Arbeit nach Wien gegangen. Der Kontakt zur Heimat ist aber nie abgerissen. Fast jedes Mal, wenn ich nach Innsbruck gekommen bin, war ich bei Christoph Bickel essen, weil niemand so gut gekocht hat wie er. Meistens habe ich eine spannende Flasche Wein dabei gehabt und so habe ich langsam von den Reizen der Naturweine überzeugt. Als Christoph das neue Restaurant angegangen ist, hat er mich gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, wieder nach Tirol zu kommen. Ich konnte und wollte.

Das ganze Interview im Heft#88.