20ERJUBEL

EIN GOLDENES ZEITALTER FÜR SOMMELIERS

Seit drei Jahren leitet der Argentinier Andres Rosberg den Weltverband der Sommeliers (ASI). Wir trafen Rosberg zum Interview in seiner Heimatstadt Buenos Aires.

Wolfgang Schedelberger // Fotos: Rainer Fehringer

Foto: beigestellt

»Normalerweise bin ich ein Drittel der Zeit unterwegs. Jetzt stehen wir unter Hausarrest. Auch in Buenos Aires haben alle Restaurants geschlossen. Wie es wann weitergeht, wissen wir nicht. Normalerweise halten sich Argentinier nicht an Regeln, aber diesmal ist alles anders.«

– ANDRES ROSBERG – 

Wie hat sich die Rolle der Sommeliers in den letzten Jahren gewandelt?

Das Rollenbild der Sommellerie hat sich geändert. In exklusiven Luxusrestaurants gehört der schwarze Anzug als Dienstkleidung für Sommeliers immer noch dazu. Auch ich habe ein paar Jahre lang so gearbeitet. Doch erfreulicherweise wird Weinkultur heute in immer mehr Ländern auch außerhalb von Luxusrestaurants gepflegt. Somit hat sich auch das Betätigungsfeld von uns Sommeliers deutlich verbreitert. Dadurch ist unser Beruf weniger formell, jünger und auch weiblicher geworden. Die soziale Kompetenz und Fremdsprachen spielen heute eine größere Rolle als noch vor ein paar Jahren. Heute begegnen sich Sommeliers und Gäste zumeist auf Augenhöhe. Was sich nicht geändert hat, ist unsere Liebe zum Wein.

Sommeliers sind wie Weinhändler ein Bindeglied zwischen Produzenten und Konsumenten. Allerdings steht dabei die Beratung im Vordergrund, oder?

Im Restaurant agieren wir nicht viel anders als ein guter Verkäufer in einer Vinothek, außer dass wir uns auch um ein perfektes Weinservice kümmern. Wir versuchen für den Gast stets den richtigen Wein aus unserem Angebot zu finden. Für die Vermittlung von Weinkultur haben wir als Sommeliers jedoch eine ganz besondere Funktion, weil wir unabhängig von Produzenten-Interessen tätig sind und den Markt transparent machen können, wovon vor allem kleinere Produzenten profitieren. 

Ich denke, dass der internationale Erfolg des österreichischen Weins zu einem Gutteil auf engagierte Sommeliers zurückzuführen ist, weil der Sommelier der natürliche Freund des österreichischen Weins ist. Würde es nach der Globalisierungslogik gehen, wie sie etwa bei Spirituosen zu beobachten ist, hätten wir immer weniger und immer größere Hersteller, die den Weltmarkt beherrschen. Beim Wein ist jedoch das Gegenteil der Fall. Das Angebot ist heute bunter und vielfältiger als jemals zuvor.

Bekommen Sommeliers dann nicht ständig „unanständige“ Angebote, wenn sie eine derart zentrale Rolle für den Erfolg bestimmter Anbaugebiete haben?

Man kann nur empfehlen, was man kennt und was man mag. Einladungen zu Besuchen von Weinbauregionen, wie das ja auch die ÖWM ganz erfolgreich macht, gibt es für Top-Sommeliers natürlich zahlreiche, aber das würde ich nicht als unanständig bezeichnen. In der Weinwelt geht es auch ums Marketing und Vertriebsstrukturen. Preis und Image sind entscheidende Größen. Die großen Namen aus Bordeaux und Burgund spielen aufgrund ihres astronomischen Preisniveaus in normalen Restaurants heute praktisch keine Rolle mehr. Dafür wird das Thema„Bio-Weine“ immer wichtiger. 

Schlussendlich werden wir ja von unseren Gästen bezahlt und die entscheiden, wie viel Geld sie für was ausgeben wollen. Ein guter Sommelier schafft den Spagat, das Weingeschäft eines Restaurants profitabel zu managen und gleichzeitig den Gästen das Gefühl zu geben, stets auf ihrer Seite zu sein.

Heute zählt ASI über 60 Mitgliedsverbände. Welche Aufgaben hat man als Präsident der ASI?

Ich bin sehr viel unterwegs, weil der persönliche Kontakt mit den verschiedenen nationalen Sommelierverbänden ganz wichtig ist, um die ASI im Konsens ihrer Mitglieder weiterzuentwickeln. Auch wenn wir eine weltweite Organisation sind, haben wir doch ein sehr kleines Budget. Als Präsident bekomme ich auch kein Gehalt, sondern lediglich einen Spesenersatz für meine Reisen. Seit heuer haben wir eine fixe Mitarbeiterin, die sich um die Administration kümmert. Alle drei Jahre veranstalten wir eine Weltmeisterschaft, die ein enormes internationales Presse-Echo hat und für den Zusammenhalt unserer Organisation sehr wichtig ist. Die nächste Weltmeisterschaft findet im Mai 2022 in Frankreich statt.

Inwiefern unterscheiden sich die Rollen der einzelnen Verbände?

Jeder nationale Verband veranstaltet Wettbewerbe, deren Sieger dann an den internationalen Bewerben teilnehmen. In einigen Ländern, wie etwa bei uns in Argentinien, sind die Verbände sehr engagiert für die Fortbildung verantwortlich, weil es kaum andere Anbieter gibt. Nicht jedes Land hat eine Weinakademie wie in Österreich. Ein offizielles Zertifikat ist wichtig, weil es das Ansehen von uns Sommeliers insgesamt steigert. Bei unseren Fortbildungen geht es auch weniger um den Service am Gast, sondern vor allem um Weinwissen – theoretisch wie praktisch. Deshalb sind diplomierte Sommeliers auch in anderen Bereichen wie etwa dem Weinhandel sehr gefragt. Die Situation stellt sich in Westeuropa natürlich anders dar als in Japan, Indien oder China.

Was muss ein Sommelier heute eigentlich wissen, und wann darf er selbst im Internet nachschauen?

Auch früher gab es keine allwissenden Sommeliers, wenngleich dieses Klischee ganz gerne gepflegt wurde. Ein Sommelier muss natürlich alle Weine, die er anbietet, kennen. Aber es ist heute unmöglich, über sämtliche Weinbauregionen der Welt wirklich Bescheid zu wissen. Viel wichtiger ist es, dass ein Sommelier in der Lage ist, mit „Geheimtipps“ zu überraschen, sodass der Gast mit der Empfehlung glücklich wird und gleichzeitig der Gastronom gut verdienen kann. Ein guter Sommelier rechnet sich für ein anspruchsvolles Restaurant eigentlich immer, wenn er den Einkauf mitverantwortet und mit seinem Knowhow aus dem Weinkeller ein Profit-Center macht. Dafür braucht es viel Erfahrung, weil manche Weine durch die Lagerung wertvoller werden, andere aber nicht.

Wie sehen Sie eigentlich das Aufkommen von Natural Wines, die mittlerweile auch in einigen der besten Restaurants der Welt angekommen sind?

Der Weinwelt hätte nichts Besseres passieren können, weil Wein sexy geworden ist für junge Menschen, die zuvor eher beim Bier geblieben wären. Die Weinszene ist auch immer ein Spiegelbild der Gesellschaft. Bunte Etiketten von schrägen Winzern mit Tattoos und Ziegenbärten stehen heute gleichberechtigt neben soignierten Herren, die auf den Etiketten ihre noblen Schlösser darstellen. Ein guter Sommelier sollte sich in beiden Welten auskennen. 

Den Ausdruck „Orange Wines“ mag ich nicht sonderlich. Aber gerade maischevergorene Weißweine sind für die Erstellung einer abwechslungsreichen Weinbegleitung auch in ‚„normalen“ Restaurants eine absolute Bereicherung. Auch hier tut sich in Österreich besonders viel. Für mich sind „Natural Wines“ kein Gegensatz zu „konventionellen“ Weinen, sondern eine willkommene Erweiterung unseres Spielfelds.

Die Zeiten, als zwei, drei Magazine weltweit darüber entschieden haben, was gut und was weniger gut ist, scheinen mit dem Internet vorbei zu sein. Was bedeutet das für die Sommellerie?

Dass für viele von uns der Arbeitstag nach Restaurantschluss noch lange nicht vorbei ist. Für uns Sommeliers sind Blogs und informelle Websites zu den wichtigsten Informationsquellen überhaupt geworden. Die Macht von Königsmachern wie Robert Parker ist dadurch erfreulicherweise zurückgegangen.

Manche Kollegen betreiben eigene Blogs oder nehmen aktiv an Online-Plattformen teil. Gerade in der Online-Welt können sich engagierte Sommeliers rasch einen Namen machen und über die Grenzen des eigenen Restaurants bekannt werden. Dabei erreichen sie oft tausende oder gar zehntausende Menschen. Auch ich bekomme regelmäßig Anfragen oder Anregungen von ehemaligen Gästen, die ich, so weit es die Zeit zulässt, rasch beantworte. Das erleichtert vielen Kollegen den beruflichen Schritt vom Restaurant in Richtung Weinhandel oder Beratung.

El Presidente

Andres Rosberg (44)

hat seine berufliche Karriere als einfacher Kellner begonnen und nebenher die Ausbildung zum Sommelier absolviert. In der Gran Bar Danzón brachte Rosberg erstmals gute Weine ins Nachtleben von Buenos Aires. Als Chefsommelier im der noblen Villa Hipica baute er die eindrucksvollste Weinkarte Argentiniens auf, die sogar zu einem Best Award of Excellence des „Wine Spectator’s“ führte. Danach war Rosberg als Sommelier im Restaurant Uco tätig.

Seit 2006 hat er sich als Manager des Los Arbolitos Vineyard Trust, zu dem mehr als 400 Hektar Weingärten in Mendoza gehören, ein zweites berufliches Standbein geschaffen. Außerdem engagiert er sich als Autor, Lehrer und Referent über Wein 2001 hat er die Argentinische Sommeliervereinigung (AAS) mitbegründet, die er als Präsident von 2005 bis 2016 leitete. In dieser Rolle brachte er die ASI-Sommelierweltmeisterschaft 2016 erstmals nach Argentinien. Der internationale Sommelierverband ASI war von Rosbergs Organisationstalent derart überzeugt, dass mit ihm 2017 erstmals ein Vertreter Südamerikas als Präsident gewählt wurde.

Wie sehen Sie die Zukunft der Sommellerie?

Wein ist cool und Wein macht Spaß. Wein gehört für viele Menschen zu einem guten Essen einfach dazu. Es gibt nichts Schöneres, als gemeinsam mit Freunden ein paar Gläser zu trinken. Weil das Angebot immer umfangreicher wird und immer mehr Menschen sich mit dem Thema Wein auseinandersetzen, sind Sommeliers für immer mehr Restaurants und Weinbars unverzichtbar geworden. 

Und wenn selbstfahrende Autos endlich Realität geworden sind, wird sich auch das leidige Thema der Alkoholkontrollen beim Nachhausefahren erübrigt haben.