GASTRONOMIE

SOMMERLICHE GASTSPIELER

Alle zieht es in die Ferien, die Innenstädte wirken während der Sommerferien oft verwaist. Da liegt es nahe, dass Gastronomen ihren Gästen folgen und an Urlaubsorten zeitlich beschränkte Lokale aufsperren. Sogenannte Pop-ups haben aktuell Hochsaison – vom Mittelmeer bis nach Skandinavien.

Text: WOLFGANG SCHEDELBERGER

Luxus bedeutet für die Gäste des 7Pines Resort auf Sardinien auch, dass sie kulinarisch wählen können.
Foto: 7Pines Sardinia

Dorthin zu gehen, wo es viele hungrige Gäste gibt, macht für flexible Gastronomen einfach Sinn. Im besten Fall profitieren alle Beteiligten an vielen Fronten. Der Wirt macht zusätzliche Umsätze, der Vermieter – oft ein Hotel – kann seinen Gästen ein zusätzliches Angebot machen, und die Gäste freuen sich über Abwechslung. Die Herausforderungen, die es bei längeren Gastauftritten zu bewältigen gilt, sind allerdings nicht zu unterschätzen. In einer fremden Küche mit einer zumindest teilweise neuen Mannschaft zu kochen ist etwas ganz anderes, als einen Routineabend am eigenen Herd zu bestreiten. Auch was die Lieferanten und das Serviceteam betrifft, gilt es Hürden zu nehmen. Und trotzdem wird auch im heurigen Sommer wieder eifrig gepoppt – von Dalmatien bis nach Kopenhagen, vom Wörthersee bis ins Salzkammergut.

Hinter dem Begriff „Pop-up“ verbergen sich viele unterschiedliche Konzepte. Manche Gastronomen nutzen die schwachen Monate, um das eigene Lokal zu schließen, um an einer Urlaubsdestination mit der gesamten Mannschaft neu aufzusperren. Andere stellen ein, zwei Mitarbeiter ab, die darüber wachen, dass Standards und Rezepturen eingehalten werden, während der Stammbetrieb weiterläuft. Und dann gibt es die gesamte Bandbreite zwischen diesen beiden Extremen. Die gemeinsame Klammer ist allerdings immer die zeitliche Begrenzung des Lokals.

Sterneköche on Tour

Dass gefeierte Sterne-Köche auf Gastronomie-Festivals auftreten oder ihren Urlaub in fernen Gefilden mit lukrativen Gastauftritten kombinieren, was Flug- und Hotelkosten spart, ist ein alter Hut. Auch Four-Hands-Dinners haben eine jahrzehntelange Tradition. Von tatsächlichen Pop-ups zu sprechen macht nur dann Sinn, wenn solche Gastauftritte zumindest ein paar Wochen dauern. Legendär war etwa das erste Pop-up von René Redzepi mit seinem Noma im noblen Claridges Hotel während der Olympischen Spiele 2012 in London. Es folgten weitere Stationen von „Noma on Tour“ 2015 in Tokio, 2016 in Sydney und 2017 im mexikanischen Tulum. Während es bei den ersten drei Destinationen primär darum ging, die New Nordic Cuisine von René Redzepi in anderen Metropolen zu zeigen, war das Noma-Pop-up in Mexiko ein Aufbruch zu neuen Ufern, bei dem das Küchenteam des Noma lernen musste, sich mit komplett unbekannten Zutaten neu zu erfinden.

In gewisser Weise ist das Konzept des Salzburger Restaurants Ikarus im Hangar-7 ein permanentes Pop-up-Restaurant, in dem auch René Rezepi im Oktober 2009 erstmals außerhalb Dänemarks ein Gastspiel gab. Allerdings hat es mit der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs nur bedingt zu tun, weil der monatliche Wechsel des Gastkochs zur Routine geworden ist. Aufgekommen ist der Begriff „Pop-up- Restaurant“ kurz nach der Jahrtausendwende in London. Damals haben junge Köche, die sich im sündhaft teuren London kein eigenes Restaurant leisten konnten, damit begonnen, sich in Lokalen, die zwischenzeitlich leer standen, kurzfristig einzumieten. Derartige Pop-ups waren extrem angesagt, weil man zu vergleichsweise wenig Geld sehr gut essen konnte. Dass es sich dabei vielfach um Off-Locations handelte, die niemand kannte und oft nur für wenige Wochen existierten, hatte den Reiz noch zusätzlich erhöht.

Tohru Nakamura war eigentlich schon zu alt und vor allem viel zu erfolgreich für ein Nomaden-Dasein als Pop-Up Koch. Im Münchner Werneckhof hatte der Deutsch-Japaner Nakamura bereits 2014 zwei Michelin-Sterne erhalten. Aufgrund der Corona-Lockdowns beschloss der Eigentümer jedoch, das Restaurant im März 2020 dauerhaft zu schließen. Bevor Nakamura im Dezember 2021 sein eigenes Restaurant in der Schreiberei eröffnen konnte, galt es, sich mit diversen Pop-ups (Salon Rouge, Bar Tatar), bei denen er auch auf die wechselnden Corona-Regeln Rücksicht nehmen musste, über Wasser zu halten. Zusätzlich betreut der gefragte Spitzenkoch in diesem Sommer ein Pop-up-Restaurant im neuen Luxushotel 7Pines auf Sardinien.

Vom Süden in den Norden

Während es zumeist Küchenchefs aus den Metropolen Mittel- und Nordeuropas sind, die zu sommerlichen Popups in den Süden aufbrechen, geht der andalusische Zwei-Sterne-Koch Paco Morales heuer den umgekehrten Weg. Den ganzen Juli hindurch kocht der Spitzenkoch aus Córdoba (Restaurant Noor) im Tivoli Garden in Kopenhagen und gibt neugierigen Dänen einen Einblick in seine präkolumbianisch inspirierte andalusische Küche. Eine originalgetreue Kopie des aktuellen Menüs wird es im japanischen Turm des Tivoli Gardens allerdings nicht geben. „Ich will dänische Gäste neugierig machen, damit sie uns eventuell auch einmal persönlich besuchen kommen. Gleichzeitig freue ich mich schon darauf, mit den großartigen Meeresfrüchten aus dem Nordatlantik zu kochen“, erklärt Morales.

Hintergrund des Gastauftritts, den der dänische „Genussbotschafter“ Kristian Brask Thomsen eingefädelt hat, ist auch, dass Andalusien im Juli einfach zu heiß wird. Für Paco Morales ist das Gastspiel in Kopenhagen also auch so etwas wie eine Sommerfrische. Außerdem ist das Preisniveau in der dänischen Luxusgastronomie sehr hoch. Es ist also davon auszugehen, dass sich der Ausflug nach Dänemark auch finanziell lohnen wird.

Ein Pop-up mit Mehrwert

In den Süden zieht es heuer Paul Ivic, der mit dem Tian Bistro auf der Terrasse des Falkensteiner Punta Skala Resorts in Zadar seine Zelte aufschlägt. Im Gegensatz zu manchen Kollegen, die sich mit der Überlassung des Namens und einer rein beratenden Tätigkeit begnügen, will Ivic eine südliche Dependance etablieren, die nach Möglichkeit für mehrere Jahre funktionieren wird. „Zuerst geht es natürlich immer um die Zufriedenheit der Gäste. Gleichzeitig haben wir mit dem Tian wie auch mit Tian Bistro ein Sendungsbewusstsein. Wir predigen nicht den Verzicht auf Fleisch, sondern wollen zeigen, wie großartig frisches Bio-Gemüse schmecken kann. Deshalb bin ich selbst mehrmals nach Zadar gekommen, um mit unserem Team vor Ort mögliche Lieferanten ausfindig zu machen. Es würde ökologisch und ökonomisch ja wenig Sinn machen, das Gemüse unserer österreichischen Lieferanten mit Kühl-Lkws nach Kroatien zu liefern“, erklärt Ivic.

Auch was das Geschirr, Weingläser und das Weinangebot selbst betrifft, scheut man keine Kosten und Mühen, die „Tian-Experience“ originalgetreu nach Dalmatien zu bringen. Das Angebot an Naturweinen wurde sogar noch um ein paar ausgesuchte Raritäten aus Kroatien erweitert. „Wir wollen auch beim Wein überraschen und Gästen, die das wünschen, die Möglichkeit bieten, Flaschen zu kosten, an die man normalerweise nur sehr schwer herankommt“, erklärt Tian-Sommelier André Drechsel. Damit die Performance der Küche auch unter Volllast die gesamte Saison hindurch auf Top-Niveau bleibt, wechselt Florian Burtscher, Executive Küchenchef aus dem Vier-Hauben-Restaurant, den Sommer über nach Kroatien.

„Wir haben für unsere Gäste neben dem Halbpensions-Restaurant auch ein Steak-Lokal, eine Sushi-Bar und ein romantisches Fischrestaurant direkt am Wasser. Mit dem Tian-Pop-up wollen wir zum einen unser vegetarisches Angebot verstärken, zum anderen aber auch ein Signal an die Produzenten aus der Umgebung senden. Schließlich sollen alle Bewohner der Region etwas vom Tourismus haben“, erklärt Hoteldirektor Georg Unterkircher.

Jugend am Werk

Auch am Wörthersee setzt Falkensteiner mit einer Mochi-Dependence bereits zum dritten Mal in Folge auf ein sommerliches Pop-up. Bei anderen Konzepten wie etwa dem See-Ungeheuer, das 151er-Chef Armin Krautzer zwei Buchten weiter betreibt, verschwimmt der Begriff Pop-up schon ein bisschen. Ist das See-Ungeheuer ein 151er-Popup oder schlicht ein Saisonbetrieb, wie es deren in Ferienregionen viele gibt? Ein „internes“ Pop-up findet heuer hingegen im Litzlberger Keller am Attersee statt. Das Wirte-Ehepaar Kurt und Sandra Schmiedleitner überlassen ihn der Tochter Sandra und ihren beiden Freunden Eva Schnabl und Moritz Schwenk für die kommenden drei Monate, um mit dem Pop-up-Konzept „Soul“ ihr eigenes Ding zu machen.

„Wir kennen uns schon lange und wollten schon länger einmal gemeinsam etwas zu machen. Eva Schnabl ist Patissière im Mühltalhof und nimmt sich jetzt eine Auszeit, um gemeinsam mit Moritz Schwenk eine beseelte und beschwingte Küchenlinie umzusetzen. Die größte Herausforderung wird wohl sein, einerseits langjährige Stammgäste, die wegen gebratenen Saibling und Wiener Schnitzel kommen, nicht zu vergraulen und gleichzeitig etwas Neues anzubieten, das auch jüngere Gäste anspricht. Eine schleichende Betriebsübernahme ist das Soul-Gastspiel dennoch nicht.

„Meine Eltern werden in Oktober wieder das Zepter übernehmen und den Litzlberger Keller in gewohnter Manier weiterführen. Aber während der nächsten Monate dürfen sie es einmal ein bisschen ruhiger angehen lassen. Das haben sie sich nach vielen arbeitssamen Jahren auch verdient“, meint Antonia Schmiedleitner. Pop-up kann also vieles bedeuten. Im Gegensatz zu einem fixen Restaurant, bei dem man das Konzept oft auf viele Jahre anlegt, birgt die zeitliche Beschränkung eines Pop-ups viele Freiheiten, die so manches ermöglichen.

Sehr populär sind in den letzten Jahren auch Bar-Pop-ups geworden. Weil Gäste in warmen Sommernächten gerne im Freien trinken, bespielen angesagte
Innenstadt-Bars beliebte Outdoor-Locations. Schon seit Jahren bittet die Kleinodbar in ihren Stadtgarten im Stadtpark, Sammy Walfisch zieht es an den CopaBeach und auch die Hotelterrassen haben sich als beliebte Standorte für sommerliche Pop-ups etabliert, wie die heuer erstmals stattfindende „Summer Affair by Truth & Dare“ im Hotel Topazz Lamee.

René Redzepi ließ seine Pop-up-Tour, die ihn rund um den Globus führte, im mexikanischen Tulum ausklingen.

Tohu Nakamura wurde unfreiwillig zu einem Meister des Pop-ups. In diesem Sommer begeistert er erstmals mit seiner japanisch inspirierten Küche auf Sardinien.

Paul Ivic

Auf der Terrasse des Schlosshotels Velden kann man im Sommer Gerichte aus der Mochi-Küche kosten.

Moritz Schwenk und Eva Schnabl (r.) kochen den Sommer über im Litzlberger Keller am Attersee, wo die gemeinsame Freundin Antonia Schmiedleitner zu Hause ist.