LUST & LIEBE

JONAS IN DER SCHLANGENGRUBE

Text: Martina Bücher // Illustration: Michael Otto

Schlange

Illustration: Michael Otto

Jonas hat oft Rückenschmerzen. Seine Kollegen machen dann Witze über eine mögliche sexuelle Überbeanspruchung. Er lacht Augenzwinkernd mit. Es gefällt ihm, dass sie glauben, er hätte sich letzte Nacht in Geilheit verausgabt. Doch die Realität schaut anders aus. Sein letzter richtig geiler Moment liegt mittlerweile Monate Jahre zurück. Oder sind es Jahre? Seine Ehe ist ausgebrannt und er auch. Eine Trennung kommt für ihn dennoch nicht in Frage. Zu viel hat er in diese Beziehung investiert. Sollte diese Ehe scheitern, wäre das in seinen Augen eine katastrophale Niederlage. Das will er nicht riskieren. So schlürft er schlaff seinen Nachmittagskaffee und hofft auf bessere Zeiten.

Das, was in der Wirtschaftspsychologie als „sunken cost effect“ bekannt ist, gibt es auch in Liebebeziehungen: Wir investieren in ein aussichtsreiches Projekt, das sich vom glücksversprechenden Hoffnungsträger langsam in eine tödliche Schlangengrube verwandelt. Aus Angst, die bereits investierten Ressourcen abschreiben zu müssen, ignorieren wir den sich abzeichnenden Untergang und buttern mehr und mehr Energie hinein, um zu retten, was nicht zu retten ist. Die Schlangen freuen sich eine Zeit lang und beißen den, der sie füttert letztlich tot. Klingt dramatisch? Ist es manchmal auch.

Genug Unternehmer und Unternehmerinnen sehen sich mit ähnlichen Phänomenen konfrontiert. Auch in der Gastronomie und der Hotellerie. Leider lässt sich nun mal nicht genau vorhersagen, wann ein Projekt wirklich gescheitert ist beziehungsweise ob sich weitere Investitionen lohnen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Trotz diverser Krisen wie Reisebeschränkungen, Personalmangel und Preisexplosionen halten Manche nicht nur tapfer Stand. Auch neue Hotels und Restaurants sprießen aus dem Boden. Der unternehmerische Geist stirbt zum Glück nicht aus. Andere haben jedoch das Hangerl endgültig geschmissen und orientieren sich neu. Neu kann besser sein.

Wenn sich in Beziehungen fiese Gewohnheiten eingeschlichen und festgesetzt haben, gibt es grundsätzlich Abhilfe. Man vögelt nach Plan, bespricht Probleme nach therapeutischen Regeln, schmeißt sich in fesches Gewand und diniert im Restaurant statt am Sofa. Wenn jedoch die Feuchtgebiete längerfristig trocken bleiben, die Glieder schlaff und das Lachen nur mehr höhnisch erklingt, ist es Zeit, sich neu zu orientieren.

Gewohnheiten lassen sich ändern. Dazu muss allerdings unser faules Ich ausgetrickst werden. Im Grunde sind wir nur dann bereit, neue Wege zu gehen, wenn uns etwas wirklich intensiv durchrüttelt. Daher sind Krisen auch tatsächlich Möglichkeiten. Sie bieten uns die Chance, derart aus der Bahn geworfen zu werden, dass wir neue Bahnen finden können.

Jonas wartet noch auf einen unvermuteten Rüttler. Seine Frau hat ihn bereits gefunden. Und zwar in Form eines Kollegen, der ihr in der Mittagspause regelmäßig besondere Erholung beschert. Vielleicht ist das schade für ihre Ehe. Es könnte aber auch für beide eine gute Wendung bringen. Raus aus der schlaffen Sackgasse, hinein in ein neues Leben. Ohne Kostenrechnung, denn auch, wenn man nicht sicher weiß, wann es Zeit ist, zu gehen – wer in der Liebe beginnt unternehmerisch auf- und Investitionen abzurechnen, tut gut daran den Kurs zu wechseln. Jonas und seine Frau können nun entscheiden ob sie abreißen oder renovieren. Die muffige alte Hütte ihrer Ehe hat in jedem Fall ausgedient.

wer&was

MARTINA BUCHER

Martina Bucher ist Psychologin, klinische Sexologin und Kommunikationstrainerin. Sie begleitet Menschen bei Anliegen zu den Themen Sexualität, Bewusstheit und Genuss. Mit ihren Texten verknüpft sie ihren Beruf mit ihrer Leidenschaft für Gastronomie.

martina.bucher@lustundleben.at