POTRAIT // INTERVIEW

NEUSTART AM INN

Johannes Nuding ist Österreichs einziger aktiver Drei-Sterne-Koch. Der andere, Eckart Witzigmann, genießt seinen Ruhestand. Nuding ist Tiroler und nach Jahren in Paris, Moskau und London kehrt er an der Seite von Thomas Leitner nach Hall in Tirol zurück.

Text & Fotos: Jürgen Schmücking

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Zwei Tiroler, seit Jahren Seite an Seite. Johannes Nuding (r.) und sein Sous-Chef Thomas Leitner (l.).

Foto: Jürgen Schmücking

Zur Orientierung: Hall ist eine kleine Vorstadt von Innsbruck. Bekannt für ihre Geschichte samt mittelalterlichem Salzbergbau und ihre – ebenfalls mittelalterliche – Altstadt. Der „Schwarze Adler“ in der Eugengasse geht urkundlich auf das Jahr 1599 zurück, und im Haus gegenüber, dem Fuchshaus, wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts von den Stadtköchen die weit über Hall hinaus bekannten „Haller Törtchen“ gebacken.

Das Handwerk in Paris gelernt

Hier wuchs Nuding auf. In einer Familie, die mit der Gastronomie oder gar dem Kochen nicht viel am Hut hatte. Der Schwarze Adler gehört zwar seinem Onkel, wurde aber stets an Gastronomen verpachtet. Zuletzt war es die Cantina Oramala von Marco Zamarco Malaspina, die die Adlerküche bespielte. Irgendwann reifte der Gedanke beziehungsweise der Wunsch, in die Gastronomie einzusteigen. Sein erster Schritt ist die Villa Blanka, jene Tourismusschule, durch die auch etliche Tiroler Haubenköche, wie Benny Parth, Thomas Grander oder Alexander Gründler gingen. Es folgten die obligatorischen Praktika, bei denen sich recht früh herauskristallisierte, dass Nudings Platz am Herd ist. Zuerst in einem soliden Wirtshaus am Brenner,
danach bei Johann Lafer und Johanna Maier.

Die Zeit zwischen Schule und Grundwehrdienst nutzte der ambitionierte Jungkoch, um in der Innsbrucker Konditorei Munding, eine Institution in der Stadt, Erfahrungen in der süßen Ecke zu machen. Wichtiger als die praktische Erfahrung war dabei aber ein Zufall. Oder besser: ein zufälliges Treffen. Auf der Terrasse der Konditorei saß eines Tages ein anderer ambitionierter Tiroler Jungkoch. Thomas Leitner, der damals bereits seine ersten Stationen in Paris absolvierte. Johannes Nuding und Thomas Leitner verstanden sich von der ersten Sekunde an. Als Nuding nach Paris kam – sein erklärtes Ziel – rief er, wie sie vereinbart hatten, bei Thomas Leitner an. Es folgte eine gemeinsame Zeit in der Stadt an der Seine. In der großen Stadt, im kleinen Apartment. Aber stets an der Seite und im Dienst der ganz Großen. Zuerst Joël Robuchon, dann Pierre Gagnaire. Für Robuchon war Nuding im Restaurant La Table (**) tätig, bevor er auf Gagnaires Flaggschiff, dem Restaurant Pierre Gagnaire in der rue Balzac (***), anheuerte.

Der Meister erkannte das Talent und das Potenzial des jungen Österreichers, setzte ihn bei internationalen Events ebenso ein wie in seiner Küche und übertrug ihm schließlich – mit 25 Jahren – die Verantwortung für das „Les Menus“ in Moskau. 2014 war es dann so weit. Pierre Gagnaire, mittlerweile überzeugt, dass er sich stets darauf verlassen kann, dass es Nuding gelingt, die Seele und den Geist seiner Küche authentisch rüberzubringen, holt den Österreicher nach London und setze ihn als Küchenchef im Sketch – the Lecture Room & Library ein. Damals war das Restaurant mit zwei Michelin-Sternen bewertet. Jetzt galt es, die zwei Sterne zu halten.

„Im ersten Jahr einen Stern zu verlieren wäre eine Katastrophe gewesen. Ein Mega-Fail“, sagt Nuding heute und erinnert sich an seine Erleichterung, als der Guide Michelin damals erschien. Das war quasi die Pflicht. Es blieb bekanntlich nicht dabei. 2019 gelang dem – immer noch jungen – Chef die Kür. Der Michelin zeichnete das Sketch mit drei Sternen aus. An die Auszeichnung selbst und die Zeit danach hat Nuding durchaus durchwachsene Erinnerungen. Während in Paris die neuen Dreisterner von den „alten“ auf den Schultern getragen werden und gemeinsam gefeiert wird, war da in London eine gewisse Skepsis und eine deutlich weniger kollegiale und ausgelassene Stimmung spürbar. Johannes Nuding ließ sich davon nicht vom Kurs abbringen. Er verteidigte – trotz Corona – seine Errungenschaft und begeisterte unzählige Gäste mit seiner Kochkunst. Gäste, die ein Kollege einmal als „weitgereiste Gourmetgroupies und instagramhörige Bestenlistenpilger“ genannt hat. Nicht gänzlich zu Unrecht, wie wir meinen.

Zurück in die Heimat

Ob es diesen Tross auch in die engen Gassen von Hall in Tirol verschlagen wird, wird sich zeigen. Johannes Nuding sieht es realistisch. Nachdem Sterne in Österreich ohnehin kein Thema sind, erübrigt sich auch die Diskussion darüber. Nach dem Umbau des Schwarzen Adlers (ein Corona-Lockdown-Projekt) gilt es erst einmal, die Abläufe zu stabilisieren, Partner und Lieferanten zu finden. Ein Netzwerk zu knüpfen. Auch mit Gästen und Kunden. „Die Idee, hier im Adler gleich vom Start weg auf Drei-Sterne-Niveau zu kochen, wäre eine Illusion. Das würde ich gerne von Anfang an klarstellen. Wir starten völlig neu und wollen, dass die Gäste an unserer Entwicklung teilhaben und gemeinsam mit uns wachsen“, sagt Nuding.

Stellt sich nur noch die Frage, was einen dynamischen, weitgereisten und erfolgreichen Karriere-Chef in eine – kulinarisch gesehen – verschlafene Kleinstadt in Tirol treibt. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Lebensqualität“. Nuding beschreibt in diesem Zusammenhang auch die andere Seite seines Erfolgs. Flughäfen, Jetlags, ein unfassbares Arbeitspensum, komplexe Zeitplanung in Bezug auf die Familie. „Irgendwann wacht man frühmorgens in einem Hotel auf, und weiß im ersten Moment nicht genau, wo man gerade ist. Immer öfter habe ich mir die Frage gestellt, wo eigentlich mein Zuhause ist“, sinniert der Vielbeschäftigte.

Zur Auswahl standen Moskau und Hall. Moskau, weil Lilit, Nudings Frau, Armenierin ist und Familie in Moskau hat. Hall, weil es die Heimatstadt von Johannes Nuding ist. Wobei Tirol keine impulsive Entscheidung zu sein schien. In einem Interview mit Bernhard Degen meinte der – damalige – Exiltiroler wörtlich: „Ich habe dem ‚Sketch‘ und Pierre Gagnaire sehr viel zu verdanken, das würde ich nie unüberlegt verlassen. Aber wenn doch einmal, dann möchte ich nach Tirol!“ Das war Anfang 2021. Ein Jahr, bevor die Meldung, dass Nuding in seine Heimat zurückkehrt, durch den Blätterwald fegte.

Haller Doppel-Adler

In Hall gehen Lilit und Johannes Nuding mit einem Doppelkonzept an den Start. Auf der einen Seite des Adlers, der linken, befindet sich das Fine-Dining- Restaurant. Etwa 30 Plätze, runde Tische. Der Raum ist dezent in zwei Bereiche geteilt, doch insgesamt sehr offen gestaltet. Den hinteren Bereich nennen die Nudings liebevoll „Library“. Die Wand voll mit kulinarischen Büchern, der Name eine Hommage an London und die alte Arbeitsstätte. Auf der gegenüberliegenden Seite des alten Gasthofs ist jetzt eine bunte Stube, in der das „Secco“ untergebracht ist, Johannes Nudings zweites Projekt. Ein
entspanntes Bistro mit umwerfenden Gerichten, die nach dem Motto „Sharing is Caring“ in der Mitte des Tisches eingestellt und geteilt werden. Bei Schönwetter kann man die Ruhe und den Haller Altstadtflair auch draußen genießen.

Die Gerichte sind so konzipiert, dass man ohne Probleme vier oder fünf davon bestellen kann. Das sollte man auch. Das Ceviche von der Goldbrasse sieht auf den ersten Blick aus wie ein ambitioniert angerichteter Waldorfsalat, aber schon die erste Gabel macht klar: Wow! Mit ein paar Reiskörnern, Miso-Mayonnaise, Sesam, Pilzen und Granny Smith hat Nuding dem peruanischen Klassiker einen modernen Twist verpasst. Andere Bistro-Gerichte zeigen, dass Nudings Herz bei aller Liebe zum Experiment und zum kulinarischen Free Jazz, der ihm gerne nachgesagt wird, klassisch und vor allem französisch schlägt. Die Pastete vom Kräuterschwein ist eine Zierde ihrer Art.

Das Fine-Dining-Restaurant ist zurzeit nur an zwei Abenden in der Woche geöffnet. Immer freitags und samstags. Das ist aber nur im Moment so. Geplant sind vier und irgendwann fünf Abende. Dafür muss sich aber alles erst einpendeln. „Sobald alles gesettlet ist, werden wir auch die Öffnungszeiten erweitern.“ Die Gäste scheinen jedenfalls danach zu verlangen. Seit dem Eröffnungstag (und auch für die nächsten Wochen) sind die 32 Plätze im Schwarzen Adler ausgebucht. Zu Recht, wie wir meinen.

Nachdem Johannes Nuding sein Menü stets ändert, sei hier nur ein Gang beispielhaft erwähnt. Allerdings einer, der kristallklar die Richtung zeigt, in die die Reise geht. Nuding nennt das Gericht schlicht Borlotti Bohnen-Kasserole. Die Bohnen in frischem, grasiggrünem Olivenöl und Chorizowürfeln sind die Basis. Bouchon-Muscheln und gegrillter Sepia on top, dazu gelber Paprika. À part wird in einer kleinen Schüssel eine in Limoncello marinierte Gurke mit Zucchini-Minze-Crème serviert. Die Komposition klingt einfach, ist aber geballte Wucht, bei der jede Zutat ihren Charakter behält.

Johannes Nuding ist übrigens nicht allein in der Küche. Thomas Leitner, der Mann, den Nuding vor Jahren auf der Innsbrucker Konditoreiterrasse kennenlernte, steht als Sous-Chef an seiner Seite. Leitner, ein Kind Absams, einer noch kleineren Tiroler Gemeinde als Hall, kommt ebenfalls aus der Schule Gagnaires und hat die letzten Jahre in Billy Wagners Nobelhart & Schmutzig in Berlin gekocht. Es ist geballte Gagnaire-Power, gepaart mit einer gesunden Portion Bescheidenheit, die die Gäste im Schwarzen Adler erwartet.

Johannes Nuding in seiner “Uniform”

„Sharing is Caring“: Im Bistro „Secco“ bestellt man für den ganzen Tisch und teilt den Genuss.

Haben beide das Zeug zum Klassiker: Yoanna‘s Sommerrollen mit Erdnussdip und das Tartar von der Rinderhuft mit Avruga.

Kinder, ist das gut: Riz au lait (aka „Milchreis“ mit Zimt und Kompott).

wer&wo

Restaurant Schwarzer Adler | Bistro Secco

Eugenstraße 3, 6060 Hall

www.schwarzeradler-hall.tirol