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WOHIN DIE REISE GEHT

Die Zukunft ist ungewiss. Auch Pierre Nierhaus bestreitet das nicht. Trotzdem lohnt es sich für Gastronomen, seinen jährlichen Trendreport zu lesen. Dieser zeigt auf, welche Trends die Gastronomie weltweit bewegen.

Text: Wolfgang Schedelberger

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Foto: Martin Joppen

Statt einer Glaskugel gleicht der aktuelle Trendreport von Pierre Nierhaus eher einem Rückspiegel, mit dem er seine Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr zu einer Prognose über zu erwartende Entwicklungen für 2023 macht. Dass er dabei erstmals seit den Corona-bedingten Reisebeschränkungen wieder zahlreiche Metropolen rund um den Globus besuchen konnte, macht die diesjährige Ausgabe besonders spannend.

Wir haben hier die wichtigsten Erkenntnisse für Sie zusammengefasst. Den vollständigen Trendreport 2023/24 mit 15 verschiedenen Themenbereichen können Sie sich auf der Website von Pierre Nierhaus herunterladen.

Die Megatrends Digitalisierung, Gesundheit und Urbanisierung bleiben dominant. Inhaltlich sind über alle Betriebstypen hinweg Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Sicherheit gefragt. Das Problem der Mitarbeitersuche beschränkt sich nicht auf Mitteleuropa, sondern ist von New York bis Singapur virulent. Das führt dazu, dass systemisierte Quick-Service Betriebe weiterhin überall zulegen. Lieferservice-Dienste, die in fast allen Großstädten der Welt während der Pandemie geboomt haben, sind weiterhin stark gefragt. Schlaue Gastronomen sehen das nicht als unliebsame Konkurrenz, sondern nutzen diese für Zusatzgeschäfte. Bestellt wird übers Handy, das zunehmend auch als Informationsquelle für die Lokalsuche unverzichtbar geworden ist.

Mehr als Nahrung

Viele junge Menschen wollen mit ihrer Bestellung ein gesellschaftliches Statement abgeben – oft auch ganz unbewusst. Man muss ja nicht gleich die Welt retten, aber regional, klimaneutral, nachhaltig, biologisch, vegetarisch oder zumindest ohne übermäßiges Tierleid sollte es schon sein. Vegetarische Speisen gehören überall ins Angebot und sollten auch explizit als solche ausgelobt werden. Soziale Aspekte und/oder Fairtrade spielen ebenfalls eine Rolle. Deshalb wird eine glaubwürdige Form des Story-Tellings über die Philosophie des eigenen Betriebs immer wichtiger.

Weniger Zucker, weniger Alkohol

Der gemeinsame Besuch von Cafés und Bars erlebt nach der Pandemie als „Kitt der Gesellschaft“ einen neuen Höhenflug. Alkohol spielt dabei eine große Rolle, allerdings mit „angezogener Handbremse“. Man will gemeinsam genießen, aber nicht über die Stränge schlagen. Offensichtlich betrunken sein ist genauso out, wie ein genereller Verzicht auf Alkohol. In Bars sind leichte Cocktails gefragt, in der Gastronomie zeigt man mit einem leichten Aperitif, dass man sich etwas gönnen will, einen Digestif bestellen aber nur mehr ein paar wenige „weiße alte Männer“.

Entertainment und Image

Die Luxusgastronomie befindet sich im Wandel. Neben bekannten Namen wie Alain Ducasse & Co etablieren sich neue Protagonisten wie der schwedische Spitzenkoch Björn Frantzén als Global Players, der mittlerweile Restaurants in Stockholm, London, Bangkok, Shanghai und Singapur betreibt. Ein über 30 Millionen teures Lokal in Dubai soll noch heuer folgen. Premium-Marken wie Nobu expandieren weiter, die US-Gruppe TAO Hospitality hat die Marke Hakkasan übernommen und betreibt somit über 70 Großrestaurants in 20 Destinationen.

Spektakuläre Inszenierung im Restaurant Alchemist: In der Kuppel des Restaurants pulsiert während der Vorspeise ein blutrotes Herz. Vom „Individual-Konzert“ beim Empfang bis zum privaten Dessert im rosaroten „Zuckerlroom“ ist in Kopenhagen alles dabei. Je nach Weinbegleitung wird die auch rasch Rechnung vierstellig.

Foto: Restaurant Alchemist

Gerade im Luxusbereich wird die Inszenierung des Restaurantbesuchs immer wichtiger. Bei Björn Frantzen wandert man im Laufe des Essens durchs ganze Lokal, Gaggan spielt in seinem neuen private Dining-Room in Bangkok zwischen den Gängen zu fetziger Rockmusik Luftgiratte, den Vogel schießt derzeit aber Rasmus Munk mit dem spektakulären Restaurant Alchemist in Kopenhagen ab. Derartige Formen von spektakulärem „Gastro-Theater“ eröffnet auch preislich neue Sphären. 1.000 Euro pro Person und mehr schrecken erfahrungshungrige Gäste nicht ab – ganz im Gegenteil.

Klarer Fokus – beschränktes Angebot

Für alle Gastronomiebetriebe gilt es, Prozessabläufe zu optimieren. Dazu gehört auch eine Straffung des Angebots und eine klare Positionierung des eigenen Betriebs. Wer Berge von verdorbenen Lebensmitteln in Kauf nehmen muss, macht etwas falsch – nicht nur ökologisch betrachtet. Roboter in Küche und Service werden kommen und die Effizienz von Mitarbeitern erhöhen, damit diese mehr Zeit dafür haben, sich um die Gäste zu kümmern. Ein Lächeln, das von Herzen kommt, ist für viele Gäste ein Hauptgrund, ein anspruchsvolles Restaurant zu besuchen. Eine hohe Wertschätzung gegenüber den eigenen Mitarbeitern ist wichtiger denn je.

Universelle Lebensräume

Trotz gestiegener Ticketpreise sind die Flugzeuge voll. Die Reiselust ist zurückgekommen, wovon die Urlaubshotellerie profitiert. Statt einem Bett für die Nacht bieten Hotels zunehmend universelle Lebensräume an, was Zusatzumsätze bringt. Austauschbare Hotelketten kommen unter Druck, weil sie sich fast nur noch über den Preis unterscheiden können. Klare Kategorien verschwimmen. Neue Märkte wie Longstay für ältere Gäste mit Wellness- und Gesundheitsangeboten aber auch Work & Pleasure entstehen. Memberclubs und exklusive Bars machen angesagte Hotels zu begehrenswerten Adressen, wo man gesehen werden will.

Der Widerspruch zwischen langen Flugreisen und dem ökologischen Fußabdruck bleibt ungelöst, in der einen oder anderen Form wollen Reisende dennoch ihr „grünes Gewissen“ beruhigt wissen. Auch die Balance zwischen hohem Sicherheitsbedürfnis und Komfort bleibt eine Herausforderung für die kommenden Jahre.

Erlebnisgastronomie am Teller, der zumeist gar keiner ist. Im Disfrutar in Barcelona wird die Experimental-Küche von Ferran Adriá mit viel Kreativität fortgeführt.

Einfach eine Tasse Kapsel-Espresso anzubieten, ist heute einfach zu wenig, wenn man Gästen vor der Rechnung noch ein koffeinhaltiges Highlight präsentieren will. Im Oteque in Rio de Janeiro präsentiert Alberto Landgraf frisch gemahlenen Herkunfts-Kaffee wie Wein in einer Karaffe.

Foodcourts mit vielfältigem Angebot wie hier im Mandarina Bay Shopping Center in Singapur machen aus dem Einkauf ein Erlebnis für alle Sinne.

Pierre Nierhaus

ist Trend- und Change-Experte für die Hospitality-und Lifestylebranche. Seine 25-jährige Erfahrung als Unternehmer und internationaler Gastroexperte bündelt er in seinem Tätigkeitsspektrum als Konzeptentwickler, Innovations- und Unternehmenscoach, Trendfachmann, Keynote-Speaker, Fachbuchautor und Gastdozent. Pierre Nierhaus beobachtet und bereist regelmäßig die 30 inspirierendsten Metropolen weltweit, zu denen er für interessierte Unternehmer individuelle Trendexpeditionen anbietet. Als ausgebildeter Change-Coach unterstützt er Unternehmen.

Werte und Methoden

HOSPITALITY UND GASTFREUNDSCHAFT ALS SCHLÃœSSEL ZUM ERFOLG

1. Innovation, Strategie und richtige Positionierung

2. Menschen im Mittelpunkt

3. Nur wer “Gastfreundlich” ist, verkauft

4. Veränderung managen

5. Konstante Weiterentwicklung (Kaizen)