LUST & LIEBE

DIE SACHE MIT DEM ZIMT

Text: Martina Bücher // Illustration: Michael Otto

Es ist noch gar nicht so lange her, da hat Lisa in einer kleinen Kellerdisco nach dem Ende des Bardienstes mit einem selbstbekritzeltem Stock den Stand in den Dopplerflaschen bestimmt. Jetzt sitzt sie beim Sushi-Dealer ihres Vertrauens und ein süß aussehender R2D2-Verschnitt serviert ihr Lachs-Sashimi. Irgendwie ist sie fasziniert vom den Auswüchsen des Fortschritts, zugleich macht sie das auch ein wenig wehmütig. 

Illustration: Michael Otto

In einem alteingesessenen Wiener Kaffeehaus bestellt Christian einen Einspänner und bittet um eine kleine Änderung: er hätte gerne etwas Zimt auf sein Schlagobers. Die Kellnerin aus Fleisch und Blut starrt ihn verdutzt an und ist hilflos: Das könne sie so nicht bonieren, die Heißgetränke kämen aus dem Vollautomaten und Zimt sei beim Einspänner nicht vorgesehen. Entrüstet verlässt Christian das Lokal, um auf einer Parkbank stumpf vor sich hin zu brüten. Seine Reaktion auf die Unflexibilität war zu einem guten Teil wohl seiner aktuellen Stimmung geschuldet. Erst gestern hatte er ein ähnlich unbefriedigendes Erlebnis mit der modernen Technik, als seine derzeit in Oslo lebende Frau und er es mit Cybersex versuchten. Die eigens dafür angeschafften Gerätschaften sorgten für Chaos und Verzweiflung und nicht für Lust und Geilheit. Nun hatte der vollautomatisierte Ablauf im traditionellen Kaffeehaus noch ein Obershauberl draufgesetzt. 

Dabei genießen sowohl Lisa als auch Christian durchaus die Annehmlichkeiten der digitalen Welt. Das rund um die Uhr mögliche Einzahlen der Parkstrafen, online Buchungsseiten die eine spontane Zimmersuche erleichtern, online Restaurantführer die weder vergilben noch veralten und elektronische Behördengänge statt muffiger Warteräume. Wenn jedoch eine Prise Zimt zu einem schier unlösbaren Problem wird oder die cleane Höflichkeit des elektronischen Speisenträgers tollpatschige Nachwuchshände gänzlich ersetzen sollte, kommt Unbehagen auf.

Es ist klar – der digitale Fortschritt ist bequem. Das gilt sowohl für Reservierungsprogramme, Kassensysteme und allerlei Helferlein in der Hotellerie und Gastronomie als auch für unser Sexualleben. Wo bisher noch mühsam zu selbstgemachten Fantasien und mühsamer Kopfarbeit masturbiert wurde, reichen ein paar Klicks und man befindet sich mitten in den tollsten Szenerien. Egal, ob man auf fauchende, kopulierende Drachen, spezielle Praktiken, vielleicht sogar auf den gestiefelten Kater steht – entsprechende bewegte und bewegende Bilder findet man leicht. Und dazu bei Bedarf auch die entsprechende Hardware, die man im Gegensatz zu Christian durchaus erfolgreich und auch ohne andere Personen nutzen kann. Dagegen wirkt ein klassischer Gummidildo, der noch nicht mal vibriert, fast wie ein verstaubtes Wählscheibentelefon mit völlig verknoteter Hörerschnur.

Doch wie es mit der Bequemlichkeit halt so ist, sie hat auch ihre Tücken. In der Glücksforschung hat man festgestellt, dass ein regelmäßiges Sich-Herausfordern einen großen Teil zur Lebenszufriedenheit beiträgt. Nur wenn man regelmäßig die eigene Komfortzone verlässt, kommt dauerhafte echte Zufriedenheit heraus.

wer&was

MARTINA BUCHER

Martina Bucher ist Psychologin, klinische Sexologin und Kommunikationstrainerin. Sie begleitet Menschen bei Anliegen zu den Themen Sexualität, Bewusstheit und Genuss. Mit ihren Texten verknüpft sie ihren Beruf mit ihrer Leidenschaft für Gastronomie.

martina.bucher@lustundleben.at