LUST & LIEBE
MAIS UND MÄNNER
Text: Martina Bücher // Illustration: Michael Otto
Illustration: Michael Otto
Mais auf einer Pizza ist ein kleines, süßes Vergnügen. Er ist kein Hauptdarsteller, doch ohne geht es für Jo und Michaela beim Pizzaessen gar nicht. So wie dem Mais, der manchmal unverdaut wieder ausgeschieden werden kann, ergeht es auch den Partnern von Jo und Michaela. Kaum waren sie drin, sind sie auch schon wieder raus.
Zum Hauptdarsteller wird keiner von Ihnen und was zurückbleibt ist maximal eine Erinnerung in Form eines liegen gelassenen Sockens. Beide haben sich dem Aufreißen verschrieben und gehen regelmäßig gemeinsam auf Männerjagd. Je nach Bedarf tarnen sie sich verrucht, liebevoll, wild oder anhänglich. Es scheint als hätten sie ein untrügliches Gespür für die Wünsche ihres Gegenübers und wüssten es gekonnt einzusetzen. Doch so aufregend die Jagd für beide auch ist – mit der erfolgreich erlegten Beute wissen sie danach recht wenig anzufangen. Sobald der kurze Rausch vorbei ist, stellt sich Langeweile ein.
Mais ist, wenn er verdaut wird, ein kleines Goldstück. Er ist eine wertvolle Komposition aus B-Vitaminen, Phosphor, Eisen, Kalium, Kalzium und Vitamin C. Doch um ihn verwerten zu können, muss zuerst die schützende Zelluloseschicht aufgebrochen werden. Das gelingt beim Maiskorn auf der Pizza am besten durch ordentliches Kauen. Ob Jo und Michaela bei ihren Dates oder nächtlichen Bartours auf Goldstücke oder Kieselsteinchen treffen, war ihnen lange Zeit gar nicht so wichtig. Sie nährten sich durch den Erfolg des Eroberns. Sie schlingen und genießen. Satt macht das nicht.
Das sogenannte „Don Juan Syndrom“ findet im Allgemeinen keine weibliche Entsprechung. Mitunter wird eine nimmersatte Frau als Femme fatale bezeichnet. Wobei wir hier nicht von Sexsucht sprechen. Für Jo und Michaela ist Sex hauptsächlich der Beweis dafür, dass es ihnen gelungen ist, begehrt und gewollt zu werden. Die Sucht liegt im Verführen. Diesem geilen Gefühl, wieder die richtige Strategie angewandt zu haben. Als glorreicher Sieger hervorzugehen. Beim Akt selbst, empfinden beide recht wenig eigene Lust. Sie erregen sich an der Lust der Anderen. Sie inhalieren die gierigen Blicke, das wilde Gestöhne und der Orgasmus des Partners ist wie ein Pokal, der ihnen feierlich überreicht wird.
Eine klassische Zweierbeziehung ist nicht für alle das Maß aller Dinge. Wechselnde Partner zu finden, ist für manche aufregend und prickelnd. Für Jo scheint diese Zeit jedoch vorbei zu sein. Er sehnt sich nach anhaltender Sattheit. Doch wenn er ein paar Tage später die hinterlassene Telefonnummer wählen möchte, werden seine Finger zittrig und die Gedanken wirr. Einen Mann ins Bett zu kriegen, das hat er gelernt. Ob er für einen Mann darüber hinaus interessant bleiben kann, bezweifelt er. Wer keine Zähne hat, tut sich mit der Verdauung von Maiskörnchen schwer. Jo fühlt sich zahnlos, wenn es um das Aufbauen von Nähe und Vertrautheit geht.
Michaela ist zufrieden mit ihrer Lage. Sie erfährt Liebe durch Freundschaften und Familie und genießt ihr abwechslungsreiches Sexualleben. Jo hingegen übt, sich über eine Nacht hinaus als begehrenswerter Liebhaber zu fühlen. Der Mann, der vor zwei Monaten seine Socken bei ihm zurückgelassen hatte, sitzt neben Jo am Sofa. Sie essen Pizza mit Mais und Jo hat langsam das Gefühl, dass er an dieser Pizza etwas länger knabbern möchte.
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wer&was
MARTINA BUCHER
Martina Bucher ist Psychologin, klinische Sexologin und Kommunikationstrainerin. Sie begleitet Menschen bei Anliegen zu den Themen Sexualität, Bewusstheit und Genuss. Mit ihren Texten verknüpft sie ihren Beruf mit ihrer Leidenschaft für Gastronomie.