EIN GROSSER MANN MIT LEISER STIMME

David Bouley ist am 12. Februar im Alter von 70 Jahren von uns gegangen. Er war einer der wichtigsten Neuerer der amerikanischen Küche und hat die Restaurant-Szene New Yorks revolutioniert. Dabei haben ihn zahlreiche Wegbereiter aus Österreich entscheidend unterstützt.

Text: Wolfgang Schedelberger; Fotos: Thomas Schauer – studio for photography LLC

David Bouley war fast immer bestens gelaunt, auch wenn er von seinen Teams Tag für Tag Höchstleistungen einforderte. 

Huldigende Nachrufe auf David Bouley sind in allen bedeutenden Medien der USA erschienen. Peter Wells, der langjährige Restaurantkritiker der New York Times, beschreibt detailreich, wie tiefgründig sich Bouley mit allen möglichen Facetten des Restaurant-Geschäfts auseinandergesetzt hat und dass er trotz seiner umfassenden kulinarischen Bildung stets Gerichte kreiert hat, die auch ohne belehrende Erklärungen allen geschmeckt haben. Saucen auf Basis von frischen Säften aus Frucht und Gemüse statt Butter und Obers war ein Teil seines neuen Zugangs zur französischen Küche. Der weitgehende Verzicht auf billige Effekthascherei mit Luxusprodukten ein weiterer. Seine Gerichte haben sich stets durch den Eigengeschmack der Komponenten und einer scheinbar simplen Komposition ausgezeichnet.

Bouleys kulinarischer Werdegang von der französischen Nouvelle Cuisine am Anfang seiner Karriere bis hin zur japanischen Fischküche ab den 2000er Jahren wird von Wells kompetent nacherzählt. Von Österreich ist jedoch nichts zu lesen, was in Anbetracht der vielen Wendungen, die Bouleys Karriere genommen hatte, bis zu einem gewissen Grad verständlich ist.

Rückblick in rot-weiss-rot

Trotzdem ist ein Rückblick auf diesen sensiblen und gleichzeitig sehr selbstbewussten Ausnahmekoch ohne Österreich-Bezug einfach unvollständig. Das Restaurant Danube in TribeCa war von 1999 bis 2010 das wichtigste österreichische Restaurant der Welt und hat das positive kulinarische Bild unserer Heimat entscheidend mitgeprägt. Köche wie Mario Lohninger und Mario Bernatovic sowie Patissiers wie Michael Billovits und Alex Grunert haben in der Küche für authentische Qualität garantiert. Als Sommelier wurde Alexander „The Grape“ Adlgasser gewonnen, der zuvor bei Jean-Georges Vongerichten gearbeitet hatte.

Zentrale Figur war der Maitre Walter Krajnc, der mit österreichischem Charme und Wiener Schmäh den eleganten Dining Ruhm zum Leben erweckt hatte. Zu nennen ist auch noch der geniale Barkeeper Albert Trummer, der außergewöhnliche Aperitifs und Digestifs mit österreichischer Note kreierte. Dokumentiert ist dies im (von Thomas Schauer hervorragend fotografierten) Buch East of Paris: The new Cuisine of Austria and the Danube, das im Jahr 2003 erschienen ist.

Französisch wie die Großeltern

Aufgewachsen ist David Bouley im ländlichen Connecticut, wo er vergangenen Montag auch verstorben ist. Nach der High School ging er nach Paris, um an der Sorbonne zu studieren. Erst danach widmete er sich hauptberuflich der Küche – wobei ihn seine unbändige Neugierde und sein Ehrgeiz zu den besten Lehrmeistern jener Zeit wie Roger Vergé, Paul Bocuse, Joël Robuchon, Gaston Lenôtre, Fredy Giradet und Paul Haeberin führte

1980 ging er zurück in die USA, wo er unter anderem im damals einzigen österreichischen Restaurant von New York, dem Vienna 79, anheuerte. Diese erste Begegnung mit der österreichischen Genusskultur sollte Folgen haben – nicht zuletzt auch deswegen, weil er dort den Wiener Maitre Walter Kranjc kennengelernt hat. Das Vienna 79 von Peter Grünauer (der Onkel von Christian Grünauer) war damals ebenfalls ein hochdekoriertes Restaurant mit Höchstbewertungen in der New York Times. Dann folgten Stationen in den besten Restaurants der Stadt (Le Cerque, Le Périgord, La Côte de Basque), wo er mehrfach mit dem Serviceleiter Drew Nieporent zusammenarbeitete.

Pionier in Downtown New York

Zu dieser Zeit spielte sich das gesellschaftliche Leben New Yorks ausschließlich in Midtown Manhattan ab. Alle feinen Restaurants der Stadt waren dort beheimatet, je mehr Servicemitarbeiter einen französischen Akzent hatten, desto besser. Bouley fand rasch Anerkennung, konnte mit dem snobistischen Gehabe bei dieser Form des Fine Dinings jedoch wenig anfangen

Als ihm Drew Nieporent fragte, ob er mit ihm nicht ein neues Restaurant – im damals weit vom Schuss liegenden TribeCa-Viertel – aufmachen würde, war er auf Anhieb begeistert. Das Montrachet (wo auch Markus Glocker Jahrzehnte später einen Stern erkochte) schlug ein wie eine Bombe. Bouleys leichte französische Küche begeisterte die New Yorker Szene auf Anhieb und dass dies in einem (relativ) simplen Rahmen in einer herunter gekommen Gegend geboten wurde, erhöhte nur den Reiz. Allerdings hielt diese Partnerschaft keine zwei Jahre

Bouley verabschiedete sich nach 14 Monaten um ein paar Straßen weiter sein eigenes Restaurant mit seinem Namen eröffnete. Nieporent war zwar schwer enttäuscht, doch er konnte das Montrachet erfolgreich fortführen. Dank finanzkräftiger Partner wie Robert de Niro gelang es ihm, ein weiteres, bis heute sehr erfolgreich laufendes Restaurant namens TribeCa-Grill zu eröffnen. Dann lernten de Niro und Nieporent einen gewissen Nobu Matsuhisa kennen und eröffneten gemeinsam das erste Nobu-Restaurant. Der Rest ist Geschichte

Auch Bouleys eigenes Restaurant funktionierte wunderbar. 1997 übersiedelte es an den West Broadway (Ecke Duane Street), wo mehr Platz zu Verfügung stand. Während andere erfolgreiche Köche ihr Imperium beständig vergrößern wollen, war Bouley von der Idee der permanenten Weiterentwicklung getrieben. Das neue Restaurant wurde umgetauft (Boley Bakery) und tagsüber auch als Bäckerei bespielt, wo Brot in einer Qualität gebacken wurde, wie es New York noch nicht gesehen hatte. Am Abend wurden dann zusätzliche Tische und Sessel eingestellt und Gäste empfangen. Mit dabei waren auch zwei junge Österreicher. Walter Kranjc, den Bouley vom Vienna 79 kannte und Kurt Gutenbrunner, der sich allerdings kurz darauf mit dem Wallsé selbständig machte.

Hans Haas & Norbert Niederkofler und Mario Lohninger eröffnen

Bouley reiste damals immer wieder nach Österreich und machte dabei auch regelmäßig Abstecher nach München, um Hans Haas im Tantris zu besuchen. Damals begann auch Bouleys Freundschaft mit dem jungen Südtiroler Norbert Niederkofler. Als der zunächst noch vage Plan, ein paar Meter neben der Bouley Bakery in der Hudson Street ein „Austrian Restaurant“ aufzusperren konkret wurde, erkundigte sich Bouley nach einem geeigneten Koch. Immer wieder fiel der Name Mario Lohninger, der zuvor sowohl im Tantris als auch bei den Obauers gearbeitet hatte und aktuell bei Wolfgang Puck in Los Angeles engagiert war

Bouley lud Lohninger zu einem Vorstellungsgespräch ein und wurde mit ihm rasch handelseins. „Die Chemie zwischen uns hat auf Anhieb gepasst, aber so ganz hat er mir offensichtlich nicht zugetraut, dass alleine zu heben. So ist noch vor der Eröffnung Norbert Niederkofler für mehrere Wochen nach New York gekommen, um mit mir das Eröffnungs-Menü zu entwickeln und bei den ersten Services war auch Hans Haas dabei. Bei einem der letzten Probe-Essen war übrigens auch Franz Klammer dabei. Ich war damals gerade 25 Jahre alt und habe das nicht als Bevormundung empfunden. Schlussendlich bin ich ja auch fast sechs Jahre lang bei David im Danube geblieben“, erinnert sich Lohninger an die spannenden Eröffnungswochen.

Mit Mario Lohninger folgt das Kochbuch "East of Paris"

Vier Jahre später folgte mit „East of Paris: The New Cuisines of Austria and the Danube” ein Kochbuch von David Bouley und Mario Lohninger, das vom Österreicher Thomas Schauer fotografiert wurde. Es ist eine Neuinterpretation altösterreichischer Gerichte, die nicht an den Landesgrenzen der 2. Republik endet.

„Bouley hat das Essen immer etwas Verbindendes und nicht als etwas Trennendes begriffen. Uns ging es in ‚East of Paris‘ um die Würdigung eines Jahrhunderte alten Kulturraums. Das hat dazu geführt, dass sich auch die jüdische Gemeinschaft in New York und Immigranten aus Südosteuropa bei uns sehr wohl gefühlt haben“, erinnert sich Lohninger. Nach knapp sechs Jahren war für Mario Lohninger im Danube Schluss. Es war an der Zeit, den eigenen Laden aufzumachen, was er gemeinsam mit dem Kult-DJ Sven Väth in Frankfurt tat. Das „Silk“ ist längst Geschichte, heute betreibt Lohninger sein gleichnamiges Restaurant am Mainufer, in dem es immer noch zahlreiche Gerichte gibt, die aus dem „East of Paris“-Buch inspiriert sind. 

Die Eröffnung des Danube ist gelungen, die New Yorker Presse war begeistert. David Bouley und Mario Lohninger haben Grund zum Feiern.

Feinsinnig und kollegial

Bei meinem ersten Besuch im Danube war Mario Lohninger nicht mehr dort. Dafür wurde ich im Jahr 2004 von Head-Patissier Alex Grunert begrüßt. Unter anderem schilderte er mir, wie sie nach den Anschlägen im am 11. September wochenlang die Einsatzkräfte kostenlos verköstigt hatten. Schließlich liegt der Ground Zero nur ein paar Straßenblocks vom Danube entfernt.

Nach einiger Zeit hatte dann auch David Bouley für mich Zeit. Er führte mich durchs Lokal, zeigte mir die gegenüber liegende Bakery und präsentierte mir voller Stolz die gerade im Bau befindliche „Test Kitchen“ in ersten Stock. An seine flinken Augen und die fast greifbare Energie erinnere ich mich noch heute

Er erzählte mir begeistert übers Backen, über biologisches Gemüse, seine eben erst entdeckte Liebe zur japanischen Küche und hunderte Sachen mehr. Im Gespräch wendete er nie die Augen ab, gleichzeitig sprach er jedoch sehr leise. Er scheint es gewohnt zu sein, dass man ihm zuhört, auch ohne, dass er die Stimme erheben muss.

Auch wenn er mich eben erst kennen gelernt hatte, griff er spontan zum Telefon, um mich bei seinem langjährigen Freund Daniel Boulud anzukündigen: „Da ist netter Journalist aus Österreich bei mir. Nimm dir Zeit für ihn!“ Danke David!

Nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 waren Bouleys Restaurants, die in unmittelbarer Nähe des Ground Zeros lagen, Wochenlang geschlossen. Also hat sich Bouley entschlossen, die Einsatzkräfte kostenlos zu bekochen, was ihm in der ganzen Stadt viel Sympathie eingebracht hat.

Japan als finale Inspiration

Bei weiteren New York Besuchen habe ich immer wieder im Danube gegessen – stets bestens umsorgt von Walter Krajnc. Kurz bevor erstmals ein Michelin-Guide für New York im Jahr 2006 erschien und das Danube (wie auch das Bouley) auf Anhieb mit zwei Sternen ausgezeichnet wurde, war Mario Bernatovic (heute Patron im Albert in Wien) dort als Küchenchef tätig.

Trotz dieser bemerkenswerten Auszeichnung hat Bouley das Danube 2011 geschlossen und an gleicher Stelle das japanische Restaurant Brushstroke mit der Sushi Bar Ichimura eröffnet. Nicht dass seine Liebe zur österreichischen Küche erloschen war, aber mit Japan ist eine neue Leidenschaft in sein Leben getreten.

Er war Monate lang zum Studium in Tokio und Osaka und wollte im Bushstroke eine authentische japanische Küche etablieren. Im Ichimura gab es erstmals in New York Edomae Sushi zu kosten, die sich dadurch auszeichnet, dass man bestimmte Fische nicht frisch, sondern perfekt gereift verwendet.

 

Epilog

Um die Entwicklung der amerikanischen Kulinarik hat sich David Bouley unsterbliche Verdienste erworben. Seine Liebe zu Frankreich und Japan wurde in zahlreichen Nachrufen entsprechend gewürdigt. Seine Liebe zur österreichischen Küche und die Bühne, die er ihr im Danube über zehn Jahre lang gegeben hat, blieb dabei leider fast immer unerwähnt. Wir wollen auch einem großen Freund unseres Landes gedenken, auch wenn sein Name hier in Österreich leider weitgehend unbekannt geblieben ist.

Unser Chefredakteur Wolfgang Schedelberger (r.) traf bei einem New York Besuch Walter Kranjc, der als gute Seele das Danube von Anfang bis zum Schluss geleitet hatte.

„East of Paris: The New Cuisines of Austria and the Danube” ein Kochbuch von David Bouley und Mario Lohninger, das vom Österreicher Thomas Schauer fotografiert wurde.