PORTRÄT

VOM VOLKSWIRT ZUM GASTWIRT

Der Blick von der Terrasse im 33. Stock auf die Marina Bay von Singapur ist atemberaubend. Auch das Bier schmeckt ausgezeichnet. Gebraut wird es vor Ort in luftigen Höhen. Das klingt verrückt. Ist es auch. Verantwortlich dafür ist der gebürtige Österreicher Martin Bém.

Text: Wolfgang Schedelberger

Dass er einmal Gastronom in Singapur werden würde, hätte sich Martin Bém in seiner Jugend nicht träumen lassen. Nach der Matura in Perchtoldsdorf hat er Handelswissenschaften und Volkswirtschaft studiert. Als frisch gebackener Doktor heuerte er beim italienischen Wasserhersteller San Pellegrino an und wurde bald mit der Entwicklung des asiatischen Marktes betraut. Ob sich das Asien-Geschäft überhaupt rechnen würde, war damals unklar. Erst als San Pellegrino im Jahr 1997 zu Nestlé kam, wurde es von einer italienischen zu einer global positionierten Marke entwickelt. Nach drei aufregenden und sehr erfolgreichen Jahren sollte Bém zurück in die Zentrale nach Mailand wechseln. „Das hat mich trotz der vielversprechenden Karrierechancen nicht gereizt. Zum einen war ich von der der wirtschaftlichen Dynamik Südostasiens begeistert und habe meine berufliche Zukunft hier gesehen. Zum anderen hatte ich mich in ein Mädchen aus Singapur verliebt gehabt. Ich habe gekündigt und bin geblieben“, erinnert sich Bém.

»Frisch gezaptes Bier schmeckt in einem attraktiven Lokal noch einen tick Besser.«

– MARTIN BÉM –

Kurz vor Sonnenuntergang ist der Blick von der Terrasse des Level 33 besonders spektakulär.

Bierboom in Asien

Mit der Gründung einer Agentur für Marketing und Vertrieb wagte Bém den Schritt in die Selbständigkeit. Zum wichtigsten Kunden entwickelte sich die Münchner Weißbiermarke Paulaner. In den 14 Jahren (2004-2018), in denen er das Asien-Geschäft von Paulaner betreute, vervierzigfachte sich das Exportvolumen von 4.000 auf 165.000 Hektoliter. „Ich habe damals gesehen, wie viel Erfolg unser chinesischer Partner mit seinen auf Bayern getrimmten Bierlokalen hatte. Davon inspiriert habe ich gemeinsam mit Partner aus der Gastronomie das Lokal-Konzept „Brotzeit“ für Singapur entwickelt. Mit Brez’n und Weißbier hatten wir mit unserem ersten Lokal in einem exklusiven Shopping Mall auf Anhieb Erfolg. Auch die nächsten beiden Lokale liefen super. Schlussendlich waren aber zu viele Partner an Bord, was die Entscheidungsfindung mühsam machte. Ich bin nach ein paar Jahren wieder ausgestiegen und habe begonnen, über ein eigenes Gastronomie-Konzept nachzudenken“, erklärt Bém.

Dass Bier dabei eine zentrale Rolle spielen würde, war von Anfang an klar. Ein klassisches Bierlokal sollte es dennoch nicht werden. „Ich wollte das Thema Bier aus der Klischee-Ecke herausholen und ein modernes, anspruchsvolles Restaurant machen, in dem es nicht nur um Bier und deftige Speisen geht. Trotz meiner Verbundenheit mit Paulaner wollte ich ein eigenes Bier brauen. Dabei haben auch ökologische Überlegungen eine Rolle gespielt. So sehr ich mich über die Export-Erfolge von Paulaner freue – wirklich ökologisch ist es auf Dauer ja nicht, Bierfässer und -flaschen rund um den Globus zu schicken“, meint Bém. Bei verschiedenen Reisen hatte er gesehen, wie gut die Wiener Brauanlagen von Salm auf der ganzen Welt funktionieren. 

Bei der Suche nach einer passenden Location, stolperte Bém im Jahr 2008 über den gerade im Bau befindlichen Tower 1 des neuen Marina Bay Financial Centers. Dort wollte man im 33. Stock zunächst ein exklusives Fine-Dining Restaurant platzieren.

Der Braumeister stammt aus Argentinien, die Braukessel kommen aus Wien.

Exklusive Weine & selbst gebrautes Bier

„Schlussendlich ist es mir gelungen, die Eigentümer davon zu überzeugen, dass man mit einem exklusiven Luxusrestaurant eine derart große Location auf Dauer nicht gewinnbringend bespielen kann. Nach anfänglichen Bedenken fanden sie die Idee, eine außergewöhnliche Microbrewery im Haus zu haben, richtig toll. Unsere exklusive Partnerschaft mit den Weinen der Familie Rothschild hat sie dann endgültig davon überzeugt, es mit uns zu versuchen. So konnten wir mit der Fertigstellung des Towers im Dezember 2010 auch das Level 33 eröffnen“, erinnert sich Bém.

Auch wenn man beim Betreten des Lokals die eindrucksvollen kupfernen Braukessel bestaunen kann, ist das Level 33 kein typisches Bierlokal geworden. Dafür ist – unter andrem – auch die Weinkarte viel zu anspruchsvoll. Im privaten Dining Room des Level 33 trifft sich die Elite der boomenden Wirtschaftsmetropole gerne hinter verschlossenen Türen, wobei nicht immer nur Wein und Champagner geordert wird. Lee Yuan Lew, der legendäre Staatsgründer und langjährige Premier des Stadtstaates hat sich bei seinem Besuch anlässlich seines 88. Geburtstages mehrere Gläser Bier servieren lassen, wie der ansonsten sehr um Diskretion bemühte Martin Bém verrät. 

Von der Grundausrichtung ist das Konzept seit der Eröffnung gleichgeblieben, ein paar Dinge haben sich im Laufe der Jahre dennoch geändert. Vor allem der Aspekt der Nachhaltigkeit hat deutlich an Bedeutung gewonnen. Das gilt für die Lebensmittel genauso wie für den schonenden Umgang mit Ressourcen.

Nachhaltigkeit in allen Bereichen 

Nach Ende der Corona-Schließungen, die auch in Singapur massiv waren, hat Bém jetzt sogar einen eigenen „Sustainability-Manager“ eingestellt, der sich darum kümmert, dass die beiden Betriebe – neben dem Level 33 betreibt Bém seit zehn Jahren auch die ebenerdig gelegene Kaffee-Bar Erwin – in allen Bereichen möglichst ökologisch operieren. Das Themenfeld ist sehr breit. So arbeitet man jetzt mit Bio-Farmen zusammen, die in Singapur frisches Gemüse anbauen. Außerdem kauft er jetzt „ugly vegetables“, die sich für den Verkauf in Supermärkten nicht eignen, obwohl sie frisch und nahrhaft sind. Das spart nicht nur Transportkosten sondern schmeckt auch besser. Und dann gibt es die technischen Aspekte. Durch den nachträglichen Einbau spezieller Sensoren in alle Kühlschränke, wird nun dafür gesorgt, dass sie nur dann Kühlen, wenn es tatsächlich notwendig ist. Eine Kleinigkeit sollte man meinen, aber alleine diese Maßnahme hat zur Senkung des Energiebedarfs um 25 Prozent geführt. „Mir ist das ein persönliches Anliegen, das ich mit vielen jungen Gästen teile. Man ist sich in Singapur durchaus bewusst, dass man als kleiner Stadtstaat auf Meeresniveau vom Klimawandel besonders stark betroffen sein wird“, so Bém. 

Prinzipiell ist Bém mit der Entwicklung seiner neuen Heimat durchaus zufrieden. „Als ich hier vor über 20 Jahren angefangen habe, musste ich bei Heimatbesuchen immer wieder erklären, wo Singapur überhaupt liegt. Nicht zuletzt dank des spektakulären Formel 1 Nacht-Grand Prix ist Singapur heute überall ein Begriff. Der Flughafen ist einer der besten der Welt, es gibt Rechtssicherheit und keine Korruption. Ja, wenn man Kaugummis oder Zigaretten einfach auf die Straße wirft, muss man mit hohen Strafen rechnen und die Drogengesetze erscheinen liberal gesinnten Europäern drakonisch, aber unterm Strich funktioniert der Rechtsstaat besser also irgendwo anders in der Region“, erläutert Bém die Besonderheiten der Stadt.

Im Gegensatz zu Europa, wo sich viele junge Menschen vor der Zukunft fürchten, herrscht in Singapur weitgehend Optimismus. Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Und auch persönlich blickt Bém hoffnungsfroh in die Zukunft: „Auch ohne dass ich mich täglich operativ einbringen muss, laufen beide Lokale mittlerweile hervorragend. Vielleicht finde ich für meinen immer noch vorhandenen Tatendrang bald ein weiteres Ventil. Ideen habe ich jedenfalls genug.“

Das level 33 ist kein typisches Bierlokal geworden.

wer&was

MARTIN BÉM

Martin Bém kam 1999 als junger Manager nach Singapur, um für San Pellegrino den asiatischen Markt zu entwickeln. Statt wie geplant nach vier Jahren nach Mailand in die Zentrale zurückzukehren, blieb Bém in Singapur und gründete eine eigene Export-Agentur, mit der er europäische Firmen bei deren Expansion nach Asien betreute. Zum wichtigsten Kunden entwickelte sich der Münchner Weißbier-Spezialist Paulaner, dessen Exportvolumen nach Asien Bém von 4.000 Hektoliter im Jahr 2004 auf 165.000 Hektoliter (2018) vervierzigfachte!

Erste gastronomische Erfolge feierte der umtriebige Österreicher mit dem Franchise-Konzept „Brotzeit“, das er gemeinsam mit Partnern entwickelte. Im Dezember 2010 eröffnete er die spektakuläre „Gasthausbrauerei“ Level 33 im neuen Marina Bay Financial Center, die sich auf Anhieb als kulinarischer Hotspot der südostasiatischen Metropole etablierte. Anders als die meisten Brau-Lokale dieser Welt ist das Level 33 ein schickes Restaurant mit anspruchsvoller Küche und einer tollen Weinkarte. Vor zehn Jahren kam mit dem ebenerdig gelegenen Café-Restaurant Erwin ein zweites Lokal hinzu. Insgesamt beschäftigt Bém rund 120 Mitarbeiter.