IM FOKUS

BUNTES BRAUEN IN BROOKLYN

Garreth Oliver ist eine lebende Braulegende. Seit knapp 30 Jahren ist er für die Biervielfalt der Brooklyn Brewery verantwortlich. Wir haben mit ihm in Brooklyn ein paar Biere getrunken und ein exklusives Interview geführt. 

Text: Wolfgang Schedelberger

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Lust & Leben: Als ich 1993 in New York das erste Mal ein Brooklyn Lager getrunken habe, war ich positiv überrascht: Endlich ein amerikanisches Bier mit Geschmack. Den Begriff Craft Beer gab es damals noch nicht. Dennoch wurde mit diesem Bier die Craft Beer-Revolution angestoßen. Wie kam es damals dazu?

Steve Hindy und Tom Potter hatten die Brooklyn Brewery 1988 als Quereinsteiger gegründet, weil es damals in New York – abgesehen von ein paar europäischen Importmarken – nur langweilige US-Biere zu trinken gab. Ich bin dann fünf Jahre später dazu gestoßen, als die beiden beschlossen hatten, in Brooklyn eine eigene Brauerei zu eröffnen. Das Brooklyn Lager wurde damals wie heute in der Matt Brauerei in Utica in Upstate New York gebraut. Wir waren zwar die ersten „neuen“ Brauer New Yorks aber nicht der USA. Vor uns hat schon Samuel Adams mit seinem Boston Lager ein richtig gutes Bier gebraut, das so wie unser Lager heute relativ „normal“ schmeckt. In San Francisco hat die Anchor Brewery die harten Jahre seit dem Ende der Prohibition überlebt. Ihr Steam-Beer ist in gewisser Weise das älteste „Craft Beer“ der USA, aber bis zur Jahrtausendwende hat es nur eine lokale Bedeutung gehabt. Parallel mit uns hat sich in Kalifornien auch Sierra Nevada von einer unbedeutenden Microbrewery zu einem ernstzunehmenden Produzenten entwickelt.  

Wieso ist es erst in den 1990er Jahre zu einem Revival der amerikanischen Braukultur gekommen und nicht schon wesentlich früher? Bier wurde ja immer getrunken.

Amerikaner waren leichte, neutrale Biere gewöhnt und kannten nichts anderes. Bier gehört in Amerika zur Alltagskultur und wird fast ausschließlich im Supermarkt gekauft. Der Preis spielt dort eine entscheidende Rolle. Außerdem haben die großen Produzenten im Laufe der Jahrzehnte viel ins Marketing investiert. Budweiser, Coors und Miller’s waren zwar schwache Biere aber starke Marken. In so einem Marktumfeld hatten kleine Brauer lange keine Chance. In den 1980er Jahren wurden Fernreisen deutlich billiger und viele Amerikaner haben in Europa erstmals andere Bierstile kennen und lieben gelernt. Das führte zunächst zu einem Boom bei Import-Bieren, die deutlich teurer als die gängigen US-Biere waren. Erst danach war es möglich, in kleinem Rahmen auch qualitativ hochwertige US-Biere zu verkaufen. Das war zunächst sehr mühsam. Steve Hindy und Tom Potter haben die ersten zwei Jahre unser Bier zum Teil mit ihren Privatautos selbst geliefert. Erst als sie eine kleine Vertriebsgesellschaft gegründet hatten, die ein paar exklusive europäische Biere im Sortiment hatte, ist die Gastronomie langsam aufgesprungen. Es waren schwierige Zeiten.   

»Coors, Miller & Co waren schwache Biere, aber starke Marken.«

– GARRETT OLIVER –

Anchor Steam sowie Brooklyn und Boston Lager schmecken heute für junge Leute relativ konventionell. Wann sind die ersten „richtigen“ Craft Biere – sprich stark gehopfte IPAs – aufgekommen?

Das war zunächst ein kalifornisches Phänomen. Als Ken Grossman und Paul Camusi 1981 die Sierra Nevada Brewing Company gründeten, hatten sie – so wie die meisten Quereinsteiger kein Geld. Ales sind wesentlich rascher und günstiger zu brauen als Lagerbier. Mit dem damals erhältlichen US-Malz konnte man allerdings nur relativ ausdrucksschwache Ales brauen. Also entschlossen sie sich, ihr Bier stark zu hopfen. Damals kam gerade der extrem aromatische Cascade-Hopfen, der ebenfalls in Kalifornien gezüchtet wurde, auf den Markt. So ist ein komplett neuer Bierstil entstanden, der auch deshalb so populär wurde, weil man an der Westküste immer öfter scharfe mexikanische Gerichte gegessen hat und diese Biere sehr gut dazu passen. Im Windschatten von Sierra Nevada haben sich an der Westküste zahlreiche Microbreweries etabliert, die ähnliche Biere gebraut haben. Jeder hat versucht, ein noch intensiver schmeckendes IPA zu brauen. Eine Zeit lang war das durchaus ein Erfolgsmodell.  

Sie sprechen von Microbreweries aber nicht von Craft Beer. Wo ist eigentlich der Unterschied?

In relativ kurzer Zeit sind Brauereien wie Samuel Adams, Anchor, Sierra Nevada und auch wir dramatisch gewachsen, sodass der Begriff „Microbrewery“, den man für Brauereien, die weniger als 15.000 Fässer pro Jahr machen, verwendet hatte, nicht mehr gepasst hat. Irgend jemand hat dann für die geschmacksintensiven Biere dieser Brauereien den Begriff Craft Beer ins Leben gerufen und der ist bis heute geblieben. Für mich hat Craft Beer nichts mit extra starker Hopfung zu tun, sondern stellt eine Rückkehr zur Normalität dar: handwerklich gebraute Biere in unterschiedlichen stilistischen Ausprägungen. Die frühen 1990er Jahre waren eine aufregende Zeit. Es herrschte Aufbruchsstimmung. Wir haben uns alle gekannt und waren Brüder im Geiste. Es wurde viel experimentiert. Nicht alle Biere dieser Zeit waren wirklich gut, aber das hat nichts gemacht, weil sie eine Bereicherung der Landschaft darstellten. Ich war nie ein ausgesprochener IPA-Fan, mein Herz hat für Weißbier geschlagen. So habe ich 2006 mit Hans-Peter Drechsler in Bayern die erste „Hopfenweisse“ gebraut. Auch das erste Bier, das ich für die Brooklyn Brewery gemacht habe, war ein Weissbier. 

Ab 17 Uhr sitzt man in der Brooklyn Brewers dicht gedrängt

Wie kam es dazu?

Die beiden Gründer haben sich entschlossen, in Brooklyn eine eigene Brauerei aufzusperren und haben mich geholt, um dort als Braumeister zu arbeiten. Die Idee war von Anfang an, auch ein Pub zu betreiben, wo man die frisch gebrauten Biere vor Ort genießen kann. Ich hatte zuvor in Manhattan ja ebenfalls in einem Brewpub als Braumeister gearbeitet. Mit dem Brooklyn Lager selbst habe ich persönlich nichts zu tun. Ich habe es weder erfunden noch braue ich es hier in Brooklyn.

Ist das Brooklyn Lager dann nicht irgendwie eine Mogelpackung, wenn es gar nicht aus Brooklyn stammt?

Das kann man so nicht sagen, weil wir immer absolut transparent agiert haben. Die F.X. Matt Brauerei in Utica liegt im Staat New York. Es war also von Anfang an ein New Yorker Bier. Das Lager ist im Stil der berühmten Brooklyn Lager Biere aus der Zeit vor der Prohibition gehalten. Bei unserem Brooklyn Lager handelt sich also nicht um eine Herkunftsbezeichnung im engeren Sinn, sondern um eine Marke. Unser Brooklyn Lager ist im Laufe der Jahre derart populär geworden, dass wir es heute in Lizenz auch in Japan, Schweden und Brasilien brauen – nicht zuletzt auch aufgrund ökologischer Überlegungen. Aber auch ökonomisch und sensorisch macht es Sinn, Biere dort zu brauen, wo sie auch getrunken werden. Wir bekommen von jedem Patch eine Probe zugesandt, um sicher zu gehen, dass es überall gleich schmeckt. Unsere Brauerei hier in Brooklyn ist noch eine Art Microbrewery, aber für das Brooklyn Lager gilt das schon lange nicht mehr. Wir exportieren schon seit Jahren mehr Bier, als wir in den USA verkaufen.  

Auch in Österreich gibt es das Brooklyn Lager. Welche Biere bekommt man nur in Brooklyn?

Es gibt wohl keinen Bierstil, den wir während der letzten 25 Jahre nicht gebraut haben. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall, weil es hier in Williamsburg immer ein paar Spezialitäten vom Fass gibt, die man nirgendwo sonst kosten kann. Im Laufe der Jahre hat sich ein saisonales Programm entwickelt wie unser Summer Ale und das Oktoberfestbier, um nur die zwei beliebtesten zu nennen. Wir sind laufend am Experimentieren – von einem Yuzu Sour bis zu einem Chocolate Stout mit getoasteten Kokosnüssen gibt es eigentlich nichts, was wir noch nicht probiert haben. Manches bleibt einmalig, andere Spezialitäten, wie das Black Ops, das in Four Roses Bourbon Fässern reift, machen wir jedes Jahr. 

In Brooklyn gibt seit ein paar Jahren mehrere kleinere Brauereien. Ist eine Rückkehr an die glorreichen Zeiten um 1900 denkbar, als man Brooklyn mit Fug und Recht als Bierhauptstadt Amerikas bezeichnen konnte?

Dass es ein paar jüngere Kollegen gibt, die in unserem Borough ebenfalls zu brauen begonnen haben, freut mich total. Ich pflege einen freundschaftlich-kollegialen Umgang mit Ihnen und helfe auch gerne aus, wenn sie einmal ein technisches Problem haben. Aber eine Rückkehr zu vergangenen Zeiten ist unmöglich. Brooklyn – und im besonderen Williamsburg, wo sich unsere Brauerei befindet – ist eine sehr teure Wohngegend geworden. Die Produktion wie auch die dazu gehörige Logistik sind in größerem Stil einfach nicht mehr machbar.

»Bier in bunten Dosen hat uns während der Pandemie sehr geholfen.«

– GARRETT OLIVER –

“Frucht-Cocktail” als Sour Beer.

Ich habe mir gestern das Bier-Angebot in einem kleinen Supermarkt angeschaut und keine einzige Marke gekannt. Statt Flaschen gibt es fast nur noch Dosen, die mit farbenfrohen, schrägen Motiven bedruckt sind. Was halten Sie von dieser neuen, bunte Bierszene?

Verglichen mit dem, wie es früher war, ist das natürlich eine wunderbare Entwicklung. Jede dieser Marken hat ihre Nische, sonst würden sie im Supermarkt ja nicht gelistet sein. Leider hält die Vielfalt der Bierstile nicht ganz mit der Vielfalt der Etiketten mit – aber so ist das halt einmal mit dem Marketing. Dass Bier heute in Dosen statt in Flaschen verkauft wird, macht es für die Konsumenten einfacher und qualitativ keinen Unterschied. Weil hier in New York auch die Dosen recycled werden, ist das auch ökologisch betrachtet kein Problem. Attraktive Dosen waren während der Pandemie auch für uns überlebenswichtig, weil die Gastronomie – die in New York nach wie vor unser wichtigster Vertriebskanal ist – während der Pandemie monatelang geschlossen hatte. Es wird wohl noch zwei bis drei Jahre dauern, bis wir wieder an die Zahlen vor Corona herankommen werden. Die bunten Dosen werden wohl dauerhaft bleiben.  

Vor zwei Jahren haben Sie ein Scholarship ins Leben gerufen, mit dem jungen Angehörigen von ethnischen Minderheiten die Ausbildung zum Braumeister ermöglicht werden soll. Wieso eigentlich? Schließlich sind Sie selbst ja das beste Beispiel dafür, dass die Hautfarbe in Amerika keine Rolle mehr spielt.

Das wäre schön, ist aber nicht so. Privat gehe ich am liebsten „farbenblind“ durchs Leben, aber es gibt in den USA gesellschaftliche Probleme, vor denen wir nicht die Augen verschließen können. Im Zuge der Black-Life-Matters Proteste nach der Ermordung von George Floyd durch weiße Polizisten, habe ich begonnen, mehr über das Thema Rassenbeziehungen in den USA nachzudenken. Da ist mir bewusst geworden, dass ich eigentlich nur weiße Brauer kenne, obwohl Schwarze genauso gerne Bier trinken, wie alle anderen. Ich kenne keinen Brauer, der rassistischen Vorurteile, wenn es um die Einstellung von neuen Mitarbeitern geht. Trotzdem gibt es in der Brauszene fast ausschließlich Leute, deren Vorfahren aus Europa stammen. Damit sich das schrittweise ändert und die Bierszene bunter wird, haben wir dieses Scholarship ins Leben gerufen, das übrigens allen Minderheiten offensteht. Zuallererst wollen wir natürlich gutes Bier brauen, aber wir stehen auch zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Deshalb unterstützen wir auch die LGTB-Community mit unserem Stonewall Inn Session IPA. 

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Garreth Oliver

Garreth Oliver kam 1962 in New York zur Welt und studierte in Boston Film. Danach verbrachte er ein Jahr in Europa, wo er Belgien, Deutschland und der Tschechoslowakei seine Liebe zum Bier entdeckte.

Zurück in New York arbeitete er HBO und eine Anwaltskanzlei, in seiner Freizeit braute er mit Freunden Bier, weil er mit dem damaligen Angebot in New York nicht glücklich wurde. 1989 startete er eine Lehre in der Manhattan Brewing Company in SoHo, einer der ersten Gasthausbrauereien der Stadt. 1993 heuerte er dort als Braumeister an. Als die Manhattan Brewery wieder schließen musste, nahm er 1996 das Angebot von Steve Hindy und Tom Potter an, in deren neu eröffneten Brooklyn Brewery in Willamsburg/Brooklyn als Braumeister zu beginnen.

Im Jahr 2003 erschien sein Buch „Brewmaster’s Table“, das bis heute lesenswert ist und einen Überblick über die Entwicklung der internationalen Bierszene bietet.

»Als ich begonnen habe, waren Braumeister Handwerker und keine Rockstars.«

– GARRETT OLIVER –

ES WAR EINMAL IN AMERIKA

Der letzte Film von Sergio Leone (Once upon a Time in America) spielt in New York während der Prohibition. Damals ging die große Zeit des Bierbrauens in Brooklyn zu Ende. Erst 1996 hat sie wieder begonnen. In Leones Film stellt Robert De Niro einen dubiosen Helden dar. Im echten Leben spielt Braumeister Garreth Oliver eine heroische Hauptrolle. 

Im späten 19. Jahrhundert war Brooklyn die unumstrittene Bierhauptstadt der Welt. Es gab knapp 50 Brauereien, in denen ganz unterschiedliche Bierstile gebraut wurden. Brooklyn war bis zur Vereinigung mit New York im Jahr 1898 eine eigenständige Millionenstadt.  

Die Umgangssprache in den Brauereien war sehr oft Deutsch, aber auch englische und tschechische Braumeister brauten Biere im Stil ihrer jeweiligen alten Heimat. Stouts und Porters hatten die Engländer bereits Jahrhunderte zuvor mitgebracht. Den deutschen Immigranten verdankt man neben Pils und Weizenbier vor allem das Lager, das sich als populärster Bierstil Amerikas durchsetzen sollte.

Besonders populär war das Rheingold von Samuel Liebmann, aber auch Otto Huber (Edelbrew), Johann Trommel (Trommel’s) und Georg Ehret (Hellgate) waren überaus erfolgreich Brauer mit deutscher Herkunft. Nicht nur die rund eine Million Einwohner von Brooklyn erfreuten sich an der riesigen Biervielfalt, auch in der benachbarten Metropole New York wurde Beer made in Brooklyn hochgeschätzt. 

Mit dem Kriegseintritt der USA kam es zu Anfeindung deutscher Immigranten als „Hunnen“, dem deutschstämmige Brauer mit der Umbenennung einzelner Marken zu entgehen versuchten. Der Todesstoß für die Brauereien kam zwei Jahre nach Kriegsende. Mit der Prohibition wurde die Herstellung und der Konsum von Alkohol in den USA verboten. Davon profitierten Gangster wie David „Noodles“ Aaronson (Robert de Niro) in Once upon a Time in America auf Kosten aufrechter Brauer in ganz Amerika.

Das Ende der Prohibition im Jahr 1933 führte nicht zu einem Revival der bunten Bierszene Brooklyns. Das Land befand sich in einer großen Rezession. Geld war knapp. Bier musste billig sein. So konnten vor allem im verkehrsgünstig gelegenen Mittleren Westen Brauereien  wie Anheuser-Busch, Pabst und Miller zu riesigen Biergiganten heranwachsen, die den gesamten amerikanischen Markt mit ihren Leichtbieren überschwemmten. So wie in anderen Industrien auch, konnten immer größer werdende Brauereien immer effizienter produzieren und billigere Biere anbieten, als regionale Kleinbrauer. Eine ähnliche Entwicklung gab es auch bei fast allen anderen Lebensmitteln. Dank verbesserter Infrastruktur und der Entstehung von bundesweiten TV-Netzwerken entstanden nationale Biermarken wie Budweiser, Miller’s und Coors.        

In Brooklyn selbst sperrten 1933 zwar neun kleine Brauereien wieder auf, doch das Geschäft lief mehr schlecht als recht. 1976 musste die letzte verbliebene Brauerei Schaefer endgültig schließen. Bis zur Eröffnung der Brooklyn Brewery im Stadtteil Williamsburg im Jahr 1996 war Brooklyn zwanzig Jahre lang „trocken“ gewesen. Mit Braumeister Garreth Oliver hat ein neuer Hauptdarsteller die Bühne betreten. Bis heute sitzt der zumeist Cowboy-Hut tragende farbige Braumeister fest im Sattel und freut sich, dass sich in seinem Windschatten ein paar weitere Brauer dazu gekommen sind. Anders als die Mafia-Gangster während der Prohibition pflegt Oliver einen freundschaftlichen Umgang mit der Konkurrenz. Er meint: Es ist genug für alle da!