FASCHIERT
DIE FARCE, DER WOLF UND DER (FALSCHE) HASE
Zugegeben, der Ruf könnte ein Besserer sein. Am Faschierten hängt immer noch das Image unkontrollierbarer Resteverwertung. Was genau dafür verwendet wird, versteckt sich oft hinter einer breiigen Masse, die der – nicht immer wohlwollenden – Fantasie Tür und Tor öffnet.Â
Aber das ist nicht fair. Was in den Fleischwolf darf und was nicht, ist gesetzlich genau festgelegt, und minderwertige Fleischteile sind davon ausgeschlossen. Zudem gibt es köstliche Rezepte sonder Zahl aus so gut wie allen Teilen der Welt. Wir finden, dass es Zeit ist. Für eine Hommage an den falschen Hasen, den Stephaniebraten und die Fleischlaberl dieser Welt.Â
Am Anfang steht die Frage nach dem Warum. Wie kamen unsere Ahnen auf die Idee, dem Fleisch erst einmal seine Form zu nehmen, es zu einer amorphen, sprich unförmigen, Masse zu zerkleinern und es anschließend wieder zu Bällchen, Würstchen oder Braten zu formen. Dem Faschierten (wir bleiben in diesem Beitrag größtenteils bei der heimischen Bezeichnung) eine bestimmte Herkunft oder gar ein “Geburtsjahr” zuzuordnen ist ein sinnloses Unterfangen. Es taucht an vielen Orten und in sehr alten Rezepten auf. Einen ordentlichen Schub bekam das Faschierte durch die Erfindung des Fleischwolfs. Es ist Teil vieler nationaler Küchen in ganz Europa und weit darüber hinaus. Also gibt es auch unzählige Gerichte daraus und Namen dafür.Â
Das Faschieren und das Faschierte
Warum also haben wir damit begonnen, Fleisch zu schaben? Nichts anderes war es zu Beginn. Mit Wiege- oder anderen Messern haben wir in unseren Küchen und Stuben damit begonnen, Fleischbrocken zur zerfetzen. Wirklich so spät? Also zu einer Zeit, in der wir schon Stuben und Küchen hatten? Eine – zugegeben gewagte – Annahme könnte sein, dass wir es nie anders gemacht haben, seit wir Tiere essen. Eine der ersten archäologischen Spuren menschlicher Nahrung fanden wir in Kenia. Kratzspuren von Steinwerkzeugen auf Antilopenknochen. Eindeutig hominider Herkunft, denn die Spuren von Säbelzahntigern oder anderen steinzeitlichen Raubtieren sehen anders aus. Es könnte leicht sein, dass sich einer unserer Ahnen über einen Antilopenkadaver hergemacht hat, den ein Raubtier übriggelassen hat und sich den Vorläufer des Beef tatars vom Schlögel geschabt hat. Später dann, als das Feuer ins Spiel kam, offenbarte das zerkleinerte Fleisch seinen größten Vorteil. Es lässt sich viel schneller – sprich mit weniger Energieeinsatz – braten als ganze Muskelfleischklumpen. Das gilt heute noch. Allerdings hat das Ganze auch einen Haken. Durch die Zerkleinerung entsteht beim Fleisch mehr Oberfläche, es kommt mehr Luftkontakt und die Zellwände brechen auf. Ein Paradies für Keime und Viren. So gesehen ist das Faschierte prädestiniert für schnellen Verderb. So sehr, dass wir heute dafür sogar eine eigene Verordnung haben: Die “Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz über die Herstellung und das Inverkehrbringen von Faschiertem und Fleischzubereitungen. Oder kurz die “Faschiertes-Verordnung”.
Bevor wir uns der Frage widmen, was in dieser Verordnung geregelt ist, noch kurz ein Blick auf die sprachliche Wurzel des Begriffs. Das Wort ‘Faschiertes’ leitet sich von der französischen ‘farce’ ab. Das ist in der klassischen Küche Frankreichs eine Mischung aus rohen (oder auch gegarten) und fein gehackten Zutaten, die als Füllung bei verschiedenen Gerichten verwendet wird. Farcen sind auch die Grundlage für Galantinen, Ballotinen, Pasteten oder Terrinen und müssen nicht notwendigerweise nur aus zerkleinertem Fleisch bestehen. Beim Faschierten ist das anders. “Faschiertes wird aus zwei verschiedenen Fleischsorten gemischt. Aus Schweine- und aus Rindfleisch im Verhältnis 1:2. Faschiertes Rindfleisch alleine wäre zu trocken, deshalb kommt der Schweinefleisch-Anteil dazu.”, erklärt Franz Radatz von der gleichnamigen Wiener Fleischer-Dynastie. Die genannte Verordnung geht noch einen Schritt weiter und stellt im Kapitel 2 klar: “Das Faschierte muss von tauglichem Fleisch stammen und darf nicht aus Fleisch hergestellt werden, das von folgenden Teilen von Rind, Schwein, Schaf oder Ziege stammt: Kopffleisch (mit Ausnahme der Kaumuskeln), … Hand- und Fußwurzelbereich sowie Knochenputz. Die Muskeln des Zwerchfelles – nach Entfernen der serösen Häute – und Kaumuskeln dürfen nur nach einer Untersuchung auf Zystizerkose verwendet werden. Frisches Fleisch darf keine Knochenstücke enthalten.” Dabei ist unter “Knochenputz” jenes Fleisch zu verstehen, das maschinell vom Knochen gelöst wird und eigentlich nicht mehr unter die Kategorie ‘Muskelfleisch’ fällt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von ‘Separatorenfleisch’. Man kann auch davon ausgehen, dass dieses Fleisch stets von minderer Qualität ist. Anders die Muskeln des Zwerchfells. Die sind unter Feinschmeckern als ‘Skirt’, ‘Onglet’, ‘Hanging Tender’ oder ‘Nierenzapfen’ bekannt und kurzgebraten so dermaßen gut, dass sie im Fleischwolf ohnehin nichts verloren haben. Zusammenfassend kann man also getrost davon ausgehen, dass im Faschierten, das in Österreich in den Groß- oder Einzelhandel kommt, kein Dreck drin ist. Die Verordnung sagt natürlich nichts zu den Themen Aufzucht, Fütterung oder Tierwohl. Aber zumindest bei den verwendeten Fleischteilen kann man schon einmal sicher sein. Die Landsleute sind es scheinbar auch. Immerhin ist das Faschierte einer Gewinner der Covid-Krise. Anfangs konnten steigende Absatzzahlen festgestellt werden, später stabilisierte sich der Verkauf auf hohem Niveau. Aus der Statistik über die Verteilung der Absatzmenge von Fleisch nach Fleischsorten in Österreich, die die statista gemeinsam mit der GfK und der AMA erstellt geht aus den Zahlen für 2022 hervor, dass das Faschierte mit 20 % Marktanteil auf Platz 3 hinter Hühner- und Schweinefleisch liegt. Vor – und zwar deutlich – Rind- und Kalbfleisch.
Beim Radatz wird das Faschierte übrigens direkt vor den Kunden durch den Wolf getrieben. Das hat einerseits praktisch-logistische Gründe, aber auch psychologische. Das Faschierte ist im Handel immer heikel. Frische ist oberstes Gebot, und die Empfehlung lautet, es noch am selben Tag zu verarbeiten. Radatz ergänzt: “Das Faschieren erledigen die Fleischer mit gekühlten Fleischwölfen direkt vor dem Kunden. Die Kühlung ist nötig, weil durch die Messer Hitze entsteht, die den Verfall des Fleisches beschleunigt.”
Simon Humer vom Biohof Thomabauer im oberösterreichischen Prambachkirchen ist Metzger und bietet frisches Faschiertes im Zusammenhang mit seinen Frischfleisch- Mischpaketen an. Auf Wunsch und Bestellung auch als Einzelprodukt. “Der Absatz von Faschiertem ist seit Jahren stabil und auf hohem Niveau. Die Gerichte, die man damit machen kann sind beliebt und in der Regel einfach zu kochen.”, weiss der Bio-Bauer zu berichten.Â
«Faschiertes Rindfleisch alleine wäre zu trocken, deshalb kommt der Schweinefleischanteil dazu.»
– FRANZ RADTZ –
Von Köttbullar und Keftedes zum Stephaniebraten am Stefanitag
Problemlos könnte man anhand diverser Hackfleischgerichte eine kulinarische Kulturgeschichte Europas schreiben. Beginnen wir weit oben, im Norden des Kontinents. Es ist nur eine Vermutung, aber mit großer Wahrscheinlichkeit war es kein Zufall, dass die Weltkarriere von Köttbullar in einem bestimmten schwedischen Möbelhaus zu suchen ist. IKEA zerlegt einen der wesentlichen Rohstoffe für Möbel – Holz – in kleinste Bestandteile und lässt seine Kunden diese zu einem in der Regel einfachen Möbelstück zusammensetzen. Genau wie Köttbullar. Der Rohstoff – Fleisch – wird zu einer formlose Masse zerkleinert. Danach werden einfache Kugerl geformt. Ãœbersetzt bedeutet der Name einfach “Fleischbällchen”, und nachdem in Schweden nicht ganz so viele Rinder gehalten werden wie bei uns, wird dort statt Rindfleisch oft Elchfleisch verwendet. Andere Länder, andere Fleischbällchen. In Deutschland heisst die (im Elbe-Gebiet) bekannte Halder Hochzeitssuppe auch ‘Balkensuppe’, weil sie mit Balken (niederdeutsch für ‘Bällchen’) serviert wird, die aus Rinderfaschiertem mit Muskatnuss gedreht werden. Die Halder Hochzeitssuppe gilt als Delikatesse. Was man von einem anderen deutschen Hackfleischgericht allerdings nicht sagen kann. Der Mett-Igel. In den 70er- und 80er Jahren war ein kaltes Buffet ohne den Schweinehack-Klumpen unvorstellbar. Aus fettem, also cremigem Faschierten vom Schwein wurde ein Igel geformt. Die “Stacheln” waren aus frischen Zwiebeln geschnitten, als “Augen” mussten oft Essiggurkerln oder Oliven herhalten. In der Türkei, in Griechenland und in Albanien heissen die Fleischbällchen aus Faschiertem jeweils Köfte, Keftedes oder Qofte. Die Idee ist immer die Gleiche. Es ändern sich nur die Saucen. Am Balkan gilt Pljeskavica als Nationalgericht einiger Nationen. Vor allem aber Serbiens. Ein ziemlicher Fleck in Form eines Steaks, zu dem häufig Ajvar, der stundenlang gekochte und gerührte Paprika, serviert wird.Â
Auch hierzulande spielt die Größe eine Rolle. Die Fleischlaberl, fast schon ein Klassiker der heimischen Küche, unkompliziert und in der Pfanne schnell gemacht, sind eine beliebte Familienmahlzeit. Je feierlicher der Anlass, desto größer der Braten. Der Falscher Hase (oft auch einfach ‘faschierter Braten’ genannt) wird als Sonn- oder Feiertagsgericht immer beliebter. Wenn in den falschen Hasen auch noch ein hartgekochtes Ei, Essiggurken oder (manchmal) auch Frankfurter Würstel kommen, wird der Falsche Hase zum Stephaniebraten und kommt am zweiten Weihnachtsfeiertag auf den Tisch. Dies allerdings auch aufgrund eines Irrtums. Der Braten heisst nämlich nicht wegen des Stefani-Tages so. Namensgeberin ist vielmehr die bei Hof ungeliebte Stephanie von Belgien, die Gattin des Kronprinzen Rudolf von Habsburg. Bewusst ausgelassen haben wir das Thema Beef Tatar. Vor allem deshalb, weil richtiges Beef Tatar nicht faschiert, sondern geschnitten wird. Aber auch deshalb, weil wir dem Beef Tatar einmal einen eigenen Beitrag widmen wollen.Â
«Der Absatz von Faschiertem ist seit Jahren stabil und auf hohem Niveau.»