PORTRAIT
DIE NARREN AM BERG
Im Keller der Roten Wand steht keine traditionelle Räucherkuchl, sondern ein hochmodernes Foodlab mit High-Tech Gerätschaften. An einem langen Tisch wird verkostet und diskutiert. Es darf hier aber auch gefeiert werden.Â
Text: Wolfgang Schedelberger
Wann immer man das Genießerhotel Rote Wand in Zug bei Lech im Sommer besucht, wird irgendetwas gebaut. Einmal ist es ein neuer Trakt, dann ein Tunnel, das nächste Mal die Renovierung des benachbarten Schulhus. Stillstand ist Rückschritt, scheint das Motto des umtriebigen Patrons Joschi Walch zu sein.Â
Vergangenen Sommer was das Loch neben dem Stammhaus besonders groß. Zum einen wurde die Garage erweitert, um den Ort noch autofreier zu machen, als es ohnehin schon ist. Zum anderen sollte eine Vorbereitungsküche entstehen, die viel mehr können solle, als man sich gemeinhin unter diesem Begriff vorstellt. Tatsächlich sollte es eine Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Gastronomie werden: Von der Verwertung ganzer Tiere über die Herstellung von Kräuteressenzen bis hin zur Reifung von Käse. Dazu ein neuer Backofen. Außerdem sollte ein experimentelles Labor entstehen. Auch Workshops und Kitchenparties sollen hier steigen. Einen Namen habe er schon, erzählte mir Joschi Walch damals: Friends and Fools!Â
Eine kulinarische Schnittstelle
Ein halbes Jahr später konnte ich mir im April 2023 das Projekt dann persönlich anschauen und begann zu verstehen, worum es hier tatsächlich geht. Im Keller der Roten Wand finden verschiedene Weichenstellung für die Zukunft des Betriebs zu einer gemeinsamen Bündelung zusammen. Friends and Fools ist eine Art Schnittstelle zwischen allen gastronomischen Aspekten des Hauses – vom Frühstücksbuffet über die Stube bis hin zur Bar und den exklusiven Chefstable. Gleichzeitig ist es ein Treffpunkt, wo auch externe Experten (Köche, Barkeeper, Sommeliers, Landwirte, Veredler, …) regelmäßig willkommen sind.   Â
„Natascha und ich wollen noch eine Zeit lang die Geschicke der Roten Wand leiten, aber es ist langsam an der Zeit, den Blick über die eigene Schaffensperiode hinaus zu werfen. Wir haben drei tüchtige Kinder, also sollte es möglich sein, dass die Rote Wand auch in Zukunft als familiäres Unternehmen weitergeführt wird. Wir haben uns daher mit ihnen zusammengesetzt und besprochen, wie sie sich ihre und unsere Zukunft vorstellen. Magdalena, unsere Älteste, will sich um die Landwirtschaft kümmern und ist schon jetzt für unsere Kommunikation – natürlich auch im Social Media Bereich – verantwortlich. Valentin, unser Jüngster, hat nicht nur ein Herz fürs Backen, vor kurzem hat er auch den Diplomsommelier gemacht. Aktuell ist er allerdings noch mit seinem Studium in Wien beschäftigt. Deshalb ist es momentan vor allem Josef-Martin, der sich um die laufende Bespielung von Friends and Fools kümmert“, berichtet Joschi Walch.
«Mir geht es um das einzigartige kulinarische Erbe unserer Alpen.»
High Tech aus Spanien
Joschi Walch ist einer der umtriebigsten Gastronomen unseres Landes, der schon während seiner Zeit als Formel 1-Caterer mehrfach den Globus umrundet hat. Auf seinen aktuellen kulinarischen Streifzügen besucht er die besten Restaurants der Welt, wobei ihn jene Betriebe, die ein bisschen anders ticken als der Mainstream, besonders interessieren. So hatte er auch seinen vorigen Küchenchef Max Natmessnig im New Yorker Brooklyn Fare kennen gelernt. „Ich liebe unsere Berge. Mir geht es um das einzigartige kulinarische Erbe unserer Alpen. Genau deshalb ist für mich so wichtig zu sehen, was die besten Restaurants in anderen Teilen der Welt so machen. Den unverzerrten Blick auf die Heimat schärft man am besten, wenn man manchmal sehr weit weg ist“, meint Joschi Walch.  Â
Hightech aus Barcelona
Immer wieder zog es ihn auch nach Barcelona, um sich anzuschauen, was die drei Ferran-Schüler Oriol Castro, Eduard Xatruch und Mateu Casañas in ihrem Experimental-Restaurant Disfrutar gerade entwickeln. Immer wieder haben ihn dabei seine Kinder begleitet, die sich nicht nur für die genialen Gerichte interessiert, sondern vor allem für die Gerätschaften, mit denen hier kleine, essbare Zauberwerke entstehen. Bereitwillig hat man ihnen gezeigt, was sie in ihrer Disfrutar-Laborküche so alles machen. Auch wenn es im Disfrutar mitunter um Show-Effekte geht, ist deren Arbeit in der Küche absolut seriös. Aromen zu bewahren und Geschmäcker zu intensivieren ist das primäre Ziel, nicht die bloße Veränderung von Texturen, um Gäste einmalig zu überraschen. Ein Teil der Geräte aus der Disfrutar-Küche, die vom katalanischen Unternehmen Cocina sin LÃmites (100 % Chef, 100 % Barman) wurden nun auch für die Friends and Fools Experimentalküche angeschafft.
„Wir stehen da natürlich erst am Anfang, weil wir zunächst lernen müssen, was in welchem Zusammenhang am meisten Sinn macht. Friends and Fools soll ja kein eigenes Experimental-Restaurant werden, sondern den bestehenden Outlets zuarbeiten. Das kann so spielerische Elemente wie veganen Kaviar für 200 Gäste im Sylvestermenü umfassen oder eine klarifizierte Pina Colada für die Bar, sodass der Barkeeper einen Sparkling Cocktail daraus machen kann. Das verbliebene Kokosfett ist dann eine geschmacksintensive Zutat für die Patisserie. Wir fermentieren unglaublich viel, arbeiten an verschiedenen Kombucha-Varianten, pflegen unsere eigenen Koji-Kulturen und vieles andere mehr. Wirklich spannend wird es heuer im Sommer, wenn wir erstmals mit frischen Kräutern und Beeren aus der Umgebung werken können“, erklärt Josef-Martin.
Aktuell gibt es bei Friends und Fools gleich zwei „Küchenchefs“. Tobias Schöpf ist Leiter der Manufaktur, wo es um die „konventionelle“ Veredelung von Lebensmitteln geht und Jamie Unshelm, der für das Culinary Lab verantwortlich ist. Ihre tägliche Arbeit gleicht einem Ping-Pong Spiel, bei dem der Ball schnell hin und her gespielt wird. Wenn dann noch Julian Stieger (Küchenchef des Chef’s Table) und der Küchenchef der Stube dazu kommen, wird es ein lebhaftes Doppel. Schauen dann auch noch Patissier und Barkeeper Vorname Nachname vorbei, wird es gar ein rasantes kulinarisches „Ringerlspiel“.
Ein Ort der Begegnung
„Dieses spielerische, ungezwungene Miteinander wollen wir institutionalisieren, damit alle kulinarischen Bereiche gleichermaßen profitieren. Wir wollen aber auch Profis von außerhalb des Betriebs teilhaben lassen, sowohl als Lehrende wie auch als Lernende, wobei diese Definitionen bei Workshops ohnehin fließende sind. Und dann soll auch der Spaß nicht zu kurz kommen. Rund um den großen Tisch soll nicht nur diskutiert, sondern auch gegessen und getrunken werden“, meint Josef-Martin.
Weil das alles auch irgendwie finanziert sein will, hat sich Joschi etwas Besonderes einfallen lassen. Mittels Crowdfunding wollte er auch externe Partner an Bord holen, die sich dann – je nach dem – als Friend oder Fool fühlen dürfen. „Das hat erstaunlich gut funktioniert, aber anders als ich zunächst gedacht habe. Von unseren bestehenden Stammgästen, die zumeist älter als 50 sind, haben sich nur relativ wenige begeistern lassen. Dafür haben wir kleinere Pakete an viele jüngere Interessierte verkaufen können, die von dieser Idee begeistert sind und jährlich mit exklusiven Genusspaketen belohnt werden“, erklärt Joschi Walch.
Den Geschmack der Alpen einfangen
Die Experimentalküche soll Joschi Walch aber auch einen ganz persönlichen Wunsch erfüllen, den er seit 20 Jahren mit sich trägt. „Wir waren 2003 bei Marc Veyrat in Megeve, wo ich eine unglaublich leichte und zugleich dichte grüne Sauce gekostet hat, die mich bis heute beschäftigt. Ich habe gleich damals mit ihm darüber geredet und ihm später auch geschrieben, weil ich dem Geheimnis dieser Sauce auf den Grund gehen wollte. Er hat etwas von Süßdolde beziehungsweise Myrrhenkerbel gesagt, aber das genaue Rezept wollte er offensichtlich nicht teilen. In unseren Alpen verbergen sich noch so viele unbeschreibliche Aromen, die wir mit moderner Technik auf den Teller bringen können. Vielleicht gelingt es uns endlich, die geheimnisvolle Veyrat-Sauce zu kochen? Vielleicht finden wir etwas noch Interessanteres? Ich bin jedenfalls schon total neugierig, was wir im kommenden Sommer entdecken werden“, freut sich Joschi Walch schon auf die blühenden Almen.
Aktuell scharren die operativ tätigen Friends and Fools schon in den Startlöchern und fiebern dem Saisonstart am 22. Juni entgegen, wenn es mit einem Sommerfest wieder losgeht.  Â
Podcast
podcast.lustundleben.at
Was hat die nächste Generation zu sagen? Auf www.lustundleben.at gibt es den Podcast mit Josef- Martin und Vater Joschi Walch zu hören.