PORZELLAN

RENAISSANCE DER TAFELKERAMIK

Perlmutt vom nahen See. Teller aus grauer Vorzeit. Schüsseln, die wie Skultpuren die Tafel bereichern. Individuelle, hochwertige und teilweise sehr persönliche Tischkeramik erlebt eine Renaissance wie nie zuvor.

Text & Fotos: Jürgen Schmücking 

Renaissance der Tafelkeramik

Foto: Jürgen Schmücking

Neusach am Weissensee. Cori Knaller steht am Steg und blickt lange auf den See. Streichelweiche, glatte Oberfläche, kristallklares Wasser, strahlende Sonne. Das sind gute Voraussetzungen. Sie beginnt den Boden des Sees nach den kleinen Löchern abzusuchen, die zeigen, wo hier eine Muschel im Sand verborgen sein könnte. In der Hand hält sie einen langen Schilfgrashalm. Erste Löcher sind schnell gefunden. Jetzt heisst es volle Konzentration. Um die Muscheln aus dem Sand zu holen, führt sie den Schilfhalm behutsam in das kleine Loch im Boden. Die handtellergroßen Weissenseemuschel haben ihr Schalenhaus meistens leicht geöffnet. Geschlossen wird es nur, wenn Gefahr droht. 

Die Herausforderung ist es, mit dem Halm genau ins Innere des Weichtiers zu treffen. Sobald die Muschel checkt, dass etwas nicht stimmt, schließt sie blitzartig die Schalen. Schon hängt sie am Haken. Beziehungsweise am Halm. Der wird dann vorsichtig aus dem Wasser gezogen, und die Muschel ist aus dem See „gefischt”. Für Corinna Knaller sind das Kindheitserinnerungen. Stundenlang hat sie mit ihren Freundinnen so die Muscheln aus dem Schilf des Weissensees geholt. Ein gewisser Stolz macht sich in ihrem Gesicht auch bemerkbar, wenn sie ihre Schätze präsentiert. 

Das Biohotel Gralhof ist ein Role Model in Sachen Regionalität, Bio  und Nachhaltigkeit. Und Vorreiter einer Kulinarik, die diese Eckpunkte verbindet. Clara Aue, die Küchenchefin des Hauses war Aufsteigerin des Jahres bei Gault&Millau und holte auf Anhieb 2 Hauben. Michael Knaller, der Mann an Corinnas Seite, ist nicht nur Hotelier, sondern auch Biolandwirt und Jäger. Nichts, was am Gralhof auf die Teller kommt, ist weitgereist, dafür aber bio und ausgesprochen gut. Dass auch beim Porzellan die regionale Wertschöpfung im Vordergrund stehen sollte, war also mehr oder weniger selbstverständlich. Dass von den Schüsseln, Tellern und Platten aber auch das Perlmutt der Weissenseemuschel schimmert, ist hingegen einzigartig.

Die Tonpartnerin war schnell gefunden: Anette Reuer und ihre Werkstatt “Bergdorf Keramik” im Kärntner Dorf Irschen. Die Töpferin hat es spät nach Kärnten verschlagen. In Irschen hat sie ihr Paradies gefunden. Und eine passende Werkstatt. Ein altes Zeughaus, das der hiesigen Feuerwehr zu klein wurde, weil die Feuerwehrautos immer größer wurden. Gemeinsam mit Corinna Knaller entstand die Serie für den Gralhof. Das Ergebnis ist einzigartig, als Idee aber nicht ganz neu. In der Serie „Weissensee-Keramik” wurde bereits das tiefe Weissenseeblau in Top(f)form gebracht. Die Teller und Schüsseln wurden von Almut Knaller, Michaels Schwester auf der Naggleralm, hoch über dem See, effektvoll in Szene gesetzt. Und wie das mit großartigen Ideen und Produkten eben ist, standen schnell die ersten Kunden auf der Matte. Hannes Müller ließ sich seine Tafelkeramik ebenfalls von Anette Reuer töpfern. Die Linie heisst „Morgentau”, die Formen sind ähnlich, der Farbton unterscheidet sich von der Gralhof-Linie aber deutlich. Er ist dunkler, matter, gesetzter. Obwohl die Formensprache die gleiche ist, erzählen diese Keramik-Serie eine andere Geschichte. Die Stücke von Anette Reuer sind erkennbar und folgen stets einer klaren Linie. Sie unterscheiden sich vor allem durch Farbe und Oberfläche und bleiben dadurch Unikate, die ihre Einzigartigkeit bewahren. 

Weitere Restaurants, die ebenfalls auf die Werke der kreativen Tonkünstlerin setzen, sind das Biohotel Daberer und Michael Wankerl in seiner legendären Grazer Gerüchteküche.

Muschelsucherin mit einem klaren Ziel: das Perlmutt der großen Weissenseemuscheln im Porzellan abbilden. Foto: Jürgen Schmücking

»Jedesmal wenn ich das Schimmern unserer Teller in der Sonne sehe, versetzt mich das zurück in meine Kindheit am See.«

– CORI KNALLER, GRALHOF. –

Stein statt Keramik

Apropos Graz. Aus dieser Stadt kommt eine weitere Künstlerin der Tafelkultur, wenngleich die Begriffe Ton, Porzellan oder Keramik hier nicht greifen, weil das Material ein anderes ist. Katharina Mörz-Heissenberger arbeitet mit Naturstein. Konsequenterweise heisst das Projekt auch ‘Stonemade’. Die Steine werden von Hand beschliffen, bleiben danach jedoch unbehandelt – also ohne jedwede künstliche Versiegelung der Oberfläche. Das ist für Mörz-Heissenberger wichtig, denn der ökologische Aspekt ist für sie sehr wichtig. Klassische Keramik wird durch Hitze gehärtet, es muss also bei hohen Temperaturen gebrannt werden. Beim Stein hat das die Zeit erledigt. Naturstein ist vor Millionen von Jahren unter massivem Druck und unvorstellbar hohen Temperaturen entstanden. Die Energie, die jetzt noch notwendig ist, beschränkt sich aufs Schleifen und Polieren. Außerdem ist Stein zwar kein regenerativer Rohstoff, aber wir haben so viel davon, dass wir uns über Engpässe die nächsten paar Tausend Jahre keine Gedanken machen müssen.

Katharina Mörz-Heissenberger hat vier Linien im Sortiment, die sich durch de jeweils verwendeten Rohstoff unterscheiden. Arctic White ist eine helle, edle und fein gemaserte Linie aus Marmor. Nordic Grey dagegen sehr harter Kalkstein. Die Linien Scandic Green und Tuscan Red bestehen aus Kalkstein mit feinen Adern aus Ton. Die Formen sind geradlinig und elegant. Die Einzigartigkeit der einzelnen Stücke schafften hier Zeit und Natur. Schliff und Politur bringen das nur besser zur Geltung. Stonemade-Teller sind prähistorische Bühnen, die Gerichte und Lebensmittel auf besondere Weise ins Bild setzen. Das Projekt ist relativ jung, aber es gibt schon einige Restaurants, die das Potential erkannt haben. Etwa die Neni-Betriebe in Wien, aber auch das SanBrite in Cortina d’Ampezzo und das Ox & Klee in Köln. Beides vom Guide Michelin mit einem (SanBrite) und zwei (Ox & Klee) Sternen ausgezeichnete Restaurants.

Ein wenig angelehnt an die erfolgreiche cielo-Linie von Stephanie Hering und doch eigenständig und individuell. Foto: Jürgen Schmücking

Individualität statt Markenbotschaft

Der Trend zur persönlichen, individuellen und handgefertigten und ist nicht zu übersehen. Das hat viele Gründe. Einerseits lässt sich damit die Philosophie der Regionalität manifestieren, und auch die Wertschöpfung bleibt in der Nachbarschaft. Außerdem besteht die Möglichkeit, bei Erscheinungsbild und Design mitzureden. Sprich, die Anforderungen, die sich aus der Küchenlinie ergeben, im Porzellan abzubilden und auch der Linie des Hauses eine entsprechende Plattform zu geben. 

In Tirol gelingt das Peter Fankhauser durch die Zusammenarbeit mit Katja Jönk und ihrer Werkstatt „Potter Around”. Es ist keine große, gewerbliche Werkstatt. Vielmehr entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem vegetarischen Haubenkoch Teller und Schüsseln, die genau den Anforderungen Fankhausers entsprechen. Die Form spiegelt seine Philosophie wider, die Farben und Oberflächen bringen seine Kreationen zur Geltung. Und sie sind einzigartig. Ähnliche Kooperationen entstanden in letzter Zeit häufig. Markus Rath vom Schlosskeller Südsteiermark setzt sein  gesamtes Fine Dining-Menü mit der handgemachten Keramik aus dem Atelier von Maria Ledam in Szene. Die Individualität geht in diesem Fall sogar so weit, dass das gleiche Gericht an verschiedenen Tischen in unterschiedlichen Ton-Unikaten serviert wird. Einzigartigkeit in vollendeter Form sozusagen.

»Es wäre schrecklich langweilig, wenn alle Menschen gleich wären. Die Punkte, in denen wir uns unterscheiden sind vielfältig - so auch meine Keramik.«

– MARIA LEDAM. –

Manchmal ist der Teller vor dem Gericht da. Dann ist wieder umgekehrt.  Foto: Jürgen Schmücking

Kneten muss man Beides

Überhaupt scheint die die Steiermark ein guter Boden für individuell gefertigtes Geschirr zu sein. Das zeigt sich auch im Genießerhotel Krainer in Langenwang, wo das Zusammenspiel zwischen Gericht und Teller mitunter noch einen Schritt weiter geht. „Manchmal ist der Teller zuerst da und ich überlege mir erst danach, welches Gericht wir dafür kreieren sollen. Für mich ist das Arbeiten mit Ton der perfekte Ausgleich zum Kochen. Das ist wie Ying & Yang“, erklärt Astrid Krainer, die gemeinsam mit ihrem Mann Andreas für stolze vier Gault Millau Hauben verantwortlich ist. 

In ihrem Tonstudio – der Name ist in mehrere Hinsicht Programm, denn bei der Arbeit darf die Musik schon einmal über Zimmerlautstärke schwingen – kann Astrid Krainer ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Auch das Dekor des Restaurants wie auch die Beleuchtung entstehen in dieser Werkstatt. Es sind zwar sehr verschiedene Welten, doch es gibt auch Parallelen zwischen Kochen und Töpfern. „Beim Backen geht es ja zunächst darum den Teig zu kneten und ihn in bereit für den Ofen zu machen. Bei der Keramik muss man den Ton ebenfalls spüren und fühlen und mit den eigenen Händen in Form bringen. Der größte Unterschied ist der Ofen. Während wir fürs Brotbacken nur rund 250 Grad benötigen, braucht es für die Keramik gut 1.000 Grad mehr“, weiß Astrid Krainer.

Vorreiter aus dem Burgenland

Zugegeben, das Thema individueller Tafelkeramik ist nicht neu. Vor über 20 Jahren hat sich Walter Eselböck vom Taubenkobel auf die Suche gemacht, um jemanden zu finden, der/die sich um das Porzellan des Restaurants kümmert. Und wer Eselböck kennt, weiss, dass die Ansprüche stets sehr hoch sind. Weit musste er bei seiner Suche nicht gehen. Das Atelier von Eveline Lehner ist vom Taubenkobel nur einen kurzen Spaziergang entfernt. Bereits damals war am Taubenkobel klar, was jetzt viele machen. Eine enge Verbindung zum Restaurant, eine Maßanfertigung, die auf die Linie der Küche Rücksicht nimmt, eine solide Partnerschaft und eine gemeinsame Geschichte, die erzählt werden kann. Letztlich geht es immer um Geschichten. Wenn sie gut sind, passt alles.

Feine Linien, natürliche Formen, stimmige Farben. Bei Peter Fankhauser sind nur Unikate im Einsatz. Fotos: Jürgen Schmücking

Die subtile Schönheit der Imperfektion. Eine Hommage an die Zeit und eine klare Botschaft gegen Uniformismus. Stein. Fotos: Jürgen Schmücking