TRENNUNGS SCHMERZEN

Veränderungen gehören zum (Spirituosen-)Geschäft. Doch wenn lang aufgebaute Marken den Vertrieb wechseln, schmerzt das selbst hartgesottene Außendienstler. Aktuell dreht sich das Karussell besonders schnell. Wir haben alte und neue Importeure dazu befragt.

Text: Roland Graff, Fotos: Gregory Culbegan / www.adianalmasan.com

Da hilft auch die turnusmäßige „stiff upper lip“ im Controlling nichts. Auch die penibel geführten Excel-Sheets schützen in der globalisierten Spirituosenwelt nicht vor Psycho-Dramen. Etwa dann, wenn nach 15 Jahren guter Zusammenarbeit abrupt Schluss gemacht wird. Mit einer knappen E-Mail. „Ghosting“ nennt das die reifere Jugend heute, wenn es um Beziehungen geht. Und auch Geschäftsbeziehungen haben eine emotionale Dimension. „Wir sind gerade etwas geschockt“, lautete daher auch die erste Reaktion bei einem der ältesten deutschen Spirituosenvertriebe, als sich die Geschäftsleitung auf den französischen Antillen über Nacht zum Wechsel entschloss. Zwei Wochen davor hatte man noch am Besuchsprogramm für österreichische Bartender gefeilt. Und jetzt das…

Dieser Abschied „auf Französisch“ mag ein Extrembeispiel sein. Doch eine Marke von Beginn an am Markt zu betreuen, ihr Wachstum zu verantworten und sich daran zu freuen, um sie dann über Nacht abgeben zu müssen, gehört zu den schmerzhaften Prozessen im Schnapsgeschäft. 

Am längeren Ast sitzt immer der „Brand Owner“, wie es im modernen Vertriebler-Speak heißt. Er entscheidet, wem er seine Spirituosen in bestimmten Märkten überlässt. Denn nur in wenigen Fällen – und auch nicht bei allen Giganten des Drinks Business – gibt es überall Länder-Töchter, die den Vertrieb übernehmen. Wo dieser Teil der Lieferkette outgesourced wurde, kann er auch wieder an sich gezogen werden. Selten aber war die Abnabelung im Alkohol-Geschäft, das „Bäumchen-wechsle-Dich-Spiel“, so ausgeprägt wie heuer. Beginnen wir einmal mit der Übersicht!

Marken unter neuer Obhut

Einer der wenigen „Selbstläufer“ der Barbranche, die in Trinidad beheimateten Bitters von Angostura, findet 2024 eine neue Austro-Heimat. Auch wenn es mittlerweile Alternativen wie Fee Brothers oder die bayrischen Bitters von „TBT“ (The Bitter Truth) gibt: Der klassische Barbitter bleibt der von Dr. Johann G. Siegert weiland als Truppenarzt Simon Bolivars in Venezuela erfundene Angostura – mittlerweile längst in Trinidad & Tobago hergestellt. Er wird nun von Ammersin bundesweit vertrieben. Es ist ein weiterer Erfolg des Familienunternehmens aus Wien-Speising. Denn zuvor hatte man schon die Whiskys von Bunnahabhain ins Portfolio geholt. Beide wurden einst von der Franz Bauer GmbH in Graz distribuiert, die kurz nach ihrem 100. Geburtstag im Herbst 2022 Insolvenz anmelden musste.

Mit „Diplomatico“ ging eine der umsatzstärksten Rum-Marken des Landes von Tirol in die Steiermark: Morandell verlor im gleichen Zuge auch die Vertriebsrechte zu „Gin Mare“ an die Liquid Spirits GmbH in Werndorf. Parallel übernimmt Bacardi-Martini den Vertrieb der irischen Destillerie Teeling von Kattus-Borco. In beiden Fällen ist ein Wechsel der Eigentümer-Struktur der Grund, der bis ins kleine Österreich nachwirkt: Im Falle des irischen Whiskey-Pioniers erhöht Bacardi von seiner strategischen 40%-Beteiligung auf die Mehrheit im Aufsichtsrat. Die venezolanische Rum-Marke wiederum ging an Brown-Forman. Da deren Whiskey-Aushängeschild „Jack Daniel’s“ von den Steirern um Oliver Dombrowski bereits bisher in Österreich betreut wurde, folgten dem Deal nun die restlichen Marken zu Liquid Spirits.

«Wege trennen sich, dafür gehen neue Türen auf»

-MARIO MORANDELL-

Was läuft da? Das lange Bangen

Spricht man mit den neuen Vertriebspartnern des Venezuela-Rums, dann zeigt sich zunächst einmal der lange Vorlauf solcher globalen Drink-Deals. Während Morandell seit Bekanntwerden des Verkaufs im Oktober 2022 auf Infos wartete, mussten zunächst alle Gremien zustimmen. Da eine US-Marke in der „Bolivarischen Republik Venezuela“ aktiv wird, hatte das durchaus auch politische Konnotationen. Unabhängig davon dauerte es bis Jänner 2023 zum formellen Vertragsabschluss. Der Wechsel des Österreich-Vertriebs erfolgte dann im August: „Nach Bestätigung der Vereinbarung haben wir die Gastronomie breitenwirksam informiert“, so Anna Zenz als Marketing-Chefin bei „Liquid Spirits“. In punkto konkreter Pläne mit der neuen Marke, dem ersten Rum im Whiskey-lastigen Portfolio, hält man sich aber noch bedeckt. „Unsere Arbeit für die neuen Marken startet ab 1. 1. 2024 mit dem Vertriebswechsel“, ist Anna Zenz ganz Pragmatikerin. Das Gastro-Netzwerk der Steirer wurde aber auch noch persönlich von den Neuerungen informiert. 

„Wie so oft im Leben trennen sich die Wege, jedoch öffnen sich dadurch auch wieder neue Türen“, lässt Mario Morandell im Gespräch mit LUST&LEBEN sein etwaig schweres Herz nur zwischen den Zeilen erkennen: „Als Familie Morandell sind wir natürlich stolz, in den letzten Jahren Diplomatico“ zum erfolgreichsten Super-Premium Rum aufgebaut zu haben“. In Sachen Gin hat man jedenfalls bereits Ersatz für Gin Mare gefunden. Mit dem „Maestoso“ wurde es ein originaler Wiener, der exklusiv vom Weinspezialisten aus Wörgl distribuiert wird. Denn destilliert wird von Markus Gselmann direkt in der Spanischen Hofreitschule!

Keller-Leeren auf äußeren Druck

Mit dem emotionalen Verlust, der auch hartgesottenen Außendienstler anzumerken ist, wenn ein Jahre und Jahrzehnte als göttlicher Nektar gepriesene Saft versiegt, ist es ja nicht getan. Mit Abverkäufen wird in der Regel zunächst der Lagerbestand reduziert, um ein letztes Mal von der Bekanntheit der Marke (und dem Aufwand, den man dafür hatte) zu profitieren. Parallel wird in den Kellerbeständen noch sämtliches Promotion-Material ausgehoben. Gemeinsam mit dem gesamten Stock an Ware folgt dann die Übergabe an den „Neuen“. Entweder direkt oder über die Zentrale des treulosen Markeneigners als Logistik-Drehscheibe. Marken-Logos verschwinden von klarerweise von den Drucksorten und aus dem Internet, was auch nicht von jetzt auf gleich geht. Apropos Kommunikationsmittel: Natürlich ist eine neue „Erzählung“ gefragt, warum die Topmarke von gestern doch nicht so gut war wie der – in aller Schnelle aufzutreibende – Ersatz. Und sie sollte gut sein, um auch die Partner in den Bars zu überzeugen.

Trotz dieser Herausforderungen, die niemand neben dem aktuell ohnehin schweren Tagesgeschäft gerne stemmt, nimmt Michael Rennies die Dramatik ein wenig aus der Diskussion heraus: „Das gehört zum Vertriebsgeschäft dazu; ich war schon dabei, als wir die Whiskeys der irischen Cooley-Destillerie verloren haben“, so der Senior Marketing Manager von Borco-Marken-Import. Den mit Jahreswechsel schlagend werdenden Abgang von „Teeling“ habe man immerhin kommen gesehen, seit im Vorjahr in der irischen Presse von den Verhandlungen mit Bacardi berichtet wurde. Auch wenn man die Iren seit zehn Jahren – und damit bereits vor der Eröffnung ihrer eigenen Dubliner Brennerei – auf dem österreichischen Markt begleitet hat, sei keine Sentimentalität angesagt. „Ein solcher Wechsel ist ja auch eine Chance für eine Neuaufstellung“, analysiert Rennies, um dann konkret so werden: „Ein etwaiger Ersatz im Portfolio muss keineswegs erneut ein Irish Whiskey sein“. Und auch Geschäftsführer Mario Morandell schaut nicht nur mit dem „Maestoso“-Gin bereits nach vorne: „Wir freuen uns schon auf neue Projekte und Herausforderungen“.

Das Champagner-Karussell

Dazu muss man wissen, dass die Eigentümer-Entscheidungen auf einem kleinen Markt wie Österreich mitunter ein regelrechtes Karussell auslösen. Als sich etwa das Champagner-Haus Billecart-Salmon 2017 zum Wechsel seines Generalimporteurs entschloss, begannen quer durch Österreich die Marken-Neulistungen: Winzer Heinz Velich vertreibt die Marke bis heute, sein Seewinkler Kollege Gerhard Kracher musste dafür in seinem „Fine Wine“-Handel Ersatz für den – vor allem als Rosé – beliebten Franzosen anbieten. Denn eine Champagner-Marke ist de facto Pflicht für jeden Anbieter im Premiumsegment. Kracher entschied sich für Charles Heidsieck. Was so lange gut ging, bis im fernen Westen das Weinhaus Morandell seinerseits den wichtigen „pouring Champagner“ Ruinart verlor. Bei Moët Hennessy hatte man auch diese letzte Marke zu Krug, Dom Pérignon oder Veuve Cliquot unter das Dach der eigenen Austro-Vertriebstochter geholt. Womit sich die Tiroler für Charles Heidsieck als Ersatz entschieden. Und sofern Sie noch folgen können: „Kracher Fine Wine“ führt seither Champagne Philipponnat.

Oliver Dombrovski erweitert das Portfolio seines jungen Vertriebs-Unternehmens Liquid Spirits mit den prestigeträchtigen Marken von Brown Forman. Dazu gehören Gin Mare und Ron Diplomático.

Christoph (l.) und Mario Morandell (r.) beim Willkommensfest für den neuen Premium-Gin Maestoso mit dem Brennmeister Markus Gselmann.

Verlosungen und Workshops: Die Schaudestillerie im Café in der Spanischen Hofreitschule bietet Beides.

Eine Marke wie Teeling ist zwar ein Nischenplayer, gleichzeitig kann sie Lücken im Portfolio eines Vertriebsunternehmens stilvoll schließen.