INTERVIEW

Überzeugungstäterin

Das direkt hinter dem Museumsquartier gelegene Hotel Gilbert ist ein verführerischer Ort: urban, kosmopolitisch, mit Möbeln in Sorbetfarben und jeder Menge Blumen. Damit schmückt sich auch die hier tätige Köchin.  

Text: Eva Biringer, Fotos: Otto Michael

Hat gut lachen: Parvin Razavi in der Küche des &Flora. Den Ring (rechts) hat der finnische Designer Björn Weckström entworfen. Foto: Michael Otto.

Auf Parvin Razavis Hals rankt ein Rosentattoo, auf ihrem rechten Ringfinger drei Blüten. „Die habe ich mir stechen lassen, als ich hier angefangen habe“, so die 44-Jährige. Passt gut zu einem Restaurant namens &Flora. Ihren linken Mittelfinger ziert ein lachendes Herz, das ihr bei jedem Blick darauf „urgute Laune“ bereitet. Noch mehr gibt es über ihre silbernen, kubistisch anmutenden Ringe zu erzählen: „Die habe ich von meinem Onkel anlässlich der Veröffentlichung meiner beiden Kochbücher bekommen.“ Einer davon stammt vom finnischen Designer Björn Weckström, der unter anderem den Schmuck für Star-Wars-Prinzessin Leia entwarf. 

Ab jetzt soll es jedoch um Essen gehen. Unten sitzen die ersten Gäste beim Mittagstisch, es gibt eine Rübenvariation auf Labneh, gebackenen Karfiol, Hummus-Flatbread und Milchreis. Razavi, Pferdeschwanz, Ringelshirt, lässig-ungeschminkt, bittet auf die Galerie des lichtdurchfluteten Restaurants. Geboren wurde sie 1978 in Teheran, gelangte als politische Geflüchtete acht Jahre später nach Österreich. Zum Kochen kam sie auf autodidaktische Art, nicht zuletzt dank Plachuttas „Jahrhundertkochbuch“. Inzwischen hat sie selbst zwei Kochbücher veröffentlicht, eines davon mit veganen Rezepten. Es ist Anfang Februar, heute ist ihr letzter Arbeitstag, bevor für zwei Wochen nach Thailand auf Urlaub geht.

Lust & Leben: Zwei Wochen Sonne und Wärme – wie schön! Bezahlter Urlaub ist eine von mehreren mit einer Festanstellung verbundenen Annehmlichkeiten. Träumen Sie trotzdem manchmal von der Selbstständigkeit?

Parvin Razavi: Auf jeden Fall. Momentan ist mir als alleinerziehende Mutter Sicherheit wichtiger. Dabei habe ich immer gesagt, dass ich vor meinem 45. Geburtstag meine eigene Chefin sein will. Im September ist es soweit – und ich weit von der Selbstständigkeit entfernt. Schließlich kam das &Flora dazwischen, und das ist auch gut so.

So geht Gemüseküche: gebackener Karfiol mit Olivenöl. Foto: Michael Otto.

Haben Sie eine Vorstellung, wie ihr eigenes Restaurant aussehen könnte?

Oh ja, eine sehr genaue sogar. Ein reduziertes Setting, eine Bar mit Theke, dahinter außer mir nur eine weitere Person. Eine Küche, die mediterrane und orientalische Elemente mit japanischen Einflüssen vereint. Das Land fasziniert mich, seit ich als Kind mit meinem Vater japanische Filme geschaut habe. Wenn ich meine Karriere noch mal von vorn beginnen könnte, dann definitiv in Japan. Im nächsten Leben wäre ich gerne Kombualgensammlerin auf Hokkaido. Mich fasziniert die Präzision dieser Küche, schon weil sie so ganz anders ist als meine, die ich eher als fluid bezeichnen würde.

Findet sich etwas von dieser Japanliebe auf der &Flora-Karte wieder?

Aktuell nicht wirklich, aber es gab zum Beispiel mal den Kürbis in vier Konsistenzen, in Dashi, in Sake geschmort, roh und eingelegt in Mirin.

»Ich wäre gerne noch viel radikaler, im Sinne von: gar kein Fleisch.«

– PARVIN RAZAVI –

Sie legen Ihren Fokus auf Gemüse, Fleisch und Fisch sind lediglich Nebendarsteller. Entspricht dies auch Ihren privaten Vorlieben beim Essen?

Absolut. Wobei ich gerne noch viel radikaler wäre, im Sinn von: gar kein Fleisch. Bei manchen Tischen müssen es gefühlt fünf Kilo Fleisch sein, das frustriert mich. Übrigens trifft das Klischee sehr oft zu, dass vier von fünf Frauen vegetarisch bestellen und alle Männer Fleisch, weil sie offenbar noch immer glauben, nur in Form eines Steaks ordentlich genährt zu sein. Dann rede ich mir ein, dass wir immerhin hochwertiges Fleisch anbieten und auch mal weniger bekannte Teile wie aktuell X.O. Onglet. Ohne Beef Tatar geht es nicht, das steht seit dem ersten Tag auf der Karte. Burger oder Club Sandwich wird es bei mir hingegen nicht geben.

Einwecken ist für Parvin Razavi eine Lebenseinstellung. Foto: Michael Otto.

Bekannt wurden Sie mit einer verspielten Gemüseküche nach dem Prinzip Root to Stalk, wonach vieles verwendet wird, was sonst im Abfall landet. Was war Ihre letzte Entdeckung in Sachen Gemüse?

Eine Rote-Rübe-Sorte namens Albina, die ist komplett weiß. Die Vielfalt Roter Rüben ist unglaublich, von bitter über süß bis hin zu erdig. Ich bin dankbar für die Zusammenarbeit mit Lieferanten wie Krautwerk und Dirndln am Feld, die alte Sorten anbauen und zeigen, wie herrlich mit Zeit gewachsenes Gemüse von gesunden Böden schmeckt.

Ihre ersten Lebensjahre haben Sie im Iran verbracht, ein Land mit einer relativ fleischlastigen Küche. Sie haben auch ein Kochbuch über Teheran geschrieben. Gibt es im &flora viele persische Gerichte?

So fleischlastig ist die persische Küche gar nicht. Es gibt große regionale Unterschiede. Im Norden, der Heimat meines Vaters, gibt es viele vegetarische Spezialitäten, oft auf Basis von Melanzani. So wie überall auf der Welt, war Fleisch Jahrhunderte lang kostspielig und nicht Teil der täglichen Ernährung. Reis war da viel wichtiger. 

Blick in die offene Küche des &Flora. Foto: Michael Otto.

Und der spielt ja auch im &flora eine große Rolle. Verraten Sie uns das Geheimnis der persischen Variante!

Essenziell ist die Sorte, da gibt es große Variationen in Sachen Stärkeanteil und Form. Zunächst wird der Reis mehrfach gewaschen und eingeweicht, dann kurz aufgekocht, abgeseiht und mit einem Tuch gegart. Das dauert mehrere Stunden, aber nur so kommt die Tahdig genannte Kruste zustanden, um die sich alle am Tisch reißen.

Persischer Reis steht aktuell nicht auf Ihrer Karte, dafür ein Safran-Emmer-Risotto mit Pistazien...

Das ganz typisch ist für meinen Stil. Ich koche nicht persisch, beziehe mich aber stets auf die vier Säulen der persischen Küche, Safran, Berberitzen, Pistazien und Granatapfel. Für die authentische Küche meiner Heimat gehe zu meiner Mutter oder ich ins Pars. Dort esse ich auch gerne gegrilltes Fleisch, etwas, das ich mir zu Hause nie machen würde.

»Eine Perserin macht einen auf Heurigenköchin - das fand ich lustig.«

– PARVIN RAZAVI –

Unsere Autorin Eva Biringer im Gespräch mit der persischen Spitzenköchin. Foto: Michael Otto.

Wie sind Sie überhaupt zum Kochen gekommen? Sie haben ja keine klassische Lehre gemacht, oder?

Mit achtzehn, neunzehn habe ich begonnen, für meine Freunde zu kochen. Später dann auch zu Hause für meinen damaligen Mann. Er ermunterte mich, einen Foodblog zu starten. Das habe ich getan, und zwar ohne großartige Inszenierung, ganz im Gegensatz zu dem, was heute so gepostet wird. Gezeigt habe ich dort ausschließlich vegetarische Gerichte, die maximal eine halbe Stunde in Anspruch nehmen, schließlich hatte ich zwei kleine Kinder. Parallel dazu fing ich an, für Biorama zu schreiben und kam über einen Kollegen zu einem Küchenjob im G’schupften Ferdl. Eine Perserin macht einen auf Heurigenköchin, das fand ich lustig.

Es dürfte Ihnen aber gefallen haben, schließlich sind in der Küche geblieben. Was kam als nächstes?

Ich war drei Jahre im G’schupften Ferdl. Dann bin ich zu Ludwig & Adele ins Künslterhaus und habe die Hausbar mit aufgebaut. Das war extrem spannend, weil wir aufgrund von Corona das ursprüngliche Konzept verändern mussten und ein richtig gutes Restaurant gemacht haben.  Dann ging es ganz kurz als Souschefin in den Dogenhof, bevor ich fürs &Flora abgeworben wurde. Gereizt hat mich daran, dass ich völlig freie Hand hatte – alles, was sie wollten, war eine weibliche Küchenleitung.

Foto: Michael Otto.

Das war ein großer Schritt. Wieso gibt es noch immer so wenig weibliche Profiköche?

Vielleicht müssen wir erst mal den Raum dafür schaffen. Zu Beginn habe ich ausschließlich mit Frauen gearbeitet, heute sind immerhin acht meiner dreizehn Angestellten Frauen. Die Männer, die bei uns arbeiten, haben selbst keinen Bock mehr auf das Alphagehabe, das in anderen Restaurants leider normal ist. Bei uns haben auch private Themen Platz, Periodenschmerzen ebenso wie Beziehungsprobleme. Wenn es jemandem nicht gut geht, schicke ich ihn oder sie nach Hause, sofern es das Arbeitspensum zulässt. 

„Transparenz durch Emotionen“, so beschreiben sie die Stimmung bei Ihnen. Heißt das, provokant gefragt, dass ständig geweint wird?

Es wird auf jeden Fall immer mal wieder geweint, das reinigt! Wobei, zuletzt eher aus Freude, anlässlich der Verleihung der drei Gault-Millau-Hauben und meiner Ernennung zur Newcomerin des Jahres. Das war eine enorme Anerkennung, auch, weil ich zum ersten Mal wirklich von meinen männlichen Kollegen als ihresgleichen wahrgenommen wurde.

»Sexismus und Rassismus haben in meiner Küche keinen Platz. Wer das nicht akzeptiert, muss gehen«

– PARVIN RAZAVI –

Von anderen Köchen hört man immer mal wieder, es würden sich nun mal leider keine Frauen bewerben. Warum ist das bei Ihnen anders?

Weil ich Frauen einen Entfaltungsraum biete. Bei mir können sie kreativ sein oder der Typ Arbeitsbiene, also eine, die eher ausführt. Jeder und jede fühlt sich wahrgenommen und wertgeschätzt. Sexismus und Rassismus haben in meiner Küche keinen Platz. Wer das nicht akzeptiert, muss gehen.

Foto: Michael Otto.

Wie empfinden Sie den aktuellen Fachkräftemangel?

Den spüren wir durchaus. Vor allem fällt auf, wie anspruchsvoll die junge Generation ist. Maximal dreißig Stunden will sie arbeiten, aber mehr Geld verdienen als mit vierzig. Ein Problem sehe ich auch im System Leiharbeit. Da sind diese Leute, die von Restaurant zu Restaurant ziehen – mancherorts geht es gar nicht mehr ohne sie – und das Vielfache eines normalen Gehalts fordern. 

Sie haben zwei Töchter, vierzehn und siebzehn Jahre alt. Zieht es die auch in die Gastronomie?

Meine ältere schon, die arbeitet aushilfsweise im Service des &Flora. Ob ich sie unbedingt in diesem Beruf sehen will, da bin ich mir noch nicht sicher. Wobei sie sich auch für internationale Politik interessiert. Die jüngere will Profi-Thaiboxerin werden, trainiert aktuell für die Staatsmeisterschaft. Ihr großes Ziel sind die Olympischen Spiele, die 2028 in Los Angeles stattfinden.

Zurück zu Ihrem Traum vom eigenen Restaurant. Sie sagen, sie würden am liebsten nur mit einer weiteren Person zusammenarbeiten. Lassen Sie uns raten: wahrscheinlich einer Frau?

Razavi: Ja, auf jeden Fall. 

Foto: Michael Otto.

wer&was

Bloggerin, Autorin, 3-Haubenköchin

Parvin Razavi wurde 1978 in Teheran geboren und kam mit ihren Eltern mit acht Jahren nach Wien. Die persische Küche blieb in Österreich ein wichtiges Verbindungsglied zur alten Heimat. Zunächst kochte Parvin nur im privaten Rahmen. Ab 2010 teilte sie ihre Leidenschaft mit dem Foodblog thx4cooking. Sie begann für Printmedien zu schreiben, trat regelmäßig im ORF auf und verfasste zwei Kochbücher: 2017 „Vegan Recipes from the Middle East“ und 2018 „Teheran – Die Kultrezepte“.

Zusätzlich zu ihrer Mutterrolle  Razavi hat zwei Töchter – führte sie bis 2017 ein kleines Catering-Unternehmen.

Dann heuerte sie beim Kultheurigen „G’schupfter Ferdl“ an. Drei Jahre später wechselte sie zu Ludwig & Adele im Künstlerhaus an und arbeitete bei der Eröffnung der Hausbar mit, die auf Anhieb drei Gault & Millau Hauben erhielt. Es folgte ein kurzes Gastspiel im Dogenhof, bevor sie 2021 ins Hotel Gilbert wechselte, wo sie ihr eigenes Restaurant namens #flora gestalten konnte. Im aktuellen Gault & Millau wurde sie für ihre moderne, gemüsebetonte Küche als „Newcomerin des Jahres“ ausgezeichnet.

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& FLORA RESTAURANT-BAR

Im Hotel Gilbert

Breite Gasse 9, 1070 Wien

www.undflora.at