LUST & LIEBE

VOLLE & LEERE NESTER

Text: Martina Bücher // Illustration: Michael Otto

Franz liebt Ostern. Egal ob frühlingshafter Morgenduft oder Schneegatsch, er besteht mit unerschütterlicher, kindlicher Vorfreude auf das Verstecken der üppig gefüllten Osternester.
Nest

Illustration: Michael Otto

Manchmal scheint es, als habe er sogar mehr Elan als seine beiden Kinder, wenn es um das Finden der bunten Eier und hübsch verpackten Schokoladen geht. Schon vor dem festlichen Osterfrühstück findet das eine oder andere Gelee-Henderl den Weg in seinen Mund. Er beißt lustvoll, mampft, genießt und freut sich seines Lebens. Der Tag an dem er das letzte Drageeei aus dem Nest nimmt, ist der Tag an dem er von der Völlerei ohnehin genug hat und er sich auf den Sommer und seine kulinarischen Verlockungen freut.

Christoph ergeht es derzeit ganz anders. Sein Nest bleibt heuer leer. Nicht sein Osternest, sondern das Nest, das er für seine Familie liebevoll errichtet hat, hat sich geleert. Tochter Lisa ist erst vor Kurzem ausgezogen. Als Lisa etwa vier Jahre alt war, haben Christophs Frau und er fantasiert, wie sie einander wild und leidenschaftlich an jedem Ort des Hauses vernaschen würden, sobald Lisa nicht mehr durch die Gänge hopsen würde. Nun, die Zeiten haben sich geändert. Vernascht wird zugunsten des Wohlstandsbauches nicht mal mehr ein Schokohäschen, ganz abgesehen von der eigenen Frau.

Das Zuhause fühlt sich schwer und einsam an, er arbeitet länger und scheut das Heimkommen. Ganz sicher ist er sich nicht aber er hat das Gefühl seiner Frau ergehe es ähnlich. Beide leiden unter dem „Empty-Nest-Syndrom“.

Wenn das (letzte) Kind das Haus verlässt geht ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende. Manchen Eltern ergeht es dabei wie Franz mit seinem Osternest. Sie genießen den letzten Moment, nehmen Abschied und freuen sich auf das, was als nächstes kommt. Andere leiden unter dieser massiven Veränderung und brauchen ihre Zeit, um mit dem neuen Leben zurecht zu kommen. Sie lernen, sich auf sich selbst zu konzentrieren, finden neue Hobbies oder beginnen ihre Partnerschaft und die gemeinsame Sexualität neu zu entdecken.

Franz sieht das pragmatisch. Nach dem Osterschinken und den Osternaschereien kommt die Zeit für Spargel und Rhabarberkompott. Der Sommer bringt dann die Freude an geselligen Grillabenden, Wassermelonen und Eisköstlichkeiten. Über die Freuden des kulinarischen Herbstes brauchen wir gar nicht erst zu sprechen und zur Weihnachtszeit tingelt er von einen fröhlichen Schmauserei zur nächsten. Das Jahr hat in Punkto Gaumenfreuden einiges zu bieten, so wie unser Dasein in Punkto Lebensfreude. Obwohl Franz Ostern so sehr liebt, gibt es genug Platz für Freude auf das Kommende. Christoph wird es ähnlich ergehen. Nach einer kleinen emotionalen Fastenzeit wird er vielleicht die Ruhe oder die neue Freiheit genießen. Lisa wird eine willkommene Abwechslung im Alltag und nicht mehr Lebensmittelpunkt.

Christoph besucht jetzt einen Salsakurs. Ohne seine Frau. Nicht, weil er aus fremden Nestern naschen will, sondern, weil er sie überraschen möchte. Während er recht souverän mit den Hüften wackelt, erinnert er sich an die Leichtigkeit seines Lebens als er aus dem Hause seiner Eltern auszog. Er spürt etwas davon in sich aufflackern. Auch, wenn seine Osterzeit heuer etwas traurig ausfällt, irgendwie spürt er, dass der Sommer ganz besonders werden könnte.

wer&was

MARTINA BUCHER

Martina Bucher ist Psychologin, klinische Sexologin und Kommunikationstrainerin. Sie begleitet Menschen bei Anliegen zu den Themen Sexualität, Bewusstheit und Genuss. Mit ihren Texten verknüpft sie ihren Beruf mit ihrer Leidenschaft für Gastronomie.

martina.bucher@lustundleben.at