CUISINE JAPARISIENNE

Japanische Köche haben die Restaurant-Szene von Paris in den letzten 20 Jahren nachhaltig verändert, egal ob sie japanisch, französisch oder eine individuelle Mischung aus beiden Welten kochen.

Text: Wolfgang Schedelberger

Mehr als nur gutes Essen – das Ogata gilt als Botschaft japanischer Genusskultur

„Ich koche skandinavisch“, antwortet mir Atsushi Tanaka auf meine Frage, ob er sein kleines Restaurant AT eher als französisch oder japanisch inspiriert bezeichnen würde. Dann lacht er kurz bevor er ernsthaft fortfährt: „Nationale Zuschreibungen machen in den meisten modernen, kreativen Restaurants keinen Sinn, egal ob sie nun in Paris oder Tokio stehen. Bei mir macht das überhaupt keinen Sinn. Ich koche mit saisonalen Produkten aus Frankreich und habe die großen Köche Japans besucht. Mein wichtigster Meister war Pierre Gagnaire, aber auch Quique Dacosta in Andalusien, Sergio Herman in Antwerpen, Björn Frantzén und Magnus Ek in Stockholm sowie Rasmus Kofoed in Kopenhagen haben mich inspiriert“, zählt Tanaka weitere Spitzenköche auf, bei denen er gearbeitet hatte, bevor er 2015 sein erstes eigenes Restaurant in Paris eröffnete.

Während der Pandemie musste er zwar zusperren, doch vergangenes Jahr eröffnete sein minimalistisch gestaltetes Mini-Restaurant AT, das auf Anhieb mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Auf der Weinkarte findet man Naturweine aus ganz Europa, Einrichtung und Geschirr stammen von skandinavischen Designern. Die Gerichte sind kleine Kunstwerke, die auf eine zurückhaltende Art und Weise verspielt wirken. Mit der strengen Ordnung seiner Ahnen in Japan hat seine Küche jedenfalls nur wenig zu tun.

Auch der 3-Sterne Tempel von Kei Kobayashi ist kein typisch japanisches Restaurant, wenngleich hier ausschließlich große Omakase-Menüs angeboten werden. Seine Küche ist eine persönliche Liebeserklärung an Frankreich. Gelernt hat er bei Alain Ducasse und Gilles Goujon. Als gefeierter 3-Sterne Koch braucht er sich nicht an strenge Konzepte zu halten. So serviert er etwa zum Wagyu-Beef aus Kagoshima gebratene Gnocchi. Wer hier geographische Orientierung sucht, ist im falschen Film. Kobayashi ist übrigens der einzige Nichtfranzose in der elitären neunköpfigen Liga der Pariser 3-Sterne Köche.

Japanese Fine Dining muss nicht teuer sein. Atsumi Tanaka bietet im AT preiswerte Lunch-Menüs.

Sushi, Udon, Robata-Grill

Wie in fast allen europäischen Großstädten haben auch in Paris seit der Jahrtausendwende zahlreiche Sushi-Lokale eröffnet. Im Gegensatz zu den meisten anderen Städten der Welt gibt es hier jedoch wirklich großartige Sushi-Bars, die sich auch in Tokio nicht verstecken müssten. Die Gründe dafür erscheinen klar. Zum einen gibt es keine zweite europäische Stadt, in der gutes Essen eine derartig große Rolle spielt. In Paris bekommt man Fisch und Meeresfrüchte in Qualitäten, von der Köche in anderen Städten nur träumen können. Zum anderen ist Paris eine Gourmet-Metropole, in der Gäste bereit sind, für gute Qualitäten auch gutes Geld zu bezahlen. Es müssen ja nicht gleich 320 Euro wie fürs große Omakase-Menü im L’Abysse von Jannick Alléno sein. Einen der lediglich zwölf Plätze an der Sushi-Bar, die unterhalb von Allénos 3-Sterne Tempel im bezaubernden Pavillon Ledoyen bekommt man dennoch nicht so leicht. Für die Zubereitung ist Sushi-Meister Hachiro Mizutani verantwortlich, den Alléno dank Jahrzehnte langer Verbindung zu seiner Familie zu einer Übersiedlung nach Paris überreden konnte. 

Sushi auf Sterne-Niveau gibt es auch im Sushi B und im Jin, ebenfalls empfehlenswert sind Sushi Shunei und Nodaiwa, wo man vor allem dem Aal huldigt. Wer erstklassiges Sushi mit perfektem Sake-Pairing sucht, wird im EnYaa glücklich. In jedem Arondissement gibt es ein paar Geheimtipps, wo man ordentliches Sushi bekommt. Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft, sie hebt auch insgesamt die Qualität.    

Dass japanische Küche wesentlich mehr zu bieten hat als Sushi und Sashimi zeigt sich an der Seine-Metropole in vielerlei Hinsicht. Kleine Izakaya-Lokale, in denen man Udon-Nudeln, Ramen-Suppen, Gyoza-Teigtaschen oder Fleisch und Gemüse in verschiedensten Variationen vom Robata-Grill bekommt, gibt es gefühlt an jeder zweiten Ecke. Chinesen haben hier einen vergleichsweise schweren Stand. Auch elegante Lokale wie das Maison von Sota Atsumi (zuvor Clown Bar) sind extrem angesagt.    

Puristisches Design, großartiger Geschmack – japanische Genusskultur im Ogata.

3-Sterne Koch Yannick Alleno hat den Sushi-Meister Hachiro Muzitani geholt, der eine Etage unter dem L’Abysse auf 2-Sterne-Niveau kocht.

Die kulinarische Botschaft

Diese hohe Japan-Kompetenz erschwert es, mit internationalen Konzepten Fuß zu fassen. So gut die Zuma-Lokale mit ihrer „Modern-Japanese“-Küche rund um den Erdball funktionieren – nach Frankreich hat man sich bislang nicht getraut. Lediglich Nobu Matsuhisa – weltbekannt mit seinen Nobu-Restaurants – hat den Schritt nach Paris gewagt. Allerdings nicht mit einem Nobu-Lokal, sondern als peruanisch-japanisches Nobelrestaurant im noblen Luxushotel Le Royal Monceau, das den vollen Namen des weltweit erfolgreichsten japanischen Kochs trägt. Einzig im mondänen Monte Carlo versucht das Fairmont Hotel sein Glück mit einem Nobu-Restaurant.

In den meisten Metropolen der Welt zählen Nobu oder Zuma zu den jeweils besten japanischen Restaurants der Stadt und lassen sich diesen Status entsprechend gut bezahlen. In Paris ist eine derartige Positionierung wesentlich schwieriger. Das liegt nicht zuletzt an Lokalen wie dem Ogata. Der Guide Michelin bezeichnet es gar als kulinarische Botschaft Japans, obwohl es dort „nur“ mit einem Stern bewertet ist. Namensgeber dieses Lokals ist der weltberühmte Designer Shinichiro Ogata, der in allen Dingen „Schönheit und Balance“ umsetzen will. Betritt man dieses elegante Stadtpalais, sieht man zunächst eine Galerie für moderne Kunst und einen eleganten Museums-Shop. Außerdem befindet sich hier der Teesalon Sabo. Im Sabo kann man unter Anleitung eines Zeremonien-Meisters auch ein saisonales Mittagsmenü mit Teebegleitung genießen. 200 Euro für ein Lunch sind auch in Paris ein stolzer Preis. Dennoch muss man lange im Voraus reservieren. 

Einen Stock darüber liegt das eigentliche Restaurant, in dem es trotz offener Küche erstaunlich ruhig ist. Man fühlt sich fast wie in einem Tempel. Andächtig genießen die Gäste das olbigatorische Omakasa-Menü und sprechen – so wie das Service – im Flüsterton. 

Zum Start gibt es ein Stück gegrillte Melanzani. Mehr nicht. Es folgen Bonito-Salat, drei Bissen Sashimi, Kalbsbries, gegrilltes Lamm und eine intensive Hühnersuppe. Dazu jeweils ein passender Sake. Viel puristischer und verführerischer geht es nicht. Noch Fragen?

French Connection

Tokio und Paris befruchten sich wechselseitig. Die Japaner lieben die französische Küche und umgekehrt.

1958 wurde der Tokyo Tower nach Vorbild des Pariser Eiffelturms gebaut, ein paar Jahre später begann nach mehrmaligen Besuchen von Paul Bocuse der kulinarische Austausch zwischen den Hauptstädten von Japan und Frankreich.

Das Verhältnis zwischen Frankreich und Japan ist nicht durch historische Geschehnisse vorbelastet. Ihre enge kulinarische Verbundenheit beruht einzig auf der Liebe zu gutem Essen. Der intensive wechselseitige Austausch trägt nicht nur in Paris sondern vor allem auch in Tokio köstliche Früchte.

Alle Größen der französischen Küche haben hier eigene Restaurants. Alain Ducasse lässt in der japanischen Hauptstadt genauso aufkochen, wie Pierre Gagnaire oder Michel Troisgros. Joël Robuchon betreibt hier neben seinem gleichnamigen 3-Sterne Restaurant und zwei 2-Sterne Lokalen (La Table und L’Atelier) noch ein Café und einen Shop. Losgetreten wurde dieser Frankreich-Hype von Paul Bocuse, der seinen Namen immer noch gewinnbringend mit zwei Restaurants und sieben Brasserien vermarktet. In der Oberliga spielt mittlerweile aber keiner seiner Betriebe mehr mit.

Rückblickend scheint es, als hätte Bocuse mit seinen ersten Japan-Besuchen in den 1970er Jahren einen französischen Marketing-Feldzug eröffnet. Im Kielwasser der Spitzengastronomie konnten auch französische Limonaden und Mineralwässer den japanischen Markt erobern. Doch als Bocuse die ersten Male nach Japan kam, war er kein weltbekannter Koch. Er kam auch nicht hier her, um Geschäfte zu machen. Er wollte lernen.

Nouvelle Cuisine made in Japan

Aufgrund der eigenen Kolonialgeschichte wusste man in Frankreich recht gut über die südostasiatische Küche Bescheid. Japan war jedoch ein fernes, weitgehend unbekanntes Land, deren traditionelle Küche voller Geheimnisse steckte.

Die Erfahrungen, die Bocuse in Japan machte, haben die Entwicklung der Nouvelle Cuisine, als deren Mitbegründer Bocuse gilt, entscheidend beeinflusst wenn nicht überhaupt erst ermöglicht. Sein neuer Stil mit gemüsebetonten, saisonalen Gerichten, die ohne schwere Saucen und große Fleischteile auskommen, war revolutionär. Damit folgte er den Grundprinzipien der traditionellen japanischen Küche, die ebenfalls auf kurzen Garzeiten, der Betonung des Eigengeschmacks und einer absoluten Fokussierung auf saisonale Produkte beruhen. 

Japan huldigt zwar seit Jahrhunderten dem guten Essen, die Köche selbst standen im sozialen Gefüge jedoch weit unten – im Gegensatz zu Frankreich, wo man seine großen Küchenchefs als kulturelle Fahnenträger huldigte. Das große Restaurants den Namen des Kochs tragen, war damals in Japan unvorstellbar.

Trotz der boomenden Wirtschaft im eigenen Land versuchten daher zahlreiche japanische Köche ihr Glück in Frankreich, wo sie vor allem in der Top-Gastronomie reüssierten. Dort wurden ihr fanatisches Arbeitsethos und ihre exakte  Technik geschätzt.

Als dann Köche wie Alain Ducasse und Joël Robuchon daran gingen, neben ihren Stammhäusern weitere Restaurants zu eröffnen, waren japanische Köche extrem gefragt. Viele dieser Köche sind in solchen Restaurants zu gut bezahlten Küchenchefs aufgestiegen. Andere haben in Frankreich eigene japanische Restaurants aufgemacht. Die Meisten sind jedoch nach Japan zurückgekehrt, um mit ihrem vor Ort erworbenen Wissen um die französische Küche die eigenen Landsleute zu begeistern.

Wie rein ist rein?

Die japanische Restaurant-Landschaft unterscheidet sich grundlegend vom Rest der Welt. Auch im Top-Segment gibt es Restaurants, die sich ausschließlich auf ein Thema wie Nudeln, Grill, Sushi, Fugu oder Kaiseki konzentrieren. Bis vor 30 Jahren gab es praktisch keine ausländischen Restaurants.

Als die ersten französischen Restaurants eröffneten, war dies eine kulinarische Sensation. Auch wenn die Qualität der japanischen Lebensmittel weltweit unerreicht ist, brachten Bocuse & Co Produkte wie Butter, Käse, Gänseleber und Trüffel mit, weil sie dies für eine echte französische Luxusküche unverzichtbar hielten. Frisches, knuspriges Weißbrot kann man natürlich nicht einfliegen, also begann man es vor Ort frisch zu backen. Die Japaner liebten diese neuartigen Köstlichkeiten auf Anhieb und begannen diese – so wie übrigens den Wein – auch in ihren eigenen Restaurants zu intergrieren.

Heute gibt es in Tokio eine bunte Restaurant-Landschaft, bei der es neben original französischen und traditionell japanischen Restaurants auch viele moderne Lokale gibt, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen.

Französisch, japanisch oder modern?

So ist das 2-Sterne Restaurant Ryuzu im Stadtteil Roppongi laut Michelin ein französisches Restaurant. Küchenchef und Eigentümer Ryuta Iizuka hat in den 1990er Jahren bei Joël Robuchon in Paris gelernt, war in seinem berühmten Restaurant Taillevant bis zum Sous-Chef aufgestiegen und hat 2005 als Küchenchef das L’Atelier de Joël Robuchon in Tokio eröffnet. 

2011 folgte mit dem Ryuzu schließlich der Schritt in die Selbständigkeit. Für einen europäischen Gaumen ist das Ryuzu ein modernes japanisches Restaurant. Das liegt nicht nur an den Grundprodukten, die allesamt aus Japan stammen, sondern auch an den Aromen und der Art der Zubereitung. Allerdings isst man dort – wie übrigens in fast allen modernen Restaurants in Tokio – mit Saucenlöffel und Gabel statt mit Stäbchen. Es gibt vorab knuspriges Baguette und Butter und die Weinbegleitung kommt komplett aus Frankreich. Japanische Gäste werden das Ryuzu – aus ihrer Sicht vollkommen zu Recht – als modernes französisches Restaurant bezeichnen, weil es diese Art des Kochens in der traditionellen japanischen Küche einfach nicht gibt und gewisse stilistische Ähnlichkeiten zum Atelier de Joël Robuchon auch nicht abzustreiten sind. 

stellt sich die Frage, wie viel Robuchons Atelier in Tokio (aber auch in Paris, Bangkok, Hongkong, Las Vegas, London, Singapur oder Taipeh) mit der traditionellen Küche Frankreichs zu tun hat?

Die besten japanischen Küchenchef orientieren sich nicht an der klassischen französischen Haute Cuisine, sondern sind von Köchen wie Alain Passard oder Pascal Barbot geprägt, deren Stil stark von der japanischen Küche beeinflusst ist. 

Japarisienne: keine Einbahnstraße

Shinichi Sato, der in Paris das 2-Sterne Restaurant Passage 53 führt, schätzt, dassa aktuell über 500 japanische Köche in Paris arbeiten, 40 von ihnen führen ihre eigenen Restaurants. Ihre Küchenstile variieren. Katsuaki Okyama will in seinem Restaurant Abri „französisches Essen für Franzosen“ kochen, Sota Atsumi von der angesagten Clown Bar nimmt ebenfalls Bezug auf seine neue Heimat. Das französische Magazin Le Fooding listet aktuell jedoch 28 angesagte Pariser Restaurants, die als „Japarisienne“ bezeichnet werden – also in der einen oder anderen Art eine Art Fusion-Küche bieten.

Das kulinarische Ping-Pong-Spiel zwischen Japan und Frankreich geht also weiter – mit erfreulichen Auswirkungen in beiden Hauptstädten.