HÖRT IHR DEN JÄGER BLASEN

Die Hasen werden immer weniger. Im Feld ebenso wie am Teller. Stefan Bauer, Wagramer Winzer und Jäger hat sich zum Ziel gesetzt, den kulinarischen Ruf des Hasen zu retten. Dafür hat er sich Josef Floh ins Boot geholt.

Text und Fotos: Jürgen Schmücking

Winzer, Jäger, (Stefan) Bauer am Rand seiner Weingärten nahe der Wagramkante sorgte für das Jagderlebnis und die Streckenlegung. Josef Floh für ein außergewöhnliches Menü von Hasenzunge bis Hasenleber.

Es ist ein Widerspruch, wie er größer nicht sein kann. Auf der einen Seite haben wir Gerichte, die zu den absoluten Klassikern der gehobenen Küche Frankreichs zählen. Lièvre à la royal zum Beispiel. Ein Feldhasengericht, das auf Ludwig XIV, den Sonnenkönig, zurückgeht. Dem zahnmaladen Herrscher verlangte nach Hasen. Aber eben so, dass seine Zahne das auch schaffen würden. Sein Leibkoch wusste sich zu helfen und garte den Wildhasen so lange, bis das Fleisch aufgab und mehr oder weniger von selbst zerfiel. Ludwig war zufrieden, die großen Köche der Haut Cuisine waren es nicht und entwickelten das Rezepte weiter zum Meisterstück.

Rezeptiert wurde Lièvre à la Royal zuerst von Auguste Escoffier in seinem Guide Culinaire. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts. Später haben sich Herdlegenden wie Joël Robuchon oder Pierre Gagnaire des Rezepts angenommen. Wann immer man das Gericht auf einer Karte entdeckt: zuschlagen. Lièvre à la royale ist kaum noch in Restaurants zu finden.

Max Stiegl hat das Gericht zur Zeit auf der Karte. Auch im Münchner Tantris DNA bekommt man es noch. Ebenso im JAN, ebenfalls in München, bei  Jan Hartwig. Oder in der Domaine de Châteauvieux in Satigny in der Nähe von Genf, wo man die Zubereitung zum Ritual erhoben hat. “Der Arbeitsaufwand ist unfassbar hoch. Zuerst wird der Hase 12 Stunden lang in Rotwein, Gemüse und Gewürzen mariniert, dann köchelt er wieder 12 Stunden langsam und bei niedrigen Temperaturen vor sich hin.”, sagt Damien Coche, Küchenchef in der Domaine de Châteauvieux. Das Ergebnis ist – zu Recht – legendär. Butterweicher Rücken, zarte Schenkel und eine Farce, in der auch  Lunge, Herz und Hirn verarbeitet werden. Wild und elegant gleichermaßen, die Soße gebunden mit dem Blut des Hasen. Königlich. Das ist die eine Seite.

Die andere ist, dass der Feldhase an sich droht, von der Bildfläche zu verschwinden. Genau wie für Rebhuhn und Fasan, wird es für den Feldhasen eng. Das ist durchaus im Wortsinn gemeint. Das Niederwild, so könnte man die drei kurz zusammenfassen, braucht Deckung, Brachflächen und reichlich Futter. Kaum etwas davon bietet die akurat strukturierte Landwirtschaft. Und so hat das “Raubzeug”, wie Jägerinnen und Jäger Greifvögel, Fuchs und Marder nennen, leichtes Spiel. Außerdem fallen rund um Josephi, also Mitte März, viele Jungtiere der Frühmahd zum Opfer. Oder später den Vollerntern und Mähdreschern. Diese Maschinen sind so groß, dass es junge Hasen oft nicht rechtzeitig schaffen, aus den Sassen, den Lagern, zu flüchten. 

Wildhändler erzählen, dass ein Großteil der in der Niederwildsaison geschossenen Feldhasen exportiert werden. Das meiste in die Niederlande, ein Teil nach Frankreich. In den eigenen Töpfen und Schüsseln der Jäger landet kaum ein Hase, in der heimischen Gastronomie noch weniger. Ein Teil des Fleisches wird sogar für die Herstellung von Hunde- und Katzenfutter verwendet. 

“Hase tot” ist ein kurzes, klares und sehr harmonisches Jagdhornsignal. Meister Lampe hört es nicht mehr.

Die Jagd an der Kante

Stefan Bauer, Jäger und Winzer in Königsbrunn am Wagram will dem ein Ende setzen. Für ihn ist Feldhase ein Geschmack der Jugend oder Kindheit. Er jagt, seit er 16 ist. Und immer schon Hasen in den eigenen Weingärten. Das hatte – auch – kulinarische Gründe. Aber eben nicht nur. In den Reben finden die Hasen genau jenen Schutz, den sie in anderen Feldern und Äckern nicht haben. Für Fritz Bauer, Stefans Vater, sind die begrünten Rebzeilen das Paradies schlechthin für die Hasen. Es liegt also nahe, sie statt Feld- einfach Weingartenhasen zu nennen. 

Die Jagd beginnt mit der Begrüßung der Jägerschaft. Hornbläser sind da und geben das Signal zum Auftakt der Jagd. Die Königsbrunner Jägerschaft, etwa 20 bis 25 Männer mit signalfarbenen Hutkrempen, olivgrünen Jacken und “gebrochenen” Flinten, großteils ebenfalls Winzer, macht sich auf den Weg in Richtung Wagramkante.

Eine Niederwildjagd läuft in der Regel so ab, dass eine Reihe von Schützinnen eine Reihe bilden, das Wild “hochmachen”, sprich aufscheuchen und das flüchtende Wild mit der Schrot zu erlegen. Im Gegensatz zum Kugelschuss, der von Büchsen abgegeben wird, tritt bei einem Treffer mit Schrotkugeln der Tod der Beute nicht durch die Zerstörung lebenswichtiger Organe ein. Vielmehr lösen mehrere kleine Kugeln, die gleichzeitig in den Körper des Hasen eindringen, eine schnelles, multiples Nervenversagen aus, das zum Tod führt. Was klarerweise bleibt, sind kleine Kugeln im Hasenfleisch. Je besser der Schuss sitzt, desto weniger.

Erfahrene Jägerinnen und Jäger geben etwa dem flüchtenden Hasen ein paar Meter Fluchtweg und geben den Schuss nicht auf unmittelbar vorbeilaufende Tiere ab. Das ist zwar etwas schwieriger, hat aber zur Folge, dass eine kleinerer Teil der Schrotgarbe den Hasenkörper trifft. Außerdem ist es immer besser zu versuchen, einen querlaufenden Hasen zu treffen, als einem in gerader Linie hinterherzuschießen. In diesem Fall konzentriert sich der Treffer im hinteren Bereich des Hasenkörpers, zerstört eventuell das Bein, und es kann sein, dass ein Hase nur “weidwund” geschossen wird und weiterflüchten kann. Was wiederum zu einer sogenannten “Nachsuche” führen kann, die notwendig ist, um verletzte Hasen von ihrem Leid zu erlösen.

Die Weingartenjagd in Königsbrunn ist von der gemütlichen Art. Sie beginnt am späten Vormittag, drei oder vier “Triebe”, wie die Jägerinnen und Jäger die Durchgänge nennen. Am Ende der Jagd, am späten Nachmittag, wird direkt an der Wagramkante die Strecke gelegt. 8 Weingartenhasen, ein paar Rebhühner, ein paar Fasane.

Groß ist die Ausbeute nicht. “Früher haben wir in einer Saison bis zu 300 Hasen erlegt. Davon sind wir heute weit entfernt.”, erzählt Stefan Bauer, während er die erlegten Stücke auf die Ladefläche des Geländewagens legt. Die Hasen werden jetzt noch aufgebrochen und aus der Decke geschlagen. Das Blut wird – wie bei einer Hausschlachtung eines Schweins – aufgefangen, weil es später zur Bindung der “roten Soße” verwendet wird. 

Wildhändler erzählen, dass ein Großteil der in der Niederwildsaison geschossenen Feldhasen exportiert werden. Das meiste in die Niederlande, ein Teil nach Frankreich. In den eigenen Töpfen und Schüsseln der Jäger landet kaum ein Hase, in der heimischen Gastronomie noch weniger. Ein Teil des Fleisches wird sogar für die Herstellung von Hunde- und Katzenfutter verwendet. Stefan will dem ein Ende setzen.

Wildhasen zu verarbeiten ist einfacher, als viele denken. Und vor allem zahlt sich die Arbeit aus.

Der Floh im Hasenfell

Als Partner, um dem Hasen wieder mehr kulinarische Aufmerksamkeit zu schenken, hat sich Stefan Bauer niemand geringeren als den Langenlebarner Paradewirten Josef Floh ins Boot geholt. Bei ein oder zwei Trieben war er mit dabei, war Teil der Jagdgesellschaft. Allerdings ohne Flinte. Vielmehr mit ordentlichen Jutesack bewaffnet, um sich an den Rändern der Äcker, Felder und Weingärten die Gräser und Kräuter zu holen, mit denen er später seine Gerichte verfeinern wird.

Josef Floh hat ein zehngängiges Menü vorbereitet. Weingartenhase “nose to tail”. Denn das geht auch beim Hasen. Das Menü nannter er kurzerhand “Weingarten-Hasenjagd” und servierte Gerichte, die es in sich hatten. Den Start machte ein – noch – recht braver marinierter Rücken mit Kaki und Barbarakraut. Wie gesagt, ein guter, aber wenig wilder Gang, mit dem Floh wohl jede und jeden abholt, die oder der eine gewisse Wildskepsis an den Tag legt.

Beim nächsten Gang wird es eine Spur bodenständiger. Eine geschmorte Schulter-Terrine. Da sämtliche folgende Teile vom Hasen sind, sparen wir uns künftig, über Hasen-Schulter oder Hasen-Rücken zu sprechen. Beim dritten Gang wird es wirklich wild. Gekochte Zungen mit Semmelkren und Spitzwegerich. Jetzt ist die Zunge eines Feldhasen nicht überwältigend groß. Oder anders gesagt, damit die gekochte Zunge im Menü zum Gericht werden konnte, mussten 24 Hasenköpfe zerlegt und die Zungen herausgeschnitten werden. Die Jungjäger, die mit dieser Aufgabe betraut wurden, fanden das nur teilweise amüsant. Immerhin ist es Knochenarbeit. Zumindest im übertragenen Sinn. Die Arbeit hat sich ausgezahlt. Die Hasenzungen waren eines der herausragenden Gerichte in Flohs Langohrenmenü.

Danach kamen noch Leber mit Ingwer und Physalis, ein Beuschel mit Yuzu und Serviettenknödel, die Schale vom Grill, gebratene Nieren mit Schoko-Zwetschke, Chili und Feige sowie als krönenden Abschluss eine mit Hasenleber gefüllte Buchtel mit Hagebutte. Begleitet wurde das außergewöhnliche Menü mit Weinen aus dem Hause Bauer. Großteils Roter und Grüner Veltliner, teilweise weit zurückreichend. 

Dass Hase auch nose-to-tail verarbeitet werden kann, mag in unserem Kulturkreis eher neu sein. In der Küche Sichuans ist es das freilich nicht. Hier zählt gebratener Hasenkopf zu den absoluten Spezialitäten. Zugegeben, der Anblick – der Kopf des Nagers wird im Ganzen gebraten und serviert – ist gewöhnungsbedürftig. Aber wer diese scharfe Köstlichkeit je probiert hat, ist bekehrt. Die Zunge zart ohne Ende, das Wangenfleisch fällt fast vom Wangenknochen und mit Stäbchen lässt sich das Hirn aus den Schädelhöhlen kratzen. Klingt vielleicht martialisch, ist aber über die Maße köstlich und – wie gesagt – eine absolute Spezialität der regionalen Küche. 

Zurück in heimische Gefielde und zum Abschluss noch ein Zitat, um zu zeigen, dass der Feldhase schon immer Teil unserer kulinarischen Kultur war. Alexandre Balthazar Laurant Grimod de la Reynière (1758 – 1837) war Feinschmecker, begnadeter Gastrosoph und einer der Urväter der Restaurantkritik. In seinen “Grundzügen des gastronomischen Anstands” schreibt er über die Hasen: “Gehen wir vom Hoch- und Schwarzwild zum Mittelwild über, so finden wir im Januar vor allem ausgezeichnete Hasen und Kaninchen in der vollen Blüte ihrer Kraft. Unter den Hasen müssen die aus dem Gebirge denen aus der Ebene vorgezogen werden, und sind sie bei der Jagd scharf gehetzt worden, so ist ihr Wert nur umso größer. Der sogenannte Dreiviertelhase, der zwischen dem jungen Häschen und dem alten Rammler hält, wird von den Feinschmeckern am meisten geschätzt. Aus dem Vorderteil bereitet man bekanntlich Hasenklein, das Hinterteil aber gibt, fein gespickt, einen köstlichen Braten. Dieses wirklich liebenswürde Tier stürzt sich mit größter Zuvorkommenheit in alle möglichen Saucen, um unsere, die Absonderung fördenden, Genüsse zu erhöhen. Man bereitet aus ihm Schmorfleisch oder kalte Pasteten, und wir können versichern, dass der Hase ein schmackhaftes und leichtverdauliches Essen abgibt und dass von allen schwarzen Fleischsorten das Hasenfleisch das leichteste, wenigst feste, wenigst lastende und den am wenigsten scharfen Saft besitzt.”

Wir wissen also seit knapp 200 Jahren, dass der Hase nicht nur gut, sondern auch ausgesprochen gesund ist. Es ist also hoch an der Zeit, dass er seinen Platz in den Pfannen, Töpfen und Menüs zurückbekommt. Die Initiative von Stefan Bauer am Wagram ist ein guter Anfang. 

Eigentlich sollte die Schützenlinie genau das sein. Eine Linie. Kurz nach Entstehung des Fotos rief der Jagdleiter zur Ordnung.

Abbalgen, sprich das Fell abziehen, kann jeder Jäger. Das Blut aufzufangen, um es für die Saucenbinding zu nutzen, war auch für so manchen Weidmann Neuland.

Hase Nose to Tail in 10 Gängen by Floh: Nicht alltäglich, aber unglaublich köstlich.

Hasenleber mit Ingwer und Physalis.

Marinierter Hasenrücken mit Kaki und Barbarakraut.

Das Beuschel mit Yuzu und Serviettenknödel.

Schulterterrine mit Charlotten, Birne und Vogelmiere.

Schale vom Grill mit Pilzcreme, Kohl und Hanfsamen.

Hasenpastete von der Oma.