DER ANDERE BLICK
Text: Wolfgang Schedelberger Fotos: Rainer Fehringer
Jeder kann etwas machen. Viele tun dies auch. Der Eine kauft ein paar Bio-Produkte, der Andere investiert in eine bessere Wärmedämmung, ein Dritter schafft sich ein Elektro-Auto an. Spricht man mit heimischen Gastronomen über das Thema Nachhaltigkeit, gewinnt man den Eindruck, dass die Klimawende beinahe schon geschafft ist. Praktisch jeder engagiert sich irgendwie. Selbst jene Minderheit, die im Kampf gegen den Klimawandel kein persönliches Anliegen sieht, beschäftigt sich aufgrund der stark gestiegenen Preise mit Energiesparmaßnahmen. Also alles paletti?
„Wie bei jeder langfristigen Strategie, ist eine durchdachte Planung die halbe Miete. Wer nur unkoordiniert an ein paar Schrauben dreht, mag Teilerfolge erzielen. Auf dem Weg hin zu einem nachhaltigen Betrieb, wird er scheitern“, begründet Christoph Wagner die Entscheidung, wieso er vor zwei Jahren sein operatives Gastronomiegeschäft beendet und mit seinem Bruder Jörg das Beratungsunternehmen COHO gegründet hat.Â
„Es geht um einen Perspektivenwechsel, der es ermöglicht, das Tun des eigenen Betriebs ganzheitlich von außen zu betrachten. Zur Gesamtbilanz eines Betriebs gehören auch die Lieferanten genauso wie Mitarbeiter und Gäste. Außerdem sollte man den Mitteleinsatz auf dem Weg hin zur Klimaneutralität strategisch planen. Macht es mehr Sinn heute, in eine bessere Wärmedämmung zu investieren, oder sollte man das Geld besser sparen, um im kommenden Jahr eine neue Heizanlage anzuschaffen“, umschreibt Jörg Wagner die Ziele der Wesentlichkeitsanalyse, die am Anfang der Beratung steht.
«Wie bei jeder langfristigen Strategie ist eine durchdachte Planung die halbe Miete.»
-CHRISTOPH WAGNER-
Hin zur eigenen Benchmark
Oft lassen sich schon nach einem Beratungstag, bei dem die aktuelle Situation erfasst wird, dramatische Einsparungen erzielen. Tatsächlich geht es um viel mehr. Am Beginn steht eine Bestandsaufnahme, bei der es darum geht, möglichst viele betriebliche Aspekte in Zahlen darzustellen, um später erzielte Verbesserungen auch messen und darstellen zu können. „In manchen Bereichen gibt es gut vergleichbare Benchmarks wie etwa den Wareneinsatz in der Küche. Beim Energieverbrauch ist der Vergleich schon etwas komplizierter. Wenn man alle relevanten Faktoren beziffern kann, wird man zur eigenen Benchmark und kann sich Schritt für Schritt permanent verbessern“, erklärt Christoph Wagner.
Ein anfängliches Verständnisproblem auf dem Weg zu Nachhaltigkeit liegt darin, dass viele Gastronomen einen zu engen Blick auf das Thema haben. Es geht nicht nur um den unmittelbaren Ressourcenverbrauch (Energie, Wasser, Abfall). Bei einer gesamtheitlichen Betrachtung des Themas Nachhaltigkeit kommen Faktoren hinzu, an die man im ersten Moment gar nicht denkt. Dazu zählen alle gekauften Produkte und Dienstleistungen. Ein Wirt, der mit Bio-Produkten aus der Nachbarschaft kocht, hat einen geringeren CO2-Fußabdruck, als ein Lokal, dass Lebensmittel vom andere Ende Welt verwendet. Ob das Geschirr beim Take-Away-Geschäft aus Einweg-Plastik, recyclebarem Papier oder Mehrweg Glas besteht, macht einen großen Unterschied. Erledigt man kurze Wege mit dem Rad, einem Elektromobil oder einem SUV? Müssen bei einem Event hunderte Gäste individuell mit dem PKW anreisen, oder kann man Alternativen anbieten?Â
„Bei unseren Beratungen wird nicht viel philosophiert, sondern hauptsächlich gerechnet. Macht es Sinn, eine neue Spülmaschine zu kaufen, oder fährt man mit einer Leasing- oder Mietlösung besser? Gibt es für größere Investitionen wie Heizung oder Fuhrpark aktuelle Förderungen oder Steuerbegünstigungen, die man nutzen kann?“, so Christoph Wagner.Â
Hat man einmal alle wesentlichen Aspekte erfasst, kann man daran gehen, einen eigenen jährlichen Nachhaltigkeitsreport zu verfassen. Er ist unverzichtbar, um sich sich Schritt für Schritt dem Ziel der Klimaneutralität zu nähern.
«Zur Gesamtbilanz eines Betriebs gehören die Lieferanten genauso wie Mitarbeiter und Gäste.»
-JÖRG WAGNER-
Viel mehr als eine Fleißaufgabe
Einige heimische Gastronomen machen dies schon länger. Paul Kolarik führt die Luftburg im Wiener Prater schon seit ein paar Jahren in diese Richtung und sieht in der dazugehörigen Dokumentation ein wichtiges Instrument, um nach innen wie nach außen zu signalisieren, worum es geht. Mehr dazu ab Seite 34. Kleinere Betriebe schrecken oft noch davor zurück, ihre einzelnen Maßnahmen gesamthaft darzustellen. Wozu soll diese Fleißaufgabe dienen?
Die EU hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral sein. Damit das gelingen kann, werden alle Unternehmen (Schrittweise auch die privaten Haushalte) verpflichtet, verschiedene mehr oder weniger einschneidende Maßnahmen zu ergreifen. Als erstes müssen jetzt alle Großbetriebe verpflichtende Nachhaltigkeitsberichte erstellen. Diese umfassen nicht nur deren unmittelbaren Tätigkeiten, sondern auch jene ihrer Lieferanten. Und dazu zählen wenig überraschend auch die heimische Gastronomie und Hotellerie. Mit anderen Worten: Dienstreisende dürfen künftig nur noch in Hotels übernachen, die den CO2-Fußabrduck einer Nächtigung glaubhaft darstellen können. Eine Bank braucht bei der Buchung eines Caterings für die eigene Buchhaltung einen Nachhaltigkeitsreport des Gastronomen. Von den Vergabekriterien für einen Kredit bis hin zu verschiedenen Investitionsförderungen – ohne eine Dokumentation des eigenen Weges hin zum nachhaltigen Wirtschaften wird es schon in naher Zukunft sehr, sehr schwierig. Es ist an der Zeit, zu handeln.
Zwei für die Grüne Wende
European Green Deal
Europa will als erster Kontinent bis 2050 klimaneutral sein und die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf Null reduzieren. Die Maßnahmen, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, wurden im Dezember 2019 von der Europäischen Kommission unter der Überschrift „European Green Deal“ beschlossen und traten im Juli 2021 in Kraft.
Darauf folgte die EU-Richtlinie zur Unternehmensberichterstattung über Nachhaltigkeitsmaßnahmen (CSRD), die im Jänner 2023 in Kraft trat und bis Juli 2024 von den Mitgliedsländern umgesetzt werden muss. Zunächst sind nur große Unternehmen von dieser Berichtspflicht betroffen. Weil die Berichtspflicht aber auch den Einkauf dieser Unternehmen umfasst, hat sie indirekt auch Auswirkungen auf viele kleinere Zulieferer. Dazu zählen auch Caterer oder Hotels, die nur dann beauftragt werden, wenn sie ebenfalls einen eigenen Nachhaltigkeitsbericht vorweisen können. Mit der Freiwilligkeit, „ein bisschen was fürs Klima zu machen“, ist es also bald vorbei.
Umwelt-Pionier Hans Eder hat sein Passiv-Energiehaus „Fairhotel Hochfilzen“ bereits vor zehn Jahren errichtet. Vom European Green Deal war damals noch keine Rede, aber als schlaue Bauer versteht es Hans Eder langfristig zu denken. Fairness ist dabei seine Handlungsmaxime.
www.fairhotel-hochfilzen.at
Maria Ammerhauser,
Vorreiterin in der nachhaltigen Seminarhotellerie, lädt regelmäßig zum TALK AMM. GRÜNEN in ihr Haus in Athering bei Salzburg. Dabei treffen sich Vertreter verschiedener Branchen zum Erfahrungsaustausch: Sissi Vogler (Fair fashion Label REFISHED), Thomas Doppelbauer (Heiztechnik Hargassner) und Christoph Bründl (Bründl Sports). www.ammerhauser.at
Wissen
Das Österreichische Umweltzeichen
Bereits seit 1990 vergibt die Republik das Österreichische Umweltzeichen. Es ist damit das am längsten dienende Umweltgütesiegel Europas. Seit 1996 können sich auch Tourismusbetriebe darum bewerben. Aktuell sind rund 460 Betriebe der Tourismuswirtschaft mit dem Gütesiegel ausgezeichnet. Die Laufzeit beträgt vier Jahre, dann muss es erneuert werden. Die Kriterien sind den Zielen des European Deals ähnlich aber nicht ident. Bei den Betrieben, die schon länger das Österreichische Umweltzeichen tragen, handelt es sich in gewisser Weise um die Pioniere auf dem Weg zur Nachhaltigkeit.
CO2 Fußbadruck
Der Begriff Carbon Footprint stammt aus dem Englischen und ist eine griffige Formulierung für die CO2-Bilanz einer Tätigkeit oder eines Produkts. Man kann also für eine Tasse Kaffee, die Ãœbernachtung in einem Hotelzimmer oder die Veranstaltung eines Konzerts eine CO2-Bilanz erstellen. Dabei geht es nicht um eine exakte Erfassung eines jeden Details. Das wäre auch gar nicht möglich. Vielmehr soll die Erstellung eines CO2-Fußbadrucks dabei helfen, sinnvolle Maßnahmen zu weniger CO2-Verbrauch zu setzen. Mitunter stößt man dabei auf Ãœberraschungen. Braucht es wirklich viel mehr CO2, eine Flasche Wein aus Argentinien auf die Karte zu nehmen, als bei heimischen Winzern zu bestellen? Welche Rolle spielt das Gewicht der Flasche? Wie nachhaltig wirtschaftet das Weingut? Arbeitet es vielleicht mit Öko-Strom aus eigener Produktion? Der Containertransport übers Meer hat jedenfalls einen verschwindend kleinen Anteil an der CO2-Bilanz.Â